Tag 120 - England, wie im Film (29.09.2024)

Von Castle Combe nach Lydeway Field

Der Morgen beginnt ruhig. Neben uns hören wir die Kühe an der Tränke, nur ein einziges Auto steht in der Nähe. Noch ist alles still. Wir wischen das Zelt ab, um es zu trocknen, bevor wir es abbauen. Der Friede wird jedoch bald durch das Brummen eines Autorennens gestört, das irgendwo in der Nähe stattfindet. Der Lärm hallt durch die kühle Luft, was die sonst so idyllische Atmosphäre des Morgens ein wenig trübt. Unser erstes Ziel ist Castle Combe, ein Dorf, wie es aus einem englischen Bilderbuch stammen könnte. Die alten Steinhäuser, mit ihren Dächern aus Schiefer und Reet, stehen dicht gedrängt entlang schmaler Gassen, und die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Doch so friedlich, wie es auf den ersten Blick scheint, bleibt es nicht lange. Das Autorennen, das wir bereits gehört haben, versaut ein wenig die Atmosphäre, als die Motoren laut durch die Luft dröhnen. Wir schlendern dennoch durch das Dorf, bestaunen die alten Häuser und gehen in die Dorfkirche St. Andrew’s. Die Kirche beherbergt eine der ältesten mechanischen Uhren Englands, die noch in Betrieb ist. Diese Uhr stammt aus dem 15. Jahrhundert und zeigt weder Stunden noch Minuten an, sondern schlägt zur vollen Stunde. Während Michi mit seinen Eltern telefoniert, kommen immer mehr Touristen ins Dorf. Eine italienische Reisegruppe füllt die engen Straßen, und plötzlich ist Castle Combe überlaufen. Wir verlassen das Dorf über eine alte Steinbrücke, die sich über den Fluss spannt. Der Wald wartet auf uns mit einer steilen Auffahrt, die uns ordentlich ins Schwitzen bringt. Leider haben wir immer wieder Probleme mit dem Netz und das Telefonat bricht mehrfach ab. Irgendwann geben wir auf und genießen die restliche Fahrt nach Bath.

Bath, eine Stadt voller Geschichte und Charme, liegt vor uns. Wir fahren entlang des Kanals, vorbei an zahllosen Hausbooten, die sich hier aneinanderreihen. Diese Boote sind ganz anders als jene, die wir aus anderen Ländern kennen – sie sind lang und schmal, fast wie Kanus mit Dächern. Da wir noch kein typisches englisches Sunday Roast probiert haben und dies unser letzter Sonntag in England sein wird, entscheiden wir uns, diese Tradition endlich kennenzulernen. Wir durchforsten die Pubs der Stadt und entscheiden uns schließlich für das „Garrick’s Head.“

Zunächst werden wir ignoriert, aber plötzlich geht alles ganz schnell. Wir bestellen eine Vorspeise aus Muscheln in Sahnesoße und als Hauptgang den traditionellen Rinderbraten mit Yorkshire Pudding und Beilagen. Als Getränk gibt es für Michi ein Pint des Hausbiers und für Kyra einen Cider. Zum Abschluss gönnt sich Kyra noch eine heiße Schokolade. Doch bevor wir genießen können, gibt es einen kleinen Schreck – unsere Karten funktionieren zunächst nicht. Nach einigen Versuchen klappt es zum Glück, und wir genießen das köstliche Mahl. Glücklich und satt verlassen wir das Pub und kehren zurück an den Kanal.

Der Weg am Kanal entlang ist wunderschön, aber auch abenteuerlich. Brombeerranken schwingen im Wind bedrohlich hin und her und hängen tief in den schmalen Pfad hinein. Es ist fast wie in einem Videospiel, als wir diesen Hindernissen geschickt ausweichen. Der Weg wird immer enger, und wir treffen auf Menschen, die an oder in ihren Hausbooten leben. Manche wirken etwas eigenbrötlerisch, andere sind freundlich und winken uns zu. Das beeindruckende Schleusensystem von Caen Hill ist unser nächster Halt. Ganze 29 Schleusen überwinden hier einen Höhenunterschied von etwa 72 Metern auf einer Strecke von knapp drei Kilometern. Wir überlegen kurz, ob wir hier zelten sollen, doch es fängt an zu regnen und der Wind peitscht uns Nadelstiche ins Gesicht. Kurz darauf stehen wir vor einem Gatter mit Code. Erstaunt fragen wir uns, haben wir bereits das auf der Karte von uns entdeckte Militärgebiet erreicht? Wir versuchen, das Militär bzw. den Landbesitzer zu erreichen, aber landen nur auf der Mailbox. In dem Moment fährt ein Auto vor. Eine Frau namens Nicky steigt aus. Es stellt sich heraus, dass wir noch nicht beim Militär sind und das Gelände ihr bzw. ihrer Familie gehört. Nach einem kurzen Gespräch bietet uns an, bei ihr zu zelten, da Stonehenge noch weit entfernt ist. Dankbar folgen wir ihr zu ihrer schönen Farm, die ursprünglich zwei Häuser waren, bis sie und ihr Mann James einen Durchbruch gemacht haben, um sie zu einem Zuhause zu verbinden. Sie erzählt uns von den Manövern auf dem nahegelegenen Truppenübungsplatz, die manchmal so laut sind, dass die Fensterscheiben wackeln. Nicky bietet uns Tee an, als wir das Zelt aufgebaut haben. Gemeinsam sitzen wir bei einer heißen Tasse und plaudern. Wir lernen auch ihren Mann James und die Söhne Danny und Jake kennen sowie ihren Hund Jumblo. Jake schläft bereits, erschöpft von einem langen Tag, und Danny verabschiedet sich, weil er zu seiner Freundin muss. Nach einer wohltuenden Dusche bedanken wir uns für die herzliche Gastfreundschaft und kriechen in unser Zelt. Es ist eiskalt draußen, und wir sehen unseren Atem in der Dunkelheit. „Gute Nacht!“