Tag 111 – Game over (20.09.2024)

Von Kenmare nach Killarney

Wir erwachen am Morgen als die Vögel zwitschern und erste Sonnenstrahlen unser Zelt erreichen. Unsere Schlafsäcke sind zum ersten Mal seit zwei Nächten nicht nass und wir genießen die angenehme Wärme im inneren des Zeltes. Doch wir stehen etwas offensichtlich und verlassen deshalb lieber schnell das Zelt. Erneut ist der Himmel traumhaft blau, weshalb auch das Meer vor uns blau strahlt. Während Michi beginnt sein Vorderrad erneut auszubauen, packt Kyra zusammen und macht Frühstück. Wir genießen unser Mahl im Sonnenschein, während das Zelt neben uns trocknet. Doch leider ist unsere Stimmung nicht gut, denn wir wissen mit dem Vorderrad einfach nicht weiter. Viele Gedanken gehen uns durch dem Kopf und wir ärgern uns, dass wir das neue Laufrad nicht für 50 Pfund mehr nach Irland geschickt haben. Doch ändern können wir es nun nicht. Schließlich baut Michi das Rad wieder ein und Kyra beendet weitere Arbeiten an der Ottifanten-Website. Bereits auf den ersten Metern bremsen wir und drehen um, es ist einfach keine Besserung in Sicht. Das Rad wackelt förmlich lose und schleift beständig am LowRider-Gepäckträger, wodurch der neue Mantel stark mitgenommen wird. Was passiert, wenn der Mantel aufreibt und der Schlauch platzt? Was passiert, wenn der Dynamo oder das Lager komplett blocken und sich das Rad auf einmal nicht mehr drehen kann? Wir sind verzweifelt, doch nachdem das Rad ein zweites Mal am heutigen Morgen aus- und wieder eingebaut wurde, fahren wir langsam los.

Wir kommen jedoch nicht weit. Durch das Reiben des Reifens ist es nicht nur Gefährlich und Schade um den neuen Mantel, sondern auch ein großer Kraftaufwand für Michi. Also bleiben wir am Straßenrand in einer kleinen Bucht stehen und er versucht mit Panzertape das Rad irgendwie anders zu stellen. Als gerade alle Kugeln aus dem Lager auf dem Boden liegen, kommt ein Rennradfahrer vorbei. Er bleibt stehen und fragt, ob alles in Ordnung ist. Michi erklärt ihm unser Problem und wir beginnen ein nettes Gespräch. Joe rät uns davon ab die Straße geradeaus zu fahren, sie ist einfach zu schnell und gefährlich. Er würde den Bus nach Killarney nehmen und von dort mit dem Zug weiterfahren. Die Überlegung hatten wir auch… Und dann sagt er etwas, was uns dazu bringt tatsächlich den Bus zu nehmen: „It’s stupid to take the bus, but safety comes first! Don’t risk it because of it…“. Damit hat er natürlich recht. Wenn das Vorderrad plötzlich blockiert und Michi fällt, dann wären wir mit Sicherheit nicht glücklich. Es wäre dumm das zu riskieren. Doch zunächst möchten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen und im Fahrradgeschäft die Straße runter vorbeischauen. Joe erklärt uns den Weg dorthin und sagt mit einem Lächeln, dass er böse wird, wenn er uns später doch auf der viel befahrenen Straße sieht. Wir versprechen ihm nicht die Straße zu fahren und rollen zurück die Straße hinunter. Genau in diesem Moment kommt der Bus und wir entscheiden ganz spontan diesen zu nehmen, doch… Der Busfahrer guckt uns mitleidig an und erklärt, dass ihm nicht erlaubt ist Fahrräder mitzunehmen. Wir könnten es aber mit dem nächsten Bus versuchen. Bis zum nächsten Bus haben wir noch circa 1,5 Stunden Zeit, weshalb wir erstmal zum Fahrradgeschäft fahren. Dort angekommen, stellen wir fest, dass es sich mehr um ein Geschäft für alles Mögliche handelt. Ein reines Geschäft für Fahrräder scheint sich hier nicht zu lohnen. Wir gehen hinein und erklären dem Inhaber unser Problem. „You have too much weight on your bikes!“, sagt er ohne überhaupt unsere Drahtesel gesehen zu haben. Das ist eine Aussage, die wir gar nicht gerne hören und deshalb leider gleich negativ gestimmt werden. Kyra antwortet: „No! The rim withstood the weight for over 20,000 kilometers. The Dynamo is made for cycling trips.“ Er kommt mit uns raus und schaut sich Elias kurz an, doch er schüttelt nur den Kopf. Da ist nichts mehr zu machen… Er möchte jedoch gucken, ob er zufällig ein 26 Zoll Laufrad vorrätig hat. Nach einer Weile steht er mit einem billigen Laufrad vor uns. Es kostet 65 €, doch ob es das Gewicht hält und die Strecke bis Wales mitmacht, das kann er uns nicht versprechen. Michi schaut sich die Nabe genauer an und stellt fest, dass diese tatsächlich ein sehr günstiges Produkt ist. Nach ein paar Minuten Diskussion entscheiden wir, dass das Schicksal entscheiden soll. Wenn uns der nächste Bus mitnimmt, dann nehmen wir diesen, wenn nicht, dann nehmen wir die Felge. Das teilen wir dem Inhaber mit und er ist nicht böse drüber. Nun suchen wir schnell eine Toilette für Michi und laufen zur Bushaltestelle. Dort stehen bereits ein paar Frauen und erklären, dass wir vorsichtig sein sollen, da bald der Bus kommt. Wir erklären ihnen wiederrum, dass wir versuchen möchten mitgenommen zu werden, da die Vorderradnabe von Michi kaputt ist. Sie wünschen uns viel Erfolg und kurz darauf kommt der Bus an. Der Busfahrer scheint sehr freundlich und grüßt alle nett. Als er uns sieht, muss er jedoch auch direkt nein sagen. Er darf uns nicht mitnehmen… Wir fangen aus der Not an zu diskutieren: „Please! The front wheel is broken and we can no longer drive. We have to get to Wales somehow. We’ll be happy to take your luggage, that’s no problem.” Doch der Busfahrer bleibt hartnäckig und so stehen wir etwas verloren und ratlos mit Emil und Elias am Straßenrand. „Irgendwie hatte ich mich jetzt bereits darauf eingestellt mit dem Bus zu fahren“, sagt Michi verzweifelt. „Ich auch…“, bemerkt Kyra. Und dann! Plötzlich kommt der Busfahrer heraus und sagt, dass eine Person mit dem kaputten Fahrrad und dem Gepäck mit darf. Wir packen die Fahrräder ab, doch Kyra ist mit der Idee nicht ganz zufrieden und als der Busfahrer den traurig Blick sieht, wird er weich. Wir dürfen beide mit und schnell ist das gesamte Gepäck sowie die Drahtesel im Bus untergebracht. Zur Sicherung wird spontan ein alter Mantel genutzt und wir haben die Vermutung, dass die netten älteren Damen im Bus ein ernstes Wörtchen mit dem Busfahrer gewechselt haben. Als wir losfahren stimmt der Busfahrer ein Lied an und alle singen sowie klatschen mit. Wir sind irritiert, aber auch begeistert und können unser Glück noch nicht ganz fassen. Die 40 min Busfahrt verfliegt und wir erreichen Killarney.

Dort geht zunächst Kyra auf Toilette und dann laufen wir zum Bahnhof, um ein Zugticket für den nächsten Tag zu kaufen. Der Schalter ist allerdings geschlossen. Ein Mann, der gerade mehrere Zugtickets gekauft hat, spricht uns an: „Everything OK? Can I help you?“ Wir erklären, dass wir morgen mit dem Zug fahren wollen, jedoch online nicht buchen konnten und am Automaten anscheinend nur Züge für den jeweiligen Tag buchbar sind. Andrew sagt daraufhin, dass wir den Bahnhofsvorsteher absprechen sollen. Ein paar Minuten später kommt er mit diesem, der Mars heißt, zurück. Es stellt sich heraus, dass die beiden alte Kollegen sind. Andrew hat hier früher gearbeitet und nun organisiert er Zugreisen. Die beiden verstehen sich prächtig und scherzen herum. Uns wird versprochen, dass es morgen schon irgendwie klappt und wir um 7:30 Uhr für den ersten Zug nach Dublin da sein sollen. Morgen früh ist Mars jedoch nicht persönlich da, weshalb er einem weiteren Kollegen Brian Bescheid gibt, dass er uns helfen soll. Wie nett! Unglaublich. Wir unterhalten uns noch mit Andrew, während Mars weiter arbeiten muss. Dann kommt eine weitere Person mit einem Fahrrad schiebend in der Hand in die kleine Eingangshalle des Bahnhofs. Er fragt uns, woher wir kommen und anwortet: “Ja, dann können wir ja auch deutsch reden!”. Andi kommt aus der Schweiz und ist mit seinem E-Bike unterwegs. Seine Route führte ihn über Belgien, Niederlande, England und Irland. Nun soll es morgen mit der Fähre nach Frankreich gehen. Dafür möchte er mit dem Zug nach Cork fahren und dort ein Hotel nehmen. Die Hotelpreise haben es jedoch so in sich, dass er sich gar nicht entscheiden kann, welches teure Hotel er nun buchen soll. Es ist fast alles ausgebucht und die Preise für eine Person und eine Nacht stehen bei ungefähr 160 €. Wir scherzen kurz darüber, wie teuer das Hotel für uns Deutsche dann im Vergleich zu ihm als Schweizer sein muss und unterstützen einander bei der Zugplanung. Andi hat noch circa eine Stunde bis sein Zug abfährt und wir bleiben bei dem Plan, morgen früh wiederzukommen.

Zum Wildcampen möchten wir uns etwas im Killarney National Park suchen. Da es jedoch Freitagabend ist, haben wir einige Bedenken, dass dort viele Menschen unterwegs sind und das schöne Wetter genießen. Also lassen wir uns etwas Zeit und vertreiben uns den Nachmittag mit Andi und Andrew. Schließlich kommt der Zug von den beiden und wir machen uns zunächst auf zum Lidl. Wir kaufen ein paar Kleinigkeiten ein und fahren zum Park. Für einen schönen Abend am Wochenende ist erstaunlich wenig los. Der Park ist jedoch auch riesig, weshalb sich die Menschenmassen gut verlaufen können. Nach wenigen Kilometern finden wir einen kleinen Strand mit einer Halbinsel daneben. Etwas versteckt durch die Bäume könnten wir hier unser Zelt aufbauen. Zunächst möchten wir jedoch Kochen und die Stelle beobachten. Auf der Halbinsel gegenüber genießen ein paar Jugendliche den Sonnenuntergang. Sie hören Musik und machen einige Fotos. Von uns scheinen sie keine Notiz zu nehmen. Im wunderschönen Sonnenuntergang essen wir Spaghetti und genießen das glitzern der letzten Strahlen auf dem See. Kurz bevor die Dunkelheit uns umhüllt, bauen wir das Zelt auf. Michi spült im Dunkeln noch ab und dann geht es hinein ins warme Zelt. Während wir den Rufen der Rehe lauschen und hören, wie die Blätter von den Bäumen fallen, umhüllt uns langsam der Schlaf. Gute Nacht!