Tag 46 - Verbotener Zeltplatz (17.07.2024)
Von Kinross nach Tayport
Vögel zwitschern über uns und die Zelttüren wiegen sich langsam im Wind. Es ist 8:01 Uhr, als wir auf die Uhr schauen und die Entscheidung treffen, wir stoppen heute unsere Abbauzeit. Trotz der Zeitaufnahme machen wir alles ganz gemütlich und in Ruhe. Der Schlafsack wird eingepackt, die Isomatte gefaltet, gerollt und ebenso eingepackt. Anschließend werden alle Schlafsachen in Kyras Rack-Pack verstaut. Anschließend räumen wir alle Wertsachen, wie Elektronik aus dem Zelt und unsere Anziehsachen, die zum Glück über Nacht im Außenzelt gut getrocknet sind. Unsere neue Taktik seit dieser Reise ist, alle wichtigen Anziehsachen, wie z.B. Unterwäsche im Innenzelt aufzuhängen und alle anderen Anziehsachen im Außenzelt. So werden sie bei Regen nicht nass und können zumindest bei der hohen schottischen Luftfeuchtigkeit ein bisschen trocknen. Das Zelt lassen wir erstmal noch stehen, denn das bisschen Sonne in Verbindung mit Wind trocknet es sanft. Währenddessen gibt es Frühstück. Zunächst trinken wir einen Kaffee und essen Müsli. Die Milch reicht kaum noch und so verdünnt sich Michi seins mit Wasser. Warmgemacht wird das Müsli fast zum Haferschleim und mit ein bisschen Marmelade schmeckt es richtig lecker. Anschließend waschen wir uns, ziehen uns um und bauen das Zelt ab. Stopp! Es ist 10:31 Uhr. Genau 2,5 Stunden haben wir für den gesamten Morgenrhythmus gebraucht. Wow. Das ist schon ein bisschen Zeit, aber wenn man bedenkt, wie lange man für Frühstück und Duschen zu Hause braucht, wo alles etwas einfacher geht, ist es ganz okay.
Als wir uns langsam auf den Weg machen wollen und unsere Übernachtungsstelle der letzten zwei Nächte verlassen, fällt uns auf, dass wir nicht nur alle Vorräte wie Nudeln, Reis und Couscous aufgegessen haben, sondern auch so gut wie nichts mehr zum Trinken haben. Der nächste günstige Supermarkt liegt jedoch 60 km entfernt. Das ist ein Stück, aber wir haben schon weiteres ohne Essen geschafft. Unser Start der Route führt zunächst in kleiner Entfernung am See entlang. Es ist ein herrlich grüner Weg und zu unserer Linken können wir einige Lavendelfelder betrachten. Immer wieder kommen uns Hundebesitzer*innen auf einem Spaziergang entgegen. Wir grüßen uns nett und fahren bzw. gehen jeweils an die Seite. Der Weg ist zwar schmal, doch es funktioniert erstaunlich gut. Als wir den See verlassen und an einem Café vorbeifahren, wird es sogleich uneben. Ein leichter Anstieg führt uns hinauf und wir können einen letzten Blick auf den See zurückwerfen. “Wie schön das Wetter ist”, stellt Kyra entzückt fest. Wir haben Sonnenschein und 24 °C. Was ein Luxus und wunderschöner Tag. Und der Tag wird noch besser. Unser Weg führt zum Lomond Hills Regional Park, wo uns die Wege immer weiter sanft bergauf führen. Außer uns sind nur wenige Autos auf der Straße und vielleicht deshalb hält eins der Autos immer wieder an, wird von uns überholt, nur um auf der schmalen Straße erneut uns überholen zu wollen. Das Spielchen machen wir ganze dreimal, bis Michi sagt: “Nochmal mache ich das nicht mit!”, da wir jedes Mal trotz Steigung an den Rand der Straße fahren müssen und erneut losfahren, sobald das Auto an uns vorbei ist. Und als hätten sie es gehört, das Auto überholt uns kein weiteres Mal, sondern bleibt in einer Parkbucht stehen.
Kurz darauf sehen wir auch, was das Ziel der beiden Insassen sein könnte, ein kleiner Berg türmt sich rechts von uns auf und einige Wanderer machen sich auf den Weg. Drei davon sprechen Kyra an. “Is that solar on the back?” fragt einer. Kyra bleibt stehen und klärt auf. Es werden weitere Fragen zur Reise gestellt und Michi, der bereits etwas weiter vorne war, kommt hinzu. Wir unterhalten uns kurz über die Reise und die drei sind begeistert. Scherzhaft schlagen sie vor: “You can accompany us up the mountain!” und Michi antwortet: “Yes, sure! And you carry the bags?” Wir lachen und die drei müssen langsam los. Ein langer Weg trennt sie noch vom Gipfel. Auch wir fahren weiter und stellen fest, dass wir den ersten Tagesanstieg geschafft haben. Mit hoher Geschwindigkeit rollen wir hinunter und fahren an einer Familie vorbei, wo einer der Jungs sicher feststellt: “These are e-bikes!” und dabei auf Emil und Elias zeigt. Sind wir schon so schnell, dass wir für E-Bikes gehalten werden? Was für ein Kompliment! Nach einer schmalen Rechtskurve ist das Abfahrtsvergnügen auch schon vorbei und ein weiterer, wesentlich steilerer Abschnitt wartet auf uns. Wir werden von einem Paar auf E-Mountainbikes überholt, die uns ebenfalls fragen, ob wir mit Motor unterwegs sind. Zunächst rollt der Mann an Kyra vorbei und sie verneint. Da er es nicht recht zu glauben scheint, fragt er anschließend nochmal bei Michi, welcher ebenfalls verneint. Als die beiden mit ihrer Unterstützung etwas Vorsprung aufgebaut haben, müssen wir noch leicht schmunzeln. Kurze Zeit später ist auch dieser Anstieg geschafft und zu unserer Linken erscheint ein Hofcafé mit Verkaufsstelle und Campingplatz. Wir nutzen die Gelegenheit, um nachfragen, ob wir unsere Trinkflaschen auffüllen können. Da alles so köstlich aussieht, trinken wir zudem ein Kaffee und essen jeweils ein Stück Kuchen, Ginger Bread und Lemon Claypie. Lecker, aber ganz schön teuer. Bevor es weitergeht suchen wir noch die Toilette auf und fühlen uns etwas leichter. Wie schon unsere Tour zum Nordkap, lässt uns diese ebenfalls zu kleinen Dieben werden. Michi kommt mit einer handvoll Toilettenpapier aus der Toilette “Du sagtest, wir hätten kaum noch welches” und grinst dabei. Sehr gut! Somit sind wir, bis auf Essen, wieder voll ausgestattet.
Wir fahren an einem kleinen Festival vorbei, durch einen schönen Ort und sind erneut auf einem steilen Anstieg, der jedoch noch gut zu schaffen ist. Von hinten kommt ein Rennradfahrer angefahren und motiviert uns. Graham ist sofort begeistert und fährt ein ganzes Stück mit uns. Er ist vor kurzem zum dritten Mal in Rente gegangen und meint, dass es nun wirklich reicht. Morgen ist der errechnete Geburtstermin für sein Enkelkind und er scheint ziemlich aufgeregt. Dafür wünschen wir ihm und natürlich den werdenden Eltern alles Gute! Während wir zusammen bergauf und bergab fahren, erzählt er, dass die Familie seiner Frau aus Italien kommt. Er ist von hier bis nach Italien geradelt, seine Frau hat ihn währenddessen mit dem Camper begleitet, so konnten sie jeden Abend gemeinsam verbringen und gemütlich im Camper schlafen. Er musste zudem nicht viel auf dem Fahrrad schleppen. Was für eine schöne Idee! Trotzdem blick er auf uns und sagt, dass er ein bisschen “neidisch” ist. So eine lange Auszeit mit dem Fahrrad scheint auch ihn zu begeistern. Als sich vor uns ein fantastischer Blick auf seine Heimat ausbreitet, bleiben wir in einer Kurve stehen und machen gemeinsam ein Foto. Wunderschön ist der Blick in die Ferne. In der Ecke steht ein Gedenkstein an einen bekannten Freund seines Vaters. Charlie war ein lokaler Politiker und ist leider bei einer Rennradtour in Spanien plötzlich verstorben. Graham fährt die Strecke häufig und erzählt, dass er im Vorbeifahren immer gedanklich grüßt: “Hi Charlie, how are you”. Traurig, aber was für ein famoser Ort, um an ihn zu denken. Kurz darauf trennen sich Grahams und unsere Wege. Er biegt links nach Cupar ab und wir fahren weiter geradeaus in Richtung St. Andrews. Ein kurzer steiler Anstieg führt uns zur Hauptstraße. Auf diesem kommen uns vier Rennradler*innen entgegen und alle vier feuern uns kräftig an. Was für meine Motivationsspritze! Wir freuen uns sehr und unsere Laune hebt sich noch weiter an. Heute scheint alles perfekt! Tolles Wetter, grandiose Aussichten, schöne Steigungen und Abfahrten sowie unglaublich freundliche Menschen. Was für ein perfekter Radtag!
Es geht erneut bergab und wir fahren in eine Art kleine Schlucht. Ein Bachlauf mit glasklarem Wasser plätschert neben uns. Auf der rechten Seite ist ein Wasserfall und sorgt für Nachschub. Die Bäume um uns herum spenden zudem Schatten und eine angenehme Kühle umgibt uns, bevor unser letzter Anstieg vor uns auftaucht. Wir treten noch einmal kräftig in die Pedale und kommen leicht verschwitzt oben an. Um uns herum stehen Luxus Lodges und vor uns breitet sich ein super Blick zum Meer aus. Immer wieder kann uns dieser blaue Anblick einfach nur verzaubern. Geschwind rollen wir nach St. Andrews und gehen bei Aldi einkaufen. Unser Mittagessen verdrücken wir zugleich auf einer nahegelegenen Bank, neben dem Botanischen Garten. Eine Frau kommt vorbei und sieht uns essen. Sie ist äußerst begeistert und verschenkt ihrer Freude viel Ausdruck. Wir sollen ihr den Namen “Drahteselzeit” aufschreiben und sie hält sogleich ein junges Paar an, welches an uns vorbei läuft: “The two are on a trip around the world! By bicycle! Is that to be believed!” sagt sie. Den beiden bleibt nichts übrig, als uns sofort auf instagram zu folgen. Wir alle müssen lachen. Die Frau fragt uns, wie wir St. Andrews finden und meint, wir müssen unbedingt ein Buch über unsere Erfahrungen schreiben. Nach einem kurzen netten Gespräch, geht sie weiter ihren Weg und wir essen auf. Als wir weiterfahren, verstehen wir, was Graham vor einigen Stunden zu uns sagte. St. Andrews scheint zur Hälfte aus Golfplätzen zu bestehen. Wie wir durch Michis Vater kurze Zeit später erfahren, sitzt in St. Andrews der Weltverband. Er schreibt: “Das sind die Regelhüter des Golfsports. Es gibt sehr exklusive Clubs, aber auch äußerst bodenständige mit günstiger Bewirtschaftung.” Spannend, was für Orte wir mit dem Fahrrad bereisen.
Zwischen zwei Golfplätzen liegt ein großes Militärübungsgebiet und wir hören immer wieder Schüsse aus der Ferne, bevor wir in ein schönes Waldgebiet fahren, welches uns zur Küste zurückführt. Als wir gerade nach einem Schlafplatz bei Google Maps suchen, kommen zwei Männer auf uns zu. Die beiden gucken uns an und müssen lachen. Wir sind anscheinend sichtbar etwas irritiert, bis die beiden vor uns stehen. “Don’t you recognize us? We stood next to each other at the campsite in Edinburgh”, sagt einer der beiden. Tatsächlich! Nun erkennen wir sie. Was für ein lustiger Zufall. Wir erzählen einander, was wir die letzten zwei Tage erlebt haben und bekommen berichtet, dass es bis Samstag mit nur wenig Regen ganz schön bleibt. Am Samstag hingegen, soll es in ganz Schottland ziemlich regnen. Aus diesem Grund fahren die beiden zurück in Richtung Süden. “The sun is shining in London”, sagen sie und verabschieden sich lächelnd. Auch wir machen uns auf den Weg und fahren zu einem Spot, den Kyra auf dem Handy zum Übernachten ausgemacht hat. Nach wenigen Minuten kommen wir auf der kleinen Grünfläche neben dem alten Leuchtturm, unmittelbar neben der Stadt Tayport, an. Es steht bereits ein Zelt mit Auto dort und wir fragen freundlich, ob wir uns dazu stellen können. Der Mann bejaht und macht neben seinem Zelt ein kleines Feuer. Sein Hund kommt uns begrüßen und fühlt sich bei uns anscheinend sofort wohl. Er legt sich neben uns und schnüffelt einmal alle Taschen an. Als der Mann fragt, wo wir herkommen und was wir so vorhaben, erzählt er, dass er hier zeltet, seitdem er 15 Jahre alt ist. Jedoch ist Zelten an dieser Stelle verboten und zeigt auf ein Schild. Mist! Das hatten wir gar nicht gesehen.
Wir sind verunsichert und diskutieren kurz, was wir machen sollen. Bevor wir jedoch eine Entscheidung treffen, bleibt ein Auto kurz stehen und weißt unseren Zeltnachbarn daraufhin, dass hier zelten verboten ist. Ihm scheint das egal zu sein. Er lässt mit seiner Freundin das Feuer und sein Zelt unbeaufsichtigt und fährt mit dem Auto davon. Wohin? Vielleicht einkaufen oder mit dem Hund spazieren? Wir wissen es nicht. Wir hingegen, haben ein ganz schlechtes Gefühl. Innerhalb weniger Minuten haben wir unser Zelt wieder abgebaut und sind verschwunden. Mit ungutem Gefühl irgendwo zelten? Das ist für uns kein guter Weg. Vor allem nicht, wenn es verboten ist. Zum Glück waren wir nur 3 km vor dieser Stelle an einer kleinen Wiese am Meer vorbei gefahren. Auf dieser standen einladend Bänke und Tische. Zu dieser Wiese fahren wir zurück und bauen erneut alles auf. Anstatt komisch zu gucken, wie neben dem alten Leuchtturm, lächeln die Menschen uns nun zu. Dadurch wissen wir, wir haben die richtige Entscheidung getroffen, auch wenn uns diese circa 60 min insgesamt gekostet hat. Mit Mückentanz, um nicht gestochen zu werden, kochen wir asiatisch und verschwinden mit Blick auf das entfernte Meer (Niedrigwasser) ins Zelt. Gute Nacht!