Tag 69 - Gegenwind stärkt den Charakter (09.08.2024)
Von Bettyhill nach Durness
Gegen 6 Uhr erwachen wir auf unserer schiefen Ebene. Midges sind glücklicherweise nur vereinzelt in Sicht. Ein Hund nimmt unser Zelt mal wieder als unglaublich schlimme Bedrohung wahr und bellt es an. Als wir zusammenpacken, macht sich Spike auch so langsam auf den Weg. Wir tauschen noch Kontaktdaten aus und verabschieden uns. Dann rollen auch wir, nach ein paar kurzen Gesprächen mit Strandbesuchern, los. Es geht sogleich steil den Hügel hinauf und vorbei an einem Campingplatz. Oben angekommen, sehen wir Spike vor einem kleinen Laden stehen. “You’re heading the wrong way”, ruft Michi ihm scherzhaft zu. Er schaut etwas irritiert, muss dann jedoch lachen und winkt mit den Einkäufen. Wir gehen in der nächsten Toilette noch schnell aufs Klo und rauschen weiter. Immer wieder ermöglichen Hügel Blicke über türkises Wasser und auf strahlende Sandstrände. Nach einer engen Brücke geraten wir in eine Baustelle und ein Bauarbeiter feuert uns an. Jubelnd und hupend tanzt er auf seinem Radlader sitzend auf und ab. Den Motivationsschub nehmen wir gerne mit und erreichen Coldbackie bzw. Tongue.
Noch mehr Strände, noch mehr Wasser in verlockendem, klaren Blau. “Hast du schon so klares Meerwasser gesehen?”, fragt Kyra ungläubig und begeistert. Es ist wirklich wunderschön, aber kalt. Es geht bergab und hinunter zu den Wellen. Eine Haarnadelkurve führt rechts ab der Hauptstraße und ein großes Schild warnt in roten Lettern vor der steilen engen Straße. Lange Fahrzeuge, Wohnmobile und Fahranfänger sind nicht erlaubt, bzw. sollen sie zur eigenen Sicherheit meiden. Gut für uns! Obgleich wir uns als Trucks unter den Radreisenden sehen, sind wir weder lang noch ungeübt und schon gar kein Wohnmobil. Endlich sind wir von der doch gut befahrenen NC500 Route runter auf dieser Nebenstraße und lassen es laufen.
Wusch, geht es in die nächste Linkskurve und… Quieeeeetsch! Wir stehen hinter 2 Pkw und einem Pick-up, der in Länge und Breite schon einem Kleinlaster ähnelt. Wir warten… “Worauf warten wir denn hier?”, fragt Michi etwas ungeduldig. Dann knacken Äste, etwas kratzt und quietscht. Wir sehen es nicht doch irgendein Monster bahnt sich den Weg zu uns. Mittlerweile ist ein weiterer Pkw hinter uns. Unsicher tastet er sich näher an uns heran. “Vielleicht gibt es ja doch Riesen”, scherzt Michi, als sich ein Ungetüm von Expeditionstruck um die Kurve schiebt. Wir trauen unseren Augen kaum. Wackelnd schiebt sich das Fahrzeug unter Motorgeheul an den Wartenden vorbei. Die Beifahrerin blickt angespannt und verschämt zu ihren Füßen. Wir können nicht anders als zu lachen. Das Auto hinter uns tobt und Schimpfwörter dringen dumpf durch Verkleidung und Blech. Weiter geht’s! Denkste… Nach der nächsten Biegung sehen wir ein Wohnmobil auf unserer Spur fahrend, den Verkehr blockieren. Wie auch immer die beiden Fahrzeuge aneinander vorbeigekommen sind. Im Schritttempo bewegen wir uns vorwärts. Ein Btize ruft uns lachend aus dem Gegenverkehr entgegen: „I bet you chose the road because you thought it wouldn’t be so crowded.“ Ohhh ja, das haben wir und geben ihm einen Daumen nach oben. Er zeigt ihn ebenso lachend. Dann geht es wieder gut voran und schwups, ist die Straße tatsächlich leer. Wir radeln direkt am Wasser entlang zurück zur Hauptstraße. Am nächsten Parkplatz auf einem Deich sichern wir uns eine Parkbank. Endlich Frühstücken. Es ist so windig, dass alles was man abstellt wegfliegt. Volle Wasserflaschen, 1,5 kg Müsli und Löffel sowie Messer erkunden auf eigene Faust die Umgebung. Verständlich, dass die meisten Besucher sich nach ein zwei Aufnahmen des tosenden Sees mit dem herrlichen Bergpanorama zurück ins Auto flüchten. Wir verwerfen unsere Idee vom idyllischen Frühstück an der Parkbank und retten uns auf den Boden neben ein Wohnmobil. In dessen Windschatten können wir halbwegs in Ruhe frühstücken. Dann machen wir uns wieder auf. Ein Campervan aus Oldenburg fährt auf den Platz. “Komm, denen sagen wir noch kurz hallo”, meint Kyra und wir rollen zu ihnen. Man unterhält sich kurz über Schottland, Reisen und Midges. Nach dem erfrischenden Gespräch geht es gegen unseren heutigen „Endgegner”, ein langgezogener Anstieg gegen den Wind.
Es ist wahrlich eine Herausforderung. Landschaftlich sind wir, wie erwartet, in einer sumpfig torfigen Heidelandschaft. Kleine Tümpel und flache Hügel ergänzen die braun violette Szenerie. Wollgras verliert seine flauschigen Samen im Wind und auch wir werden ordentlich durchgepustet. Hupend fährt der Van der Oldenburger an uns vorbei. Wir kämpfen uns weiter gegen den Wind. Dann nehmen wir wieder Fahrt auf und fahren durch eine Schneise in einem Forstwald hinab zum Loch Hope. Der nächste Anstieg hat es jedoch in sich. Der Wind pfeift so durch die Felsen, dass wir kaum voran kommen. Das kurze Stück mit etwa 12 % Steigung wird so zu einem wahren Kampf gegen den Wind, die Erschöpfung und den Verkehr, der sich ungeduldig und mit Leichtigkeit an uns vorbei hinauf schiebt. Doch, geschafft! Mit einem Mal stehen wir hoch über Loch Eriboll und die Natur zaubert die einmal mehr ein Schauspiel über den langgezogenen Loch. Einerseits erleuchtet die Sonne in dicken goldenen Strahlen das Wasser, andererseits ziehen dicke Regenwolken mit ihren herunterhängenden dunklen grau-blauen Regenschleiern darüber hinweg. Wir verweilen kurz, verschnaufen und genießen. Dann stürzen wir uns hinab. Einen Bikepacker feuern wir auf seinen letzten Metern hinauf an und er grüßt erschöpft lächelnd. Wir rasen weiter zu den Ard Neackie Lime Kilns auf der kleinen Halbinsel vor uns hinab. Die alten Brennöfen mit ihren großen Kammern haben einen ganz eigenen Charme. Einmal mehr schweifen wir ab und malen uns aus, welch ein Treiben hier gewesen sein muss. Frontal Windböen reißen uns aus den Ausschweifungen und holen uns zurück auf die einspurige Straße, die sich unentwegt auf und ab am See entlang schlängelt. Kate, eine Australierin radelt uns ebenso bepackt entgegen. Sie ruft uns entgegen, dass wir unser Geschirrtuch verloren haben. So ist es! Da fliegt es davon und Michi rennt hinterher. Zum Glück bleibt es nach etwa 100 m an grobem Schotter auf der Straße hängen. Als er zurückrennt unterhalten sich Kyra und Kate bereits. Sie ist seit April unterwegs und hat heute schon unser Tagesziel an Kilometern erreicht. Im September muss sie nach Australien zurück. Wir tauschen Nummern aus und sie warnt uns vor den heftigen Seitenwänden am Ende des Sees. Wir verabschieden uns und erarbeiten uns jeweils die weiteren Kilometer. Sie den Berg hinauf und wir weiter gegen den Wind. Teilweise ist er bereits so böig, dass wir unfreiwillig wilde schlenker fahren müssen. Darum sind wir für jedes Auto dankbar, dass einfach die paar Sekunden zum nächsten “passing place” wartet, ehe es uns passiert. Vor allem da der Wind nun auch noch um dichten feinen Regen ergänzt wurde und die Sicht somit immer schlechter wird. “Das macht so doch keinen Spaß mehr, dieser schei** Wind!”, schreit Michi gegen die Naturgewalt an. Doch er weiß, dass es nichts bringt. Auch Kyra flucht. Wir sind einfach erschöpft, wollen ins Zelt, einen heißen Kakao, eine Dusche oder noch besser… einfach keinen Wind mehr. Da öffnet sich ein Spalt aus einem Campervan und ein erhobener Daumen reckt sich in den Regen und kurz darauf blendet ein Fahrzeug auf und hält in einer Parkbucht, sodass wir nicht anhalten müssen. Die Insassen feuern uns an, jubeln und klatschen. Wir lösen die Finger kurz zum Gruß vom Lenker und schließen sie sogleich fester darum. Dankbar nickend fahren wir weiter. Beseelt mit neuer Kraft geht es dem einen Ende des Lochs entgegen. Wie in einer Düse verengt sich hier das Land, sodass der wind von den Berghängen hinab in den See gepresst wird. Als die Straße umknickt, werden wir auf die andere Seite getragen und sind froh, dass gerade kein Verkehr ist. Gefühlt rutschen Emil und Elias unter uns weg, als wollten sie in wildem Galopp seitwärts zum See hüpfen. Wir halten sie so gut es geht auf der Straße. Eine weitere Rechtskurve und… der Spuck ist vorbei oder besser noch in unserem Rücken. Ohne zu treten beschleunigen wir in der Ebene auf 20 km/h… 25 km/h… “Das sind 32 km/h ohne zutret treten!!!”, ruft Michi jubelnd. “Wahnsinn!!!”, quittiert Kyra. Wir sausen mit dem Wind an Villen vorbei, nehmen Regenbögen wahr und lassen den Regen hinter uns. Dann gelangen wir zu einem Traumstrand und noch einem und schrauben uns wieder die Klippen hinauf. Von oben sehen die Strände gleich noch beeindruckender aus. Doch merken wir auch, dass unsere Kräfte am Ende sind. Die Nerven liegen blank. Wir füllen Wasser auf und gehen auf Toilette. Weiter nach Durness und wieder gegen den Wind… wir wollen noch einkaufen, doch kommen nicht voran. Der eine Laden hat bereits geschlossen. Der andere ist noch ein paar Kurven entfernt und theoretisch für 10 Minuten geöffnet. Michi sprintet, so gut es geht los… 3 Minuten vor Ladenschluss steht er verregnet, verschwitzt und erschöpft im kleinen Supermarkt. Das “Nötigste” wird eingepackt, schnell zur Kasse und bezahlt. Geschafft! So kann unser Couscous etwas mit Kalorien aufgepeppt werden und es gibt noch je ein Getränk dazu sowie Chips. Schon schleppt sich Kyra zum Parkplatz und wir uns gemeinsam weiter. Text hier
Am Kyle of Durness ist ein Aussichtspunkt mit Parkplatz und wir hoffen auf unseren Schlafplatz. Der Wind frischt wieder weiter auf und vor uns liegt die bei Ebbe größtenteils trocken gefallene Bucht. Ein Schild besagt, dass “overnight parking” 15 £ kostet. “Wir parken nicht und sind kein WoMo und kein Van”, sagt Michi. “Genau und es ist nicht eingezäunt”, ergänzt Kyra. So machen wir uns gegenseitig Mut. Wir entschließen uns dennoch, etwas abseits vom leeren Platz unser Zelt aufzuschlagen. Mit 70 km/h weht der Wind eisig über die Dünen hinweg. Der Regen sticht wie kleine Nadelstiche und die Nacht bricht so langsam herein. “Hinter” der Kuppe einer Düne bauen wir im schwammigen Untergrund das Zelt auf. Wären es nicht von Beginn an mit zwei Heringen im Boden verankert, wäre es glatt davongeweht. Nachdem es soweit steht, bereitet Kyra innen alles vor. Michi spannt weiter ab und reicht Taschen rein. Das Zelt biegt sich und die Plane schlägt trotz fester Spannung bei jeder Böe. Mit dem Gedanken, dass es in einem Test 140 km/h ausgehalten hat, beruhigen wir uns. Verkriechen uns zitternd und durchnässt ins Zelt. Es tanzt um uns und der Wind faucht durch jede Öffnung. Beim Kochen scheint der aufsteigende Wasserdampf in der Luft zu stehen, um dann wieder herumgewirbelt zu werden. Mit Sorge um das Zelt, genießen wir unser Couscous und schlafen entkräftet ein. Gute Nacht!