Fahrrad-Weltreisetag 201 - Letzter Radtag des Jahres (19.12.2024)
Von Luz nach Ferragudo
“Kiikerikiiii” ruft es laut durch die Nacht. “Kiiiiiiikkerikiiiiii, Kiiikeriki, Kikkkkerikii” ruft es weiter. Die Hähne von Femke scheinen sich bereits ohne Sonnenschein auf den Tag zu freuen. Es ist drei Uhr in der Nacht und es ist stockdunkel. In den Ruf stimmen die Hähne der Nachbarschaft mit ein. Aus allen Richtungen wehen die Rufe zu uns herüber. Da das erneute Einschlafen etwas schwer fällt, stöbert Kyra im Internet für den Grund des Krähens. “Hähne rufen, um ihr Revier zu markieren. Hören sie einen anderen Hahn rufen, dann stimmen sie mit ein”, fasst sie zusammen. Und das eben auch um 3 Uhr nachts… Wir nutzen die Gelegenheit und gehen zusammen auf Toilette. Draußen ist es durch den vergangenen Vollmond noch immer so hell, dass wir keine Taschenlampe benötigen. Als wir zurückkommen, schläft Kyra wieder ein. Für Michi ist die Nacht jedoch vorbei. Als um 7 Uhr die Sonne langsam die Landschaft erhält, erwacht auch Kyra wieder. In unserem Zelt war es die gesamte Nacht über sehr warm. Vielleicht war es sogar eine der wärmsten Nächte der letzten Monate und das im Dezember. Verrückt! Es war auf jeden Fall im Jahr 2024 unsere letzte Nacht im Zelt, denn heute ist der große Tag gekommen, an welchem wir an unserer Unterkunft von Airbnb in Ferragudo ankommen. Wir freuen uns bereits sehr und der Tag startet mit guter Laune. Wir packen die Sachen im inneren des Zeltes zusammen, aber lassen es zum Trocknen noch stehen. Damit es etwas schneller geht, wischt Kyra das Zelt von außen ab, während Michi einen Kaffee und Frühstück vorbereitet. Während wir die freie Zeit genießen, bekommen die zahlreichen Tiere von Femke durch die zwei Ehrenamtlichen Futter. Die beiden sind ebenfalls aus Deutschland und bleiben über die Feiertage hier. Normalerweise sind sie mit dem Camper unterwegs, doch das enge Leben auf engsten Raum schrie nach einer Pause, wodurch sie hier gelandet sind. Gegen Arbeit im Garten und mit den Tieren dürfen sie umsonst wohnen und bekommen auch Essen. Zudem unternehmen sie manchmal gemeinsame Sachen, wie das Singen gestern Abend. Als wir aufgegessen haben, kommt Femke zu uns. Sie macht sich einen Tee und bietet uns ebenfalls einen an. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Sie erzählt uns von ihrem Leben und wir tauschen uns übers Reisen aus.
Vor 8 Jahren ist Femke mit ihrem Mann und den zwei Töchtern von Belgien nach Portugal gekommen. Der Mann ist jedoch viel unterwegs, da er für die EU arbeitet. Hier fühlen sie sich wohl. Die Kinder haben in Portugal mehr Zeit in ihrem Leben verbracht, als in Belgien. Durch die vielen Besucher*innen, dem Heimatland mit zwei Sprachen und Portugal können die Kinder vier Sprachen fließend sprechen: niederländisch, französisch, englisch und portugiesisch. Unglaublich. Die beiden haben zu Hause Homeschooling und lernen auf unterschiedliche Arten. Mal durch Lesen, Erleben, mit Femke oder Privatlehrern. Damit ihnen später jedoch alle Türen offen stehen, schreiben sie Prüfungen mit und machen ihren Abschluss. Erst vorgestern hatten wir durch ein Gespräch mit Tom über Unterricht zu Hause nachgedacht und die Vor- sowie Nachteile diskutiert. Andere Lebensweisen finden wir immer interessant, auch wenn wir für einige selbst vielleicht zu spießig oder sicherheitsbedacht sind. Trotzdem bewundern wir die Menschen und ihre Art zu leben. Femkes jüngere Tochter kommt hinzu. Als wir unser kleines Gastgeschenk – Ostfriesentee mit Link zu unserer Internetseite mit Erklärungen der Teezeremonie – übergeben, erzählen die beiden freudig: “we have also a small present”. Obwohl die beiden bereits so viel für uns getan haben, steht Femke auf und verschwindet kurz. Mit einem kleinen Holzschächtelchen kommt sie zurück. Sie erklärt uns: “The contents of the box represent your dreams and memories. Take one and let it travel with you. Then find a place for it at home and you can always remember the trip.” Dann öffnet sie die Box und wir müssen lachen. In ihr liegen viele kleine geflügelte Einhörner mit Krönchen. “Please, choose one”, sagt sie. Wir suchen uns ein Einhorn mit grünen Flügeln aus, da grün unsere Lieblingsfarbe ist. Bei der Entscheidung sind wir uns sofort einig. Anschließend werden wir noch zum Mittagessen um halb 1 Uhr von Femke eingeladen. Bis es soweit ist, haben wir noch circa eine Stunde Zeit. Wir nutzen diese, um das Zelt abzubauen und unsere Drahtesel zu satteln. Als wir fertig sind kommt Femkes Tochter: “food is ready”. Gemeinsam mit den anderen beiden, die gerade eine kurze Arbeitspause gemacht haben, gehen wir zur Terrasse mit dem runden Tisch. Es gibt einen grünen Salat mit Tomaten, Kohl mit Äpfeln und Sahnesoße sowie Kartoffeln. Dazu selbstgemachte Knoblauchmayones. Super lecker! Während wir genießen machen wir uns bereits im Stilen Gedanken, was wir die kommenden Tage in unserer Unterkunft kochen wollen. Gemüse steht definitv oben auf der Liste. Wir tauschen uns aber auch über unsere Reisen aus und reden über ein fürs Reisen wichtiges Thema: Geld. Femke und ihre Töchter berichten von zwei jungen Frauen, die da waren und ohne Geld gereist sind. Sie fühlten sich von beiden ausgenutzt, obwohl sie bereits viele Gäste hatten, die kostenfrei übernachtet haben. Auch wir sind kostenfrei zum Schlafen hier und wurden sogar zum Essen eingeladen. Doch es ist ein Unterschied, mit welchen Erwartungen man auf Menschen zu geht und ob bzw. wie man Dankbarkeit zeigt. Die beiden haben anscheinend nur für Instagram so getan, als würden sie bei Femke aushelfen und haben nach ein paar Fotos direkt wieder aufgehört. Schade, dass es unter Radreisenden auch so etwas gibt. Nach dem Essen verabschieden wir uns. Femke begleitet uns noch zurück zu den Drahteseln. Sie hat zwei kleine Anhänger bei sich, die wie Weihnachtsbaumschmuck aussehen. Grinsend übergibt sie uns diese. Wir bedanken uns, umarmen uns und machen ein Foto zusammen. Dann wird es Zeit zu gehen. Es ist bereits Nachmittag und wir haben noch circa 35 km vor uns. Als wir die ersten Meter den Hügel hinauf fahren sehen wir einen der Hunde von Femke am Straßenrand. Er guckt uns neugierig an und folgt uns. Selbst als wir anhalten, scheint er am liebsten bei uns bleiben zu wollen. Aus diesem Grund lässt Michi das Rad stehen und läuft mit dem Hund namens Luba zurück. Er war aufgrund der Nachbarhunde über den Zaun gesprungen und seitdem über die Straße gestreunert. Allgemein stellen wir bereits seit Spanien fest, dass der Umgang mit Hunden häufig ein anderer ist. Bei Femke bleiben die Hunde alle auf dem Gelände, wie wir es aus Deutschland kennen. Doch bei spanischen oder portugiesischen Familien streunen die Hunde häufig wie Katzen durch die Nachbarschaft. Michi kommt schnaufend zurück: “Das Stück ist länger und steiler zu Fuß, als es auf dem Fahrrad aussah”. Wir müssen lachen und rollen die letzten Meter hoch, bevor es zur Hauptstraße geht. Wir werden von dieser wieder heruntergeführt, nur um ein paar Metern der Nebenstraße zu folgen, bevor wir wieder zurück auf der Hauptstraße sind. Dieses Spiel mögen wir nicht so gerne und entscheiden uns sogleich auf der Hauptstraße zu bleiben. Ein breiter Seitenstreifen macht dies gut möglich.
Dann rauschen wir nach Lagos hinab, wobei wir viele Kreisverkehre durchfahren müssen. Mittlerweile sind wir an die zweispurigen Kreisverkehre jedoch gut gewohnt, ordnen uns je nach Ausfahrt richtig ein und fahren zielsicher mit den Autos hindurch. Wer in der ersten Ausfahrt gleich abbiegt darf rechts bleiben, wer jedoch eine der späteren Ausfahrten nimmt, soritert sich links ein. Eigentlich ein gutes System, wenn nur alle beim Herausfahren blinken würden. So schnell wir Lagos erreicht haben, verlassen wir die Stadt wieder und folgen dem Eurovelo 1 dem Ria de Alvor entlang. Nach einer Unterführung treffen wir auf Vater und Sohn, die einen Platten haben. Wir fragen, ob wir helfen können und sind schnell im Gespräch und Fahrradreparatur verwickelt. “Rate mal wie alt ich bin!”, sagt der Junge zu Kyra. “7?”, fragt Kyra. Und tatsächlich wird er in wenigen Monaten 7 Jahre. “Und wie heiße ich?”, fragt er Kyra weiter. “Oh… Das ist schwer, wie ist denn der erste Buchstabe?” fragt Kyra, die das Spiel mitmacht. Nach einer Weile raten während die Vulkanisierung vom flicken trocknet wissen wir die ersten drei Buchstaben: Lin. Wir lenken ab, bis der Vater seinem Sohn beim Namen nennt. “Jetzt weiß ich es”, sagt Kyra stolz. “Lino”, sagt sie und Lino lacht. Als das Fahrrad fertig geflickt ist und auch unsere Drohne freudig inspiziert wurde, entscheiden wir spontan noch ein paar Kilometer zusammen zu fahren. Lino fährt mit seinem Mountainbike wie ein Weltmeister neben uns her. Das Wetter zeigt sich dabei von seiner besten Seite. Die Sonne strahlt stark und uns ist in kurzer Hose und T-Shirt richtig warm. 20 °C Ende Dezember, wie verrückt ist das denn? Als wir den nächsten Ort erreichen verabschieden wir uns von Philipp und Lino. Die beiden gehen auf die Jagd nach Eis und wir folgen der Navigation zur Ferienwohnung. Weit ist es nicht mehr und schnell ist Portimão erreicht.
Wir radeln durch die Stadt der Brücke entgegen, die Portimão mit Ferragudo verbindet und über den Fluss Arade führt. Auf der anderen Seite angekommen gehen wir einkaufen, um für die nächsten Tage gut ausgestattet zu sein. Wir haben einiges vor und wollen die Zeit ohne Einkaufen nutzen. Als wir auf die letzten Kilometer starten sind unsere Taschen prall gefüllt und die Drahtesel sehr schwer. Jeder Meter fordert die Räder, denn der zweite Kranz ist mittlerweile so abgefahren, dass eigentlich nichts mehr geht. Irgendwie schaffen wir jedoch auch die letzte Steile Steigung und stehen endlich vor dem Haus, in welchem unsere Ferienwohnung für die nächsten 15 Nächte wartet. Der Code für die Tür ist schnell gefunden und eingegeben. Zum Glück fährt uns ein Aufzug gemütlich mit Rädern und Gepäck nach oben. Während der Fahrt kann man aus der Scheibe schauen, denn der Aufzug ist zur Außenwand mit einer großen Fensterscheibe ausgestattet. Alles ist neu und modern. Nachdem die Wohnungstür geöffnet ist, atmen wir tief durch: Geschafft! Unser letzter Radreisetag im Jahr 2024 ist beendet. Nach fast 7 Monaten und mehr als 10800 km nehmen wir uns 2 Wochen Radpause. Wir können es noch gar nicht glauben und räumen mit zahlreichen Gedanken im Kopf die ersten Taschen aus. Zum Abendessen gibt es im Ofen gebackenes Gemüse mit selbstgemachten Zaziki und Hummus welches himmlisch schmeckt. Nun heißt es duschen, schlafen und gespannt sein, was die nächsten Tage bringen. Gute Nacht!