Fahrrad-Weltreisetag 194 - Grandiose Ausblicke

Von Cabo da Roca nach Lissabon

Kyra blickt auf die funkelnden Lichter und genießt die letzten ruhigen Minuten des Morgens. „Guten Morgen”, gähnt Michi und reibt sich die Augen. Es ist kurz vor 7 Uhr und wir beide sind wach. Der Leuchtturm am westlichsten Punkt des Europäischen Festlands leuchtet uns im immergleichen Rhythmus an. So langsam haucht die Morgensonne der Szenerie ihren ganz besonderen Charme ein. Wir dürfen unser Müsli mit diesem traumhaften Ausblick genießen, links der Leuchtturm und das Meer, rechts noch glitzernde Städte und Buchten, darüber funkelnde Sterne im schwarzen Himmel, der sich langsam in satten Blautönen färbt. Wir bauen das trockene Zelt ab, als sich lange Schatten an den Felsen hinter den Klippen bilden. Es ist kalt, doch die Sonne wärmt sogleich Haut und Herz. Frido, unsere Drohne, schwingt sich in die Lüfte und saust an den ersten Touristen vorbei, hinaus aufs Meer. Die andere Perspektive ist immer wieder beeindruckend, doch der ablandige Wind frischt auf und so kämpft sich Frido zurück zu uns auf die rettenden Klippen. Alles wird verstaut, die Zähne geputzt und wir radeln zum Kap.

Da sitzen wir und können es kaum glauben. Erneut haben wir traumhaftes Wetter und eine natürliche Grenze des europäischen Festlands erreicht. Nach der nördlichsten in Norwegen ist es diesmal die westlichste in Portugal. Polizisten spazieren an uns vorbei und genießen ihre Streife bei dem Ausblick und Wetter sichtlich. Eine junge Frau an einem Stand voller Ananas möchte uns einen Piña colada verkaufen. Wir lehnen dankend ab, da uns 9:30 Uhr doch etwas früh für einen solchen Drink erscheint. Wir werden stattdessen lieber etwas Ballast los und gehen vor unserem Anstieg noch einmal auf die Toilette. Dann verabschieden wir uns noch von dem sehr freundlichen Herrn, der die Toiletten vermutlich reinigt und beaufsichtigt. Los geht es die asphaltierte Straße zurück, durch das kleine Dorf und zur Hauptstraße. “Wir könnten bereits hier den Berg hoch. Dann ist der Anstieg nicht so lang”, stellt Michi beim Blick auf die Karte fest. “Zeig mir das Höhenprofil!”, erwidert Kyra. Wenngleich beides starke Steigungen beinhaltet, ist die neue Route überzeugender. Wir erklimmen den Berg. Neben, mit Zebramustern bemalten, Safari-Jeeps, denen wir etwas irritiert nachblicken, kommen uns zahlreiche Rennradfahrer entgegen.

Fast alle zeigen uns einen Daumen und wir grüßen ebenso. Ihr Tempo lässt darauf schließen, dass noch etwas Strecke vor uns liegt. Beständig klettern wir durch den naturbelassenen Wald hoch. An haushohen Felsen vorbei, die wie rundgelutschte Bonbons in der Landschaft liegen. Ein Rennradfahrer wendet und fragt uns wohin es geht und woher wir kommen. Er ist begeistert und gleichzeitig schimpft er über die Autofahrer in Portugal, die einfach keinen Abstand halten und somit das Leben anderer riskieren. Nach gestern können wir das bestätigen. Insgesamt wird hier schneller und enger gefahren sowie gerne versucht, sich mit der Hupe Platz zu verschaffen. Allerdings betonen wir, dass auch ein paar nette dabei sind, die Abstand halten und warten, bis der Gegenverkehr vorbei ist. “So it’s might changing and improves over time?”, wirft Michi in den Raum. Er hat die Hoffnung fast aufgegeben und winkt lachend ab. Wir wünschen uns alles gute und bleiben doch positiv gestimmt, sodass wir uns über jedes Fahrzeug freuen, das uns bewusst als Verkehrsteilnehmer und nicht nur als Ärgernis am äußersten Straßenrand wahrnimmt. Wir bahnen uns weiter den Weg hinauf. Nach einem grandiosen Ausblick in Richtung Lissabon, biegen wir links falsch in eine Einbahnstraße ab, die jedoch mit dem Fahrrad gut in beide Richtungen befahrbar sein sollte. Ohnehin kommt es uns seit Tagen so vor, dass Regeln hier zwar gelten, jedoch meist eher als gut gemeinte Ratschläge wahrgenommen werden. Verursacht man durch Missachtung nicht zu viel Ärger, braucht man keinen neuen Katalysator, Parkplatz, funktionierendes Licht, Bauzaun oder gar Bauplan. So machen wir uns schlank und radeln entgegen der Einbahnstraße für Waldarbeiter und Feuerwehr. Auf einmal hupt es hinter uns und das mehrmals auf der engen Straße “Nö, hier lassen wir uns nun nicht von der Straße scheuchen”, denken wir uns beide. Es geht ohnehin nicht, da diese zu eng und mit einer Mauer begrenzt ist. Gleich kommt auch eine breitere Kurve, um den Campervan vorbeizulassen. Doch Moment… wir kennen diesen Wagen doch. Ralf und Virginie winken uns freudig im Vorbeifahren zu. Wir müssen lachen. Doch kurze Zeit später kommen sie uns wieder entgegen. Wir unterhalten uns kurz. “Ihr habt bestimmt gedacht: Was will der denn hinter uns jetzt?”, sagt Ralf lachend. Recht hat er. Zudem sagt er uns, dass es vorne noch enger wird und er gleich von Portugiesen darauf hingewiesen wurde, dass es eine Einbahnstraße sei. Für Fahrräder sei es jedoch kein Problem. Das freut uns. Wir umarmen Virginie, die gleich aus dem Auto gehüpft ist. Doch ein weiteres Auto naht heran und somit trennen sich unsere Wege erneut. Mal sehen, wann wir uns wieder über den Weg laufen. Es geht noch ein gutes Stück hinauf und dann bergab. Menschen und Autos stehen auf der Straße vermutlich vor einem Zugang zu einer der zahlreichen Sehenswürdigkeiten der seit 1995 in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommenen Kulturlandschaft Sintra. Diese beinhaltet neben Burgen und Schlössern, historische Stadtzentren sowie die Landschaft selbst, in Form von Parks und Wäldern mit einer einzigartigen Auswahl an heimischen und exotischen Pflanzen. Alles ohne Vorkenntnisse im Schnelldurchlauf zu besichtigen, würde der Landschaft und der Geschichte dahinter nicht gerecht werden. Doch wir lassen uns von dem, was wir von außen erblicken, verzaubern. Ein Tuktuk, das augenscheinlich an einem besonders guten Ort für ein Foto gehalten hat, markiert für uns gratis ebendiesen. Tatsächlich haben wir einen absolut traumhaften Blick auf den bunten Palácio Nacional da Pena. Kaum zu glauben, dass dieser erst im 19. Jahrhundert auf den Ruinen eines Klosters errichtet wurde und der gesamte Wald umzu künstlich angelegt wurde. Beeindruckt fahren wir weiter bergauf und wieder ab. Erhaschen noch einen Blick auf das Castelo dos Mouros. Diese alte Festung der Mauren wurde nach der Eroberung durch die Portugiesen über die Jahrhunderte dem Verfall preisgegeben. Später erfolgte ein Wiederaufbau auf den verbliebenen Resten, wodurch von der ursprünglichen Anlage kaum mehr als die Grundmauern blieben. Dennoch ist der heutige Zustand ein netter Blickfang, der vor der Stadt Sintra mit ihrem Palast und neben dem Palácio Nacional da Pena nicht minder zum Träumen von einer vergangenen Zeit einlädt. Kurz zögern wir am Haupteingang, ob wir doch in eine der Anlagen gehen sollen, doch die Menschenmassen, Eintrittspreise und der Blick auf die Uhr rufen uns zur Vernunft. Als die Shuttle-Busse nach Sintra halten, drängen sich zahlreiche Menschen. Die einen steigen aus, die anderen wollen einsteigen. Doch es gibt eine weitere Gruppe. Chauffeure wetteifern um Kundschaft. “You like to be quicker and cheaper to Sintra’s center than the bus?”, “Do you wanna TukTuk with me?” oder “Cheap private tour” rufen sie durcheinander und verteilen Flyer. Uns wird’s zu viel. Wir prüfen nochmal, ob Frido fliegen darf. Darf er nur mit einer besonderen Genehmigung, da wir in einer Einflugschneise sind. Auch wenn wir nicht höher als die Burg fliegen wollen, ist es uns den Aufwand nicht wert.

Also stürzen uns dicht hinter den Autos auf dem Kopfsteinpflaster hinab. Eine Abfahrt verpassen wir. Wenden wird uns nur möglich, da uns ein netter Fahrer eines Lieferdienstes auf die andere Seite lässt. Wir haben so Hunger, dass wir heute einfach nachgeben und zu einem Schnellrestaurant am Wegesrand fahren. Erwartungsgemäß sind wir nur kurz satt und haben einen leicht flauem Magen. Aber es musste irgendwie einfach sein. Wir rollen weiter und da Michi heute schon den ganzen Tag an jeder zweiten Tankstelle zuckt, fahren wir nun endlich tanken. Diese ist auch ganze 15 Euro Cent günstiger als die anderen. Unter zweifelnden Blicken gleiten Emil und Elias in eine Warteschlange. Interessiert und ungläubig verfolgen die Umstehenden jeden unserer Schritte. Am Ende haben wir etwa 1,25 L Benzin gezapft. Unser Multifuel-Kocher, der Drache, freut sich schon auf das Bereiten vieler leckerer Speisen. Die Dame am Zahlschalter muss lachen, als wir frisch vollgetankt die ziemlich genau 2 € bezahlen. Entspannt werfen wir uns in den Feierabendverkehr. Es geht durch immer größer werdende Straßen in Richtung Lissabon. Die Gewerbegebiete weichen Wohnblocks. Wir strampeln durch bessere und schlechtere Gegenden im weiter zunehmenden Verkehr. An einer Straßensperre überlegt eine Polizistin kurz, ob sie uns anhalten soll. Macht sie nicht und so gelangen wir ohne Verzögerung zum Campingplatz, da sich keiner der Warmshower-Kontakte, eine Couchsurfing Community,  zurückgemeldet hat. Wir checken ein, bauen das Zelt in der Dämmerung auf und gehen erst einmal duschen. Dann tragen wir Elektronik und “Küche” zu den Steckdosen neben dem Waschhaus, kochen und laden die Powerbanks auf. Der Drache speit Feuer und somit gibt es Reis mit Gemüse und Joghurt als Nachtisch. Parallel laden wir die Powerbanks und weitere Elektronik. Erschöpft fallen wir auf die Isomatten. Michi schreibt noch etwas Blog und wir schlafen ein. Gute Nacht!