Tag 110 - Nichts geht mehr! (19.09.2024)
Von Baile an Sceilg nach Kenmare
Wir erwachen im Sonnenschein. Es ist kalt, aber der Teig ist gut im Fußbereich von Michis Schlafsack gegangen. So macht er sich gleich daran und formt etwas fladenartige Brötchen. Zwei Frauen mit Hunden kommen vorbei. „Nice place. Did you sleep here? Wasn’t it cold?“, fragen sie. „It’s been a wonderful night with the sky full of stars“, antwortet Michi. Langsam gewinnt die Sonne an Kraft und der Morgentau verdampft in dicken Schwaden. „Magst du Tee? Frühstück ist fertig“, ruft Michi Kyra zu, die gerade am der Ottifantenseite schreibt. Die Brötchenfladen sind köstlich und mit Honig, Marmelade oder etwas Käse sowie Gurke auch schnell bis auf zwei weg. Danach packen wir zusammen und fahren los. Es geht an der Küste entlang und die Sonne lacht uns. Wir genießen den Blick aufs blaue Meer und werden ein wenig von einem Haus eingenebelt. „Vermutlich wird dort auch mit Torf gekocht“, denken wir uns, da es zum Heizen eindeutig zu warm ist.
Elias Vorderrad hält zumeist etwa 1 mm Abstand zum Gepäckträger. In Kurven jedoch schlägt es wild hin und her. In Waterville kürzen wir etwas ab. Jeder unnötige Meter wird vermieden. Schon blicken wir auf Laugh Currane und die Berge dahinter, die spannend gefaltet sind und grün, doch teilweise auch kahl, gegen den Himmel und Seehwr einen Kontrast bilden. Es geht leicht, aber konstant bergauf. Nach zwei weiteren Seen gelangen wir in einen kleinen Wald. Der Schatten tut gut, bevor es rechts weg den Ballaghsheen Pass hinauf geht. Über 3 km windet sich die enge Straße über 200 m hinauf auf 360 m. Michi muss aufstehen, um die Steigung zu meistern. Das Vorderrad von Elias schleift nun beständig. Nur noch ein paar Meter und der höchste Punkt, die Lücke zwischen den Bergen Cnoc an Chapaill und Knocknacusha ist erreicht. Keuchend und glücklich stehen wie vor dem Schild des Passes auf der Spitze. „Geschafft!“, frohlockt Kyra. Wir trinken Wasser, atmen durch und sind etwas belustigt, dass das ganze Schild mit Aufklebern von Motorradclubs, Reisenden mit Campervans und politisch motivierten Vereinigungen beklebt ist, sodass man den Namen „Ballaghsheen“ nicht einmal mehr lesen kann. Hinter der Lücke erstreckt sich ein grüngelbes ebenes Tal, umgeben von Bergen vor uns. Ein Radreisender quält sich ebenso den Berg hinauf. Slatan arbeitet in der Schweiz und kommt gebürtig aus Ungarn. Vor 3 Jahren ist er mit diesem Rad nach Singapur geradelt und jetzt etwas „neidisch“ auf uns. Jetzt radelt er „nur“ für 6 Wochen durch Irland. Wir unterhalten uns eine Weile und wünschen uns alles Gute. Es geht rasant die Serpentinen hinab und erneut rechts weg. Wir fahren etwa 5 km in der Ebene mit grasenden Schafen auf den saftigen Weiden. Dann erwartet uns der zweite Pass des Tages.
Schilder am Wegrand zeigen an, wie weit es noch bis zum höchsten Punkt ist und welche durchschnittliche Steigung auf dem nächsten Kilometer erwartet wird. Praktisch und gleichzeitig bei dem Tempo etwas frustrierend. Zumeist ist die Steigung angenehm zwischen 3 % und 7 %. Der letzte Abschnitt hat 15 %. Der Reifen reibt mittlerweile so sehr, dass, der Lack der Gepäckträgers ab und bereits das Metall etwas eingekerbt ist. Durch dicke graue Felsen erreichen wir den kleinen Rastplatz oben am Ballaghbeama Pass, der eher einem etwas geräumigen „passing place“ ähnelt. Unsere Drohne Friedo darf die gewundene Straße zwischen den Bergen Mullaghanattin und Knockaunanattin nochmal abfliegen. So langsam senkt sich die Sonne und es wird deutlich kühler. Im Schatten geht es erneut mit etwa 40 km/h in Serpentinen hinab. Bremsen muss Michi kaum, das erledigt der Reifen merklich. Es geht nicht mehr. In einer Parkbucht zeht Michi die Achse nochmal fester und wieder ist ein kleiner Spalt zwischen Gepäckträger und Mantel. Ein paar 100 m weiter schleift der Mantel jedoch erneut.
Ein weiterer langezogener Anstieg steht an. In 10 km geht es von 120 auf 330 m. Wir keuchen und Michi ist völlig erschöpft. Die Kette rutscht durch und er knallt unsanft auf die Stange, zudem schabt die Pedale sein Schienbein blutig auf. Er flucht. „Ich habe keinen Bock mehr! Es reicht! Ich will nicht mehr! So macht es einfach keinen Spaß mehr! Ich kann nicht mehr!“ Die Stimmung ist angespannt und als die Spitze erreicht ist, sagt er: „Fahr vor! Das hat so keinen Zweck… kauf für heute Abend was bei Lidl. Ich repariere das nun nochmal irgendwie notdürftig.“ „Ich lasse dich hier nicht allein zurück. Mein Handy ist zudem aus, ich habe keinen Akku mehr. Wo soll ich dann warten? Bei Lidl? Wann kommst du denn dann?“ fragt Kyra. „Keine Ahnung, wenn es fertig ist!“ sagt Michi ratlos und gereizt in einer Parkbucht neben einem kleinen See am Boden sitzend. Vor ihm liegt das Vorderrad, vom Lager ist nichts als die Kugeln geblieben. Fett quillt überall hervor und die Stahlkugeln sind in den Nabendynamo gerutscht und haben sich verkeilt. Alles wackelt und schleift. Der einzige Trost ist, dass es nicht regnet. Nichts geht mehr! Egal, es muss… Die Kugeln werden herausgehebelt und neu geordnet, ein Metallring vor den Spalt zum Inneren des Dynamo gelegt, neues Fett dazu gegeben und dann alles irgendwie verschraubt. Der vor Tagen zurechtgefeilte Milchdeckel hält die Kugeln sowie Spacer und den Metallring zumindest weiterhin irgendwie im Dynamo oder dort, wo einmal das Lager war. Es muss einfach weitergehen… und so fahren wir gemeinsam durch das Molls Gap bergab. Die Stimmung zwischen uns beruhigt sich wieder und unter dem kläglichen Knirschen und Schleifen von Elias überlegen wir uns, was wir denn zu Abend essen wollen und wo wir schlafen könnten. Wir verlassen die Landstraße und rollen an schönen Anwesen vorbei nach Kenmare, direkt auf den Lidl zu. Wir kaufen Essen für den Abend. Es gibt Wraps mit Salat, Tomaten, Couscous, Hähnchenstreifen und Cole Slaw. Als Nachtisch heute ausnahmsweise ein ganzes großes Fertig-Tiramisu. Aus Frust und für die Nerven. Zudem bevor es auf Schlafplatzsuche geht noch einen Becher Eiscreme. Während wir das Eis naschen, werden mögliche Wildcamping Plätze am Handy begutachtet und in eine Reihenfolge gebracht. Dann rollen wir los und durch Kenmare dem vielversprechendsten im Park entgegen. Es ist bereits dunkel und so nett die Kleinstadt ist, so unheimlich erscheint der Zugang zum Park. Wir streichen den Park von der Liste. Elias ächzt und seufzt. Am Wasser, direkt neben der Straße liegt eine weitere Grünfläche mit 3 großen Skulpturen, Parkbänken und… „Perfekt, das nehmen wir!“, sind wir uns einig. Hungrig setzen wir uns, essen zu abend und finden eine passable Stelle für das Zelt. Einsehbar, aber wir haben keine große Wahl und es ist bereits dunkel. Rasch wird das Zelt aufgebaut und morgen, ja morgen sehen wir uns Elias noch einmal genauer an. Als wir in die Schlafsäcke steigen kreisen die Gedanken um den Esel, die Tour und was ist wenn… „Er wird die etwa 400 km schon noch schaffen. Vielleicht bekommen wir es ja auch repariert. Doch was wenn nicht? Fahrradladen? Warum haben wir nur die Versandkosten gespart? Egal… Morgen…“ Gute Nacht!