Tag 21 - Einfach fahren (22.06.2024)
Von Upper Heyford nach Everton
Die Nacht war verregnet, doch langsam verdrängt die Sonne die letzten Regenschauer. Die Regentropfen glitzern auf dem grünen Zelt und wir wachen sanft auf. Die Nacht war ruhig und gut. „Oh wir haben schon 8 Uhr!“ stellt Kyra fest. Wir fangen an die Schlafsäcke einzupacken, die Isomatten einzurollen und das Zelt einzupacken. Wir sind seit unserer letzten verregneten Nacht mit Judith und Kai von unserem neuen Zelt ziemlich überzeugt. Wir können es nass abbauen, einmal ausschütteln und einpacken. Wenn wir es am Abend erneut aufbauen, ist es nur klamm und keineswegs so durchnässt, wie unser altes Zelt. Wenn wir es nur klamm einpacken, trocknet es sogar nach. Unglaublich, was für ein Luxus. Während wir uns über das Zelt freuen, kommt Roger aus dem Haus und bringt uns Kaffee. Einen mit Milch für Kyra und einen ohne für Michi. Wir machen eine kurze Pause und trinken den Kaffee. Als wir mit allem fertig sind, bringen wir die Tassen zurück und fangen noch ein kleines Gespräch an. Roger zeigt uns erneut die von ihm gelaufenen Wanderwege. Wir sind sehr beeindruckt und können uns so weite Strecken gar nicht zu Fuß vorstellen. Mit dem Fahrrad brauchen wir für z.B. 10 km schon lange, aber zu Fuß… Den Wanderweg “Coast to Coast” in England ist er in 10 Tagen gelaufen. Dieser ist über 300 km lang. Dabei hat er jeden Abend einen Blog geschrieben und zusätzlich einen Videoblog gemacht. Dafür brauchte er zum Teil 5 Stunden täglich. Wahnsinn! Als er uns einige Geschichten erzählt, z.B. dass er einen Grizzly-Bär getroffen hat, leuchten seine Augen auf. Wir tauschen unsere Internetseiten aus und kommen langsam zum Ende. Michi füllt noch schnell Wasser auf und dann geht es los. Wir könnten uns noch Stunden die lebendigen Geschichten von Roger anhören, doch der weitere Weg ruft uns. Heute soll es circa bis Bedford gehen.
Wir schwingen uns auf Emil und Elias und fahren zunächst einen kleinen Hügel hinauf. Die Steigung fordert unsere kalten Muskel, doch wir schaffen es fast routiniert. Oben angekommen strahlen wir uns an und sagen “geschafft”, um uns für die nächsten Kilometer zu motivieren. Zunächst fahren wir an einer alten Airbase vorbei. Auf der gegenüberliegenden Seite wird viel neu gebaut. Die ganze Stadt Heyford scheint neu geplant und aus dem Boden gestampft worden zu sein. Wir lassen uns an der Straße entlang runterrollen. Es geht bis Bicester bergab. Da bemerkt Kyra, dass ihre Vorderradtaschen nicht richtig befestigt sind. Michi entdeckt daraufhin sogleich eine Bank und wir verbinden die erneute Befestigung mit einer Frühstückspause. Es gibt Müsli mit der haltbaren Milch, die wir seit London mit fahren. Das Müsli schmeckt ausgezeichnet. Da haben wir eine gute Wahl getroffen! Wir essen über die halbe Packung auf und stellen fest, dass wir laut Angaben ganze 5 Portionen gegessen haben. Ups! Nach Zähne putzen in der Öffentlichkeit geht es weiter, für Kyra geht es immer dem Brotgeruch aus Michis Tasche hinterher. Wir fahren zunächst auf kleineren oder größeren Landstraßen entlang, bis wir auf einen separaten Fahrradweg kommen. Hierfür müssen wir ein Gatter öffnen und finden uns zwischen zahlreichen Schafen wieder. “Zum Glück, sind diese komischen engen Gatter Vergangenheit!” stellen wir beide übereinstimmend fest. Als wir das nächste Tor überbrücken wollen, sehen wir von hinten zwei weitere Fahrräder kommen und halten diesen das Tor auf. “Thank you” lächeln uns beide entgegen. Der vor uns liegende Fahrradweg wechselt sich mit Asphalt und Schotter ab. Zum Großteil ist der Weg an beiden Rändern stark bewachsen und immer wieder sehen wir in kleinen Abzweigungen zahlreiche Müllsäcke oder losen Müll liegen. Es ist wirklich unglaublich, wie viel Müll hier rumliegt. Zum Teil sind wir richtig entsetzt, wenn wir die Berge sehen. “Das sieht aus, wie eine Belüftungsanlage oder Ähnliches“, stellt Michi fest. Wir fahren weiter ohne anzuhalten und gelangen schließlich in die Nähe einer Hauptstraße, die uns nach Bletchley bzw. Milton Keynes führt. Ein gut ausgebautes Fahrradwegenetz führt uns komplett durch die Stadt. Es geht runter, durch eine Unterführung und wieder hoch. “Wie auf einer Achterbahn!” lacht Kyra. Immer wieder düsen wir in die Tiefe, nur um anschließend mit viel Schwung erneut hinauf zu fahren. Durch den Schwung überwinden wir die Höhenmeter jedoch problemlos. Selbst am Rande der Stadt, im Neubaugebiet, werden die guten Fahrradwege weitergeführt und so haben wir die Stadt schnell hinter uns gelassen. “Ich kann langsam nicht mehr und brauche eine Pause im Schatten”, ruft Kyra von hinten Michi entgegen. Kein Wunder! Als Michi auf sein Handy blick, stellt er erstaunt fest, dass wir bereits über 60 km gefahren sind und die Frühstückspause über 50 km hinter uns liegt. Jedoch lässt sich nirgendwo eine Bank finden und so überzeugt Michi Kyra: “Gleich kommt noch ein letzter Anstieg und dann machen wir oben Pause, okay?” Kyra willigt ein und so radeln wir angestrengt den Anstieg nach Cranfield hinauf. Zwischendurch werden wir vom Flughafen zu unserer Linken abgelenkt. Oben angekommen biegt Michi plötzlich rechts ab und der Grund wird schnell sichtbar. Er hat eine Bank gefunden! Wir packen Tomaten, Brot und Möhren aus. Es gibt geschnittene Tomaten in etwas Öl mit Salz, Pfeffer und italienischen Kräutern. Dazu Brot und Möhren. Als wir das Gemüse aufgegessen haben, essen wir zu dem weiteren Brot noch den Rest Honig von unserer ehemaligen Kollegin. Dieser schmeckt einfach unglaublich lecker! Vielen Dank nochmal für das Geschenk. Beim Essen treffen uns immer wieder neugierige Blicke, doch niemand spricht uns an. Wir spülen unsere Sachen mit kaltem Wasser ab, packen alles ein und freuen uns auf die Abfahrt.
Mit dieser erreichen wir schnell unsere letzte Stadt des Tages, Bedford. Bedford macht auf uns zunächst einen eher gemischten Eindruck. Wir sehen viele drogenabhängige Personen auf dem Boden sitzen, bevor wir die schöne Promenade am Ufer des Great Ouse erreichen. Hier scheint sich das Leben der Stadt abzuspielen. Viele Familien machen ein Picknick, gehen spazieren oder angeln. Unser Weg am Rande des Flusses geht in einen Park über. Wir durchqueren diesen und finden leider am Wegesrand immer wieder Zäume, die uns daran hindern, in den Wald einzubiegen und einen Schlafplatz zu suchen. Erst nach Sandy werden wir fündig. Von unserer Straße führt rechts ein Wanderweg ab. Dieser ist zwar dicht bewachsen, aber auf der linken Seite finden wir neben zwei Bäumen eine kleine Fläche, auf die unser Zelt passen könnte. Michi entfernt einige Brennnesseln und Dornen, die Kyra ins Gebüsch wirft. Anschließend legen wir unsere Bodenplane aus und bauen das Zelt auf. Es passt perfekt in die kleine Lücke. Nach einer Katzenwäsche fallen wir ein bisschen angespannt, aufgrund der vielen Mäuselöcher, in den Schlafsack. Als wir gerade im Halbschlaf sind, hören wir Schritte und eine Stimme sagt, “aahhh, oh it is a tent” und lacht…