Tag 136 - "Einfach” die Seine entlang (15.10.2024)
Von Rouen nach Vattetot-sur-Mer
Heute erwachen wir früh in Marius Zimmer, denn es geht wieder weiter. Wir springen schnell nochmal unter die Dusche und packen unsere Sachen zusammen. Dann tragen wir alles runter. Um 8 Uhr sind wir mit Caroline und Cyrille zum Frühstücken verabredet, doch zuvor wollen wir die Drahtesel fertig gesattelt haben. Im dunkeln bekommen wir noch vom Fenster aus mit, wie sich Joanne auf den Weg zur Schule macht und kurz danach gehen wir rüber in die Küche. Wie gestern liegt Baguette und Marmelade bereit. Wir wünschen einen guten Morgen und bekommen von Caroline einen Kaffee angeboten. Den nehmen wir natürlich gerne an. In Ruhe genießt wir unseren Kaffee während Marius und Vera sich verabschieden und nacheinander das Haus verlassen. Nun wird es auch für uns Zeit. Wir bedanken und verabschieden uns von Caroline und Cyrille. Caroline hat uns sogar eine nächste Unterkunft an der Küste besorgt. Ihre Eltern wohnen circa 85 Kilometer entfernt in Vattetot-sur-Mer und der Ort liegt fast perfekt auf unserer Route. Perfekter kann es also nicht sein. Wir steigen auf Emil und Elias und die beiden winken zum Abschied. Unsere Drahtesel führen uns zunächst Den Hügel hinunter zum Bäcker. Dort möchten wir das leckere Brot von gestern und das Baguette, welches Caroline und Cyrille dort kaufen, besorgen. Beides ist einfach zu lecker und das perfekte Mittagessen für heute. Als wir den blauen Laden betreten, erkennt uns der nette Herr von Gestern und lächelt uns zu. Zum Glück wissen wir heute bereits, was wir wollen. Wir bestellen mit Händen erklärend was wir möchten und fahren anschließend los. Zunächst geht es runter an die Seine, der wir für die ersten Kilometern folgen. Einige Fahrrad Pendler überholen uns. Wir schauen uns um und sind froh, dass es heute nicht regnen soll. Am Rande von Rouen wird gerade alles für die Kirmes aufgebaut. Wir bestaunen die großen Wohnmobile der Schausteller, die fast wie kleine Häuser auf der Fläche stehen. Kurz darauf erreichen wir ein Industriegebiet, welches sich an der Seine entlang zieht. “Es riecht nach Schokolade”, stellt Kyra plötzlich fest, doch wir können die Herkunft nicht feststellen. Zwischen den Fabrikhallen stehen immer wieder einzelne prachtvolle Häuser und wir rätseln, wer da heute wohl wohnt? Tolles Haus, aber schlechte Lage. Vielleicht gehörten die Häuser früher den Werksleitern? Wir kommen der Sache nicht auf den Grund, bevor wir das Gebiet verlassen und einen kleinen Park mit Bänken finden. Hier machen wir erstmal Pause und essen etwas von den Leckereien vom Bäcker, praktisch als zweites Frühstück.
Als wir gerade unsere Mandelcroissants auspacken, geht eine Sirene los und kurz darauf macht Michis Handy das vertraute Alarm-Geräusch. Eine Probe, zum Glück. Auch Vera hat im gleichen Moment die Situation in der Schule erlebt und uns via WhatsApp vorgewarnt. Danke! Wir genießen den ruhigen Moment mit unserem Crossiant und werden kurz bevor wir weiter wollen noch von einem älteren Herrn angesprochen. Dann setzen wir unsere Fahrt fort. Wir fahren an einer Fähre vorbei, die wir nicht nehmen müssen. Als wir jedoch kurze Zeit später die nächste Fähre erreichen, schickt uns die Navigation auf diese. Die Fähre fährt jedoch kurz vor uns ab und somit bleibt kurz Zeit die Strecke zu checken. “Wir könnten auch auf dieser Seite bleiben”, sagt Michi mit einem Blick auf die Karte und ergänzt: “aber wer weiß, wie die Wege sind. Der Fahrradweg führt auf der anderen Seite weiter.” “Ich schaue mal nach den Fährzeiten”, sagt Kyra. “Oh, wir müssen auf dieser Seite bleiben. Anscheinend fährt sie erst nach 2 Stunden wieder.” stellt sie etwas irritiert fest, doch als Michi dazu kommt, erkennen wir, dass die Fähre doch alle 15 min fährt. Somit ist die Sache entschieden. Wir nehmen die Fähre, denn bei so vielen Fahrten, was soll schon passieren? Die Fähre in einigen Kilometern zurück soll ebenfalls so häufig fahren. Als unsere Entscheidungen gerade getroffen ist, kommt die Fähre wieder an und wir rollen hinauf. Mit und fährt nur ein weiteres Auto hinüber. Die Überfahrt ist kostenfrei. Auf der anderen Seite der Seine genießen wir nochmal die flachen Wege, bevor wir nach der nächsten Fährfahrt die Seine verlassen und Richtung Norden fahren möchten. Doch als wir die Fähre erreichen, müssen wir feststellen, dass diese nicht Fährt. Der Antrieb ist kaputt und somit fällt sie aus. Wir können es im ersten Moment gar nicht glauben und warten kurz. Doch die Fähre auf der anderen Seite bewegt sich tatsächlich nicht. Michi guckt auf der Karte, wie es nun weitergehen kann. Eine Brücke ist ersrmal nicht in Sicht und die nächste Fähre bedeutet einen Umweg von gut 30 Kilometern. Uns beiden nimmt das in diesem Moment den Boden unter den Füßen. 115 Kilometer statt 85 stehen nun an. Eigentlich hätten wir bereits die Hälfte geschafft, aber so, haben wir gerade ein Drittel hinter uns. Zudem sind wir gegen 19 Uhr mit den Eltern von Caroline verabredet. Wie soll das zeitlich klappen? Da wir seit Tagen emotional etwas angespannt sind, kommen Kyra die Tränen. Wir sind aktuell einfach erschöpft und müde, da braucht es sowas nicht. Aber wir haben keine Wahl. Weiter geht es zur nächsten Fähre. Als wir diese erreichen, staunen wir jedoch nicht schlecht. Auch diese fällt aus, wegen Wartungsarbeiten. Nicht nur wir stehen verdutzt da, sondern auch allerhand Autofahrer*innen. Wir können es jedoch erneut nicht ändern und müssen uns beeilen weiter zu kommen, da es einen weiteren Umweg von 10 Kilometern bedeutet. Somit ist die heutige Strecke von 85 aif 125 Kilometer gestiegen. Kyra kommen vor Erschöpfung und Wut erneut die Tränen.
Michi versucht sie aufzuheitern, doch zunächst bringt es nichts. Wir kämpfen uns eine Steigung hoch, fahren etwas erhöht An der Seine entlang, rasen wieder runter, fahren über einen matschigen Weg mit einem auf dem Weg liegenden Baum und erreichen schließlich wieder eine schöne flache Straße, mit einer fahrenden nächsten Fähre. Diese nehmen wir nun jedoch nicht mehr, da uns die Navigation zur ersten Brücke führt, wodurch der Weg nun kürzer ist. Zuvor entdecken wir jedoch einen Apfelverkauf am Straßenrand und halten für eine kurze Pause an. Es gibt die Sorte Elster, Kyras Lieblingssorte und somit ist der Tag endlich wieder gerettet. Wir verputzen beide jeweils 2 Äpfel und fahren auf einem schönen Radweg an der Seine entlang. Dann geht es die Brücke weit hinauf und endlich sind wir wieder auf der richtigen Seite. Dort angekommen dauert es nicht lange und wir müssen eine weitere Steigung meistern. Wir kömpfen uns mit etwas Abstand jeder für sich schweigend hinauf, bis Michi plötzlich langsamer wird und ganz abbremst.
“Mist! Ich habe einen Platten!”, schallt es zu Kyra. Wir suchen uns ein Platz am Straßenrand und flicken schnell das Hinterrad. Dann checken wir die Uhrzeit und sind verblüfft, wir sind noch immer im Zeitrahmen. “Also jetzt schnell die letzten 40 km!”, sagt Kyra. Diese fahren sich auch erstaunlich schnell. Es geht mehrmals sanft auf und ab und wir machen noch weitere Pipipausen, doch sonst passiert nicht viel. Als wir das Zieldorf erreichen trainieren 3 junge Männer und sprinten den Hügel hinauf, dabei überholen sie uns auf kurzer Strecke und feuern uns an. Kurz darauf erreichen wir pünktlich, sogar 5 min vor der Zeit, das Haus von Laurence und Jean-Paul. Das Haus hat mehrere Eingänge, doch wir glauben die Haupttür ausfindig gemacht zu haben. Da es keine Klingel gibt, klopfen wir, doch niemand macht auf. Im Inneren brennt kein Licht und wir sehen auch niemanden. Komisch… Zusammen Lassen wir die Drahtesel kurz stehrn und schauen auf der anderen Seite des Hauses, doch auch dort ist niemand. Als wir gerade zurück gehen, hören wir ein Auto ankommen und Jean-Paul steigt aus. Er lächelt uns freundlich zu und fragt, ob seine Frau denn noch nicht zu Hause sei? Doch schnell ist geklärt, dass sie vor ein paar Minuten zurück gekommen ist und uns nur nicht gehört hat, da sie unter der Dusche stand. Zuvor war sie mit einem Freund in Etretat Krabben fangen. Diese liegen nun in einem Eimer vor dem Hauseingang. Wir beide schauen die Krabben ein bisschen mitleidig an und beobachten, wie sie die Schere auf und zu machen. Insbesondere Michi bekommt bei deren Anblick ein schlechtes Gewissen in Bezug auf das bevorstehende Essen.
Wir begrüßen uns nun erstmal und bekommen als erstes gezeigt, wo wir die Drahtesel parken können. “You can stay as long you want”, sagt Laurence mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Die große Gastfreundschaft, die wir nun schön öfter erleben durften, haut uns erneut um. Wir kennen uns noch gar nicht und trotzdem wird uns vertraut und so viel angeboten. Freundlich bedanken wir uns und spielen auch gleich mit den Gedanken. Zurück im Haus wird uns unser Zimmer gezeigt. In Dem hinteren Teil des Hauses befindet sich praktisch nochmal eine eigene Wohnung, die wir nutzen dürfen. Toilette, Dusche und Schlafzimmer, alles ist da und sieht nett aus. Das gesamte Haus ist ein absoluter Traum. Von der Küche können wir durch ein großes Panoramafenster zum Meer blicken und der Kamin lädt zu gemütlichen Abenden ein. Wir entscheiden erst später zu duschen, wenn Laurence und Jean-Paul weg sind. Die beiden verlassen nämlich noch heute Nacht das Haus, um zurück nach Rouen zu fahren. Morgen haben sich einen wichtigen Termin in einer Schule, wo sie einen Vortrag halten. Dafür erklären sie uns kurz, wie wir das Haus zu verlassen haben. Mehr als Licht aus und abschließen gibt es eigentlich nicht zu beachten. Was für ein großes Vertrauen uns erneut entgegengebracht wird. Wir bieten Laurence Hilfe in der Küche an, doch es ist bereits gedeckt und nicht mehr viel zu machen. Sie setzt das Wasser für die Krabben auf und gibt uns zu verstehen, dass wir vor dem Kamin Platz nehmen können. Jean-Paul setzt sich dazu und wir trinken zunächst einen selbstgemachten Caipirinha. Laurence hat diesen von einem Freund geschenkt bekommen. Das Getränk ist so gut, dass wir zu viert die gesamte Flasche leeren. Dazu gibt es bereits Kleinigkeiten zu knabbern. Auf dem Tisch stehen unter anderem Tomaten und Toastbrot mit einer Creme. Wir berichten von unserer Fahrradtour, zeigen Fotos und lachen zusammen. Die Zeit vergeht so schnell, dass das Wasser bereits eine Weile kocht, bevor wir es bemerken. Michi, der Freundschaft mit den Krabben geschlossen hatte, geht der folgende Prozess nah. Wir wechseln vom Wohnzimmer ins offen anschließende Esszimmer mit offener Küche. Jean-Paul erklärt uns, dass alle Zutaten des Essens entweder aus deren Garten oder aus dem Meer stammen. Als Vorspeise gibt es eine Suppe mit Gemüse aus dem Garten. Es schmeckt richtig gut und wir sind erneut beeindruckt, wie wir verwöhnt werden. Zudem freuen wir uns traditionelles französisches Essen probieren zu dürfen. Nach der Suppe folgen die Krabben. Zunächst stellen wir uns ein bisschen blöd an, doch wir bekommen von Laurence und Jean-Paul Hilfe, wodurch wir den Trick schnell raus haben. Es ist das zweite Mal, dass wir in unserem Leben Krabben essen. Das erste Mal ist erst ein paar Wochen her. In Oban, ebenfalls auf unserer Fahrradreise, haben wir neben Krabben auch andere Meeresfrüchte zum ersten Mal probiert. Es schmeckt uns und wir freuen uns traditionelle Gerichte probieren zu dürfen. Für die Tiere werden wir es jedoch beim Probieren belassen. Als Hauptspeise gibt es Kabeljau mit Süßkartoffeln und zum Nachtisch Kuchen. Das gesamte Essen war köstlich und wir sind am Ende mehr als satt. Während des Essens unterhalten wir uns viel. Es geht ums Radfahren, Nachhaltigkeit und am Ende um politische Themen. Es ist interessant, wie man sich über Generationen gut verstehen kann. Wir genießen den Abend und dann bietet uns Jean-Paul an einen Freund zu fragen, der in Le Havre wohnt. Wenn er zu Hause ist, können wir vielleicht morgen dort schlafen. Dieses Angebot nehmen wir selbstverständlich dankbar entgegen und bereits ein paar Minuten später steht fest, dass wir bei Ben morgen herzlich zum Abendessen und eine Nacht eingeladen sind. So kommen wir die vierte Nacht in Folge ohne Zelt unter. Wie gut es uns doch geht! Dann wird es Zeit von Laurence und Jean-Paul Abschied zu nehmen. Die beiden machen sich zurück auf den Weg nach Rouen, während wir Zelt und Tarp zum Trocknen im Flur auslegen. Anschließend genießen wir eine heiße Dusche und gehen ins Bett. Dort geht uns durch den Kopf, wie viel Glück wir im Leben haben. Wir sind dankbar für die Gastfreundschaft, dankbar das Privileg zu haben Reisen zu können und einfach dankbar für alles. Mit diesen Gedanken schlafen wir ein. Gute Nacht!