Tag 55 - Zum ersten Mal durch die Highlands (26.07.2024)

Von Helmsdale nach Gills Bay

Der Regen der Nacht ist vergessen und Sonne erwärmt das Zelt. Ein Quiecken tönt vom Strand von Helmsdale herüber. Was ist das nur? „Otter!“, ruft Kyra hocherfreut. Wir beobachten die kleinen Racker, wie sie durch das Wasser toben. Ansonsten herrscht herrliche Ruhe. „Da ist eine Zecke!“, stellt Michi etwas aufgebracht fest. Katen hatte uns noch Tage zuvor gewarnt, dass diese derzeit zahlreich seien. Die Biester haben sich irgendwie in unserem Zelt breitgemacht. Schnell bauen wir ab und radeln zurück, wie wir gekommen sind. Erneut werden die geliebten Toiletten besucht. Irgendwie geht es Michi derzeit mit der Blase nicht gut. Vielleicht verkühlt. Wir füllen Wasser auf und frühstücken Brote mit Frischkäse und Tomate. Dann geht es 7 km bergauf. Doch die Ausblicke entlohnen uns. Vor der rasanten Abfahrt erhaschen wir noch ein paar gute Blicke auf das Meer und die Berge. Dann geht es bergab.

Michis Tacho steigt wieder aus. „Wie schnell sind wir?“, fragen wir uns. Doch Elias gibt durch ein Schlingern, das sich immer weiter aufschaukelt, zu verstehen, dass es schnell ist. Vielleicht sogar etwas zu schnell. Beinahe verliert Michi die Kontrolle als er über Schotter dahin rutscht. Doch schon geht es wieder bergauf und mit einem Schlag ist die Geschwindigkeit weg und wir strampeln bergauf. Plötzlich raschelt es neben uns und ein Reh springt aus dem Dickicht auf die Straße. Alle bremsen… Erschrocken rennt es links und rechts und verschwindet unbeschadet im Gestrüpp. Puh, da haben wir alle Glück gehabt und sind wieder hellwach. So fahren wir in strahlendem Sonnenschein die Küste entlang. Sehnsüchtig blicken wir immer wieder aufs Wasser,  doch kein Wal will sich zeigen. Dann halten wir an einer kleinen Grünfläche und bereiten unser Mittagessen. Es gibt, zum Leidwesen Italiens, zerbrochene Spaghetti mit Ketchup und einem Rest Kräuterfrischkäse. Sicherlich kein Vergleich zur mediterranen Küche, aber der Geschmack ist nach der Steigung und den Kilometern erstaunlich gut und somit der Topf schnell leer. Noch schnell Pippi und weiter. Doch bereits nach wenigen Metern fällt uns auf. Wir werden verfolgt. Eine massive Regenfront rollt im Rückspiegel unaufhaltsam auf uns zu.

Im strahlenden Sonnenschein biegen wir links ab, lassen einen Landwirt vorbei und stellen uns unter Bäume. Es prasselt und donnert. „Ich will nicht…“, sagt Michi kleinlaut, genervt und entkräftet. „Ich will einfach nicht in die Regenklamotten… alles klebt, außen Regen, innen Schweiß und beim nächsten Hügel schwimme ich darin und raste ich „, führt er weiter aus. Doch es hilft nichts. Es schüttet wie aus Eimern und wird kalt. Also rein in die Regenmonutur und ab in die kalte Dusche. Die Laune ist entsprechend. Ein Lamm beschreibt insbesondere Michis Umgang mit der Situation. Regungslos steht es da, den Hintern gegen den Wind gedreht und einen Blick der sagt, „Was ist das? Warum? Ich mag es nicht, aber ich ertrage es und es geht weg, wenn ich ganz still bin.“ Tatsächlich lässt kurz darauf der Regen nach und gemeinsam mit der Sonne wird eine magische Szenerie geschaffen. Rechts erhebt sich ein Regenbogen über Weide und Heide der binnen Minuten einen weiteren, noch größeren Begleiter erhält. Die Laune ändert sich schlagartig, wie das Wetter. Schnell wird die Regenkleidung ausgezogen. In dem auf und ab der Hügel kommt man wieder richtig ins Schwitzen.

Zur linken erstreckt sich nun eine Hochebene, in deren Hintergrund Berge schroff gegen den Himmel ragen. Rechts blüht an moorigen Hängen bereits die Heide, sodass zwischen Ruinen alter Höfe und den Mauern vergessener Weiden lila Streifen das Braun erfrischen. Nach der nächsten Kurve sehen wir einen Loch vor uns und die Idylle ist perfekt. Immer wieder ziehen kurze Schauer über uns hinweg und zeitweise blitzt und donnert es in der Ferne. Auf unserer langgezogenen Abfahrt durchfahren wir Schwärme von Midges. Die kleinen Blutsauger schaffen es sich während voller Fahrt sich festzuhalten. Sodann krabbeln sie unter den Helm in sie Haare, Mund, Nase. Zu guter letzt beißen sie und… das juckt dann irgendwann doch. „Wie kann man hier nur wandern gehen?“, fragt Kyra und Michi ergänzt: „Oder entspannt Kaffee und Kuchen im Garten genießen?“ Heutzutage gibt es zumindest Sprays, die die Biester etwas abhalten, früher gab es nur den Wind und die Kälte. Wir entscheiden uns bis zum Fähranleger durchzufahren, um morgen ganz sicher die Fähre pünktlich erreichen. Denn es geht auf die Orkneys. Dann erwischt uns eine weitere Unwetterfront, die hinter uns herangerollt war. Wasser sammelt sich auf der Straße und die Sicht verschlechtert sich. Elias gibt sich alle Mühe, aber sein Licht mag nicht und nun hat auch noch Sand den Weg in das Lager des Vorderrads gefunden. Er knarzt und knackt und wir hoffen einfach nur, dass alles hält. Rumps! Michi hat eines der zahlreichen mit Wasser gefüllten Schlaglöcher übersehen. Erzürnt über sein Missgeschick flucht er auf den Regen, den kaputten Nabendynamo und die schlechten Straßen. Doch eigentlich sorgt er sich nur um seinen treuen Drahtesel und, ob dieser bis ein neues vorderes Laufrad Beschafft werden kann durchhält. Wir sind erschöpft und dann… sehen wir das Meer. Mit neuer Kraft geht es hinab nach Gills.

Wir überlegen noch, ob wir den Campingplatz nehmen sollen, fahren jedoch erst zur Fähre. Im Internet ist für morgen keine Fährfahrt geplant. Am Anleger stehen jedoch tägliche Fahrten angeschlagen. Wir werden es nicht ändern können und entscheiden uns für die Nacht für eine Parkbucht auf den Klippen. Sie ist bereits mit Campervans und Wohnmobilen gefüllt. Durch eine vom Regen durchtränkte sumpfige Wiese führt ein kleiner matschiger Pfad hinab. Auf halber Höhe zwischen den Felsen am Strand und den Klippen ist eine kleine Rasenfläche. Perfekt. Auch, wenn sie oder die Umgebung eindeutig häufiger, wie das gesamte Areal, von den Campern als Wildtoilette genutzt wurde, stellt sie, neben dem Sumpf oder Campingplatz unsere einzige Möglichkeit dar. Ein Pärchen scheint gerade auf der Suche nach besagter Toilette zu sein und geht etwas an unserem auserkorenen Zeltplatz herum. Als wir ankommen wandern sie weiter nach unten an den Felsigen Strand. Der Regen lässt erneut nach und wir bauen unser Zelt auf. Währenddessen erfreuen sich unzählige Midges an uns. Sie scheinen ausgehungert und sind sehr penetrant. Binnen Sekunden sind sie überall. Man erträgt es, muss es ertragen und… Der Ausblick auf Orkney, eine Robbenkolonie, zahlreiche Vögel und das alles im Sonnenuntergang entschädigt. Wir haben es geschafft und mit etwas Glück Fährt morgen ja doch die Fähre. Falls nicht, bleiben wir im Zelt und lauschen einfach den Robben die ihre Liegeplätze verteidigen oder von der letzten Jagd träumen, den Wellen, die gegen die Felsen rauschen und den Austernfischern, die in großen Gruppen zwischen allem rufend umherfliegen. Wir fallen erschöpft auf die Isomatten, jagen noch Midges im Zelt und schlafen nach einem kurzen „Gute Nacht“, voller Hoffnung und Vorfreude zufrieden ein.