Tag 118 - Wunderbare Radwege auf der NC4 (27.09.2024)

Von Coed Hirwaun nach Redwick

Die ganze Nacht prasselt der Regen unaufhörlich auf unser Zelt, doch innen ist es warm und trocken. Wir warten geduldig, bis der Regen endlich nachlässt, denn beide müssen dringend auf Toilette. Endlich ist es soweit, die Wolken reißen auf und am klaren Himmel funkeln Sterne über uns. Es ist traumhaft schön, aber die Kälte zwingt uns schnell zurück ins Zelt, wo wir bald wieder einschlafen. Mit den ersten Sonnenstrahlen wachen wir auf. Noch bevor wir das Zelt verlassen, hören wir das tiefe Röhren eines Rehbocks ganz in unserer Nähe. Draußen entdecken wir, dass mehrere Rehböcke und -kühe in der Nähe grasen. Ein Tierfotograf versucht, ein gutes Bild zu erhaschen, doch die Tiere fliehen immer wieder vor ihm. Wenig später kommen zwei Spaziergänger namens Jason und Cloe vorbei, die neugierig stehen bleiben und sich für unsere Drahtesel-Tour interessieren. Sie erzählen uns, dass sie selbst viel reisen, jedoch lieber zu Fuß. Der Mount Everest steht als nächstes auf ihrer Liste, und sie bereiten sich darauf vor, indem sie täglich acht Meilen wandern. Wir tauschen Instagram-Accounts aus, um in Kontakt zu bleiben, bevor wir uns verabschieden.

Noch eine weitere Spaziergängerin mit zwei Hunden kommt des Weges. Ihr älterer Hund stammt aus Deutschland und trägt einen langen, deutschen Namen. Sie erzählt, dass sie früher in Deutschland gewohnt haben, da ihr Mann beim Militär dort stationiert war. Nach einem kurzen Telefonat mit einer Freundin aus Emden, die uns ein Paket mit Ostfriesentee und Sekundenkleber vorbereitet, brechen wir schließlich auf. Zunächst geht es bergab, der Wind streicht uns durch die Haare, und wir folgen einem schönen Radweg. Die Stille und das Fahren ohne Autos fühlen sich nach langer Zeit richtig befreiend an. Plötzlich, gerade als wir uns darüber freuen, kommt doch ein Auto um die Ecke. Es ist ein Servicewagen, der wohl Arbeiten im Park zu erledigen hat. Zum Glück bleibt es bei dieser Ausnahme, und wir haben den Radweg wieder für uns allein.

Auf einer kleinen Holzbrücke, die sich durch ein mystisches Waldstück schlängelt, knabbern zwei Eichhörnchen ungestört ihr Futter. Der Weg windet sich weiter durch moosbewachsene Bäume, die wie ein grüner Tunnel über uns aufragen. Diese Fahrt durch den märchenhaften Wald ist einer der besonderen Momente, die wir genießen. Als wir schließlich Tondu erreichen, machen wir einen kurzen Stopp bei Lidl. Michi ist schon seit unserer Ankunft in Großbritannien von dem Gedanken besessen, Nachtisch mit Toffee-Sauce und Datteln zu probieren. Nun ist es endlich so weit, doch bevor wir uns dem Genuss hingeben, fahren wir weiter und finden eine Bank mit herrlicher Aussicht über das Tal.

Nach einem kurzen Toilettenstopp gönnen wir uns Cracker mit Käse und Mangochutney – eine überraschend köstliche Kombination! Dann probieren wir den lang ersehnten Nachtisch. Michis Urteil: ganz okay. Frisch gestärkt geht es wieder bergauf. Der Fahrradweg wird schmaler und führt uns durch enge Tore. Bald verschwindet der Weg ganz, und wir finden uns auf einer Wiese wieder. Ein junger Mann kommt uns entgegen und schaut uns erstaunt an, als er sieht, dass wir es mit unserem Gepäck so weit heraufgeschafft haben. Wir überqueren ein weiteres Gatter und stoßen auf eine raue Strecke mit groben Steinen und Pfützen. Kyra, die früher noch Schwierigkeiten auf losem Untergrund hatte, meistert die Passage mittlerweile fast so routiniert wie Michi.

Nach dem letzten Anstieg geht es wieder bergab. Doch plötzlich ändert sich die Landschaft: Die Straße ist durch große Betonblöcke gesperrt und nur für Fahrräder, Fußgänger und Pferde freigegeben. Die Szenerie erinnert an ein gescheitertes Bauprojekt, vielleicht eines, das durch den Brexit gestoppt wurde. Am Ende der Straße weist ein großes Schild auf EU-Förderungen hin, doch das Projekt scheint stillgelegt. Nachdem wir einige Kilometer hinter uns gebracht haben, erreichen wir Caerphilly. Dort bewundern wir das eindrucksvolle Wasserschloss. Mithilfe von Google Maps suchen wir nach einem geeigneten Schlafplatz, doch dieser ist noch einige Kilometer entfernt. Da es bereits spät ist, machen wir erst einmal eine Pause auf einer Parkbank und kochen uns Eiernudeln mit Gemüse. Während wir essen, beobachten wir Jogger und Spaziergänger*innen, die mit ihren Hunden unterwegs sind. Nachdem wir gestärkt sind, fahren wir weiter in Richtung Newport.

 Die Dunkelheit bricht herein, und die Stadt erscheint uns als Lichtermeer. Zunächst fahren wir auf guten Radwegen, doch bald weichen diese den Hauptstraßen. Die Autos blenden uns, und die Kälte kriecht in unsere Knochen. Schließlich erreichen wir Redwick und biegen auf einen Landwirtschaftsweg ab. In diesem Moment kommt ein Traktor hinter uns her, doch er biegt ab und hat uns scheinbar nicht gesehen oder es war ihm egal. Wir eilen dem Deich entgegen und schleppen unsere Drahtesel durch ein Gatter. Dabei reißt Michis Hose, aber der Traktor verfolgt uns zum Glück nicht weiter. Unser Schlafplatz liegt mitten im Dunkeln, und der Boden ist übersät mit Kuhmist. Obwohl uns die Sorge beschleicht, dass wir vielleicht von Kühen oder gar einem Bullen überrascht werden könnten, beruhigt uns der Gedanke, dass kein Bulle auf einem offiziellen Wanderweg aufgestellt wird. Wir bauen unser Zelt auf dem harten Schotterboden auf, spannen es zu den Drahteseln und Taschen ab und schlüpfen schnell ins Zelt. Es ist so kalt, dass wir unseren Atem sehen können. Schnell kuscheln wir uns in unsere Schlafsäcke und schließen die Augen. Gute Nacht!