Tag 47 - Burg, wir kommen!
Von Tayport nach Dunnottar Castle
Das kühle Wetter schreckt Michi nicht ab in kurzer Hose und T-Shirt aus dem Zelt zu treten. Die Mücken schlafen zum Glück noch und so frühstücken wir Müsli mit einem grandiosen Ausblick über die Flussmündung nach Dundee. Austernfischer rufen und wecken Heimatgefühle. Ein kurzes Tröpfeln holt uns zurück in die schottische Realität. Kyra grüßt fast dauerhaft Hundebesitzer*innen. Die sind bereits wieder früh auf den Beinen und scheinen ebenso ein anderes Wärmeempfinden zu haben. Wir packen zusammen. Als alles verstaut ist, sehen wir eine Gravel-Bikerin am Fuße des Schotterwegs anhalten. Als wir näherkommen, hören wir gerade noch ihre letzten Fetzen des Telefonats… auf Deutsch. Wir grüßen mit einem freundlichen: “Guten Morgen.” So lernen wir Lisa kennen. Sie kommt gerade von einem Event für Gravel-Begeisterte und ist für ein paar Wochen in Schottland unterwegs. Etwas wehmütig denkt sie an die schönen, wenngleich feuchten Tage in den Highlands zurück. Nun geht es für sie in den „unspektakulären“ Süden Schottlands. Sicherlich haben wir die Highlands noch nicht gesehen, aber wir können sie aufheitern. Denn die kommenden Abschnitte sind weiterhin landschaftlich und ebenso von den Steigungen und Bodenbeschaffenheiten nett – auch zum Graveln. Im Gespräch fällt uns ihr Buff und ihre Kappe auf. Beide versehen mit Werbung für Komoot. Für alle, die es nicht kennen, ist Komoot eine Navigationssoftware für alles, was mit Wandern oder Fahrradfahren zu tun hat. Wir nutzen diese ebenso zur Routenplanung, als auch für die Navigation. Tatsächlich arbeitet Lisa sogar für das Unternehmen und so können wir uns gleich noch etwas zur Software austauschen. Es ist erfrischend zu sehen, wie Lisa ihre Arbeit lebt und offen für Fragen und Anregungen ist. Einfach einmal mehr eine spannende Begegnung. Wir geben noch einen Tipp für einen netten Schlafplatz und dann müssen wir alle doch so langsam weiter. Es gilt ein paar Kilometer und weitere Abenteuer zu erradeln. Wir verabschieden uns und radeln zurück nach Tayport. Es geht zum dritten Mal durch das Gatter. Insbesondere Emil muss sich schlank machen, um noch durchzuschlüpfen. Wir radeln an unserem gestrigen Erstversuch eines Schlafplatzes in der Region vorbei. Dieser ist bereits verlassen. Dann geht es schnellstmöglich zur Brücke nach Dundee. Kyra nascht noch ein paar Himbeeren und eine Katze streunt uns hinterher. Sie entscheidet sich schließlich doch für ihre gewohnte Umgebung. Dann geht es vorbei an den verführerischen Düften eines kleinen Imbiss vor der Brücke. Es riecht nach frisch gebratenem Speck, Toast, Butter, Kaffeeeeee….mhmmmmm…. Nein! Wir bleiben stark und finden uns im wahrsten Sinne auf der Mitte der leicht abfallenden Brücke wieder. Der Fahrrad-/Fußgängerweg führt genau zwischen den Autostraßen nach und von Dundee schnurgerade unter der Straßenbeleuchtung entlang. Auf der anderen Seite erwartet uns ein Fahrstuhl.
Aus der Stadt heraus besticht Dundee durch erstaunlich gute und schön an der Uferpromenade angelegte Radwege. Wir genießen die frische Brise und ein paar Sonnenstrahlen im Gesicht. Salzige Luft umgibt uns und plötzlich hallen Schüsse durch die Luft. Ein Übungsgelände des Militärs taucht neben uns auf und die Soldaten sind bereits sehr aktiv. Die Golfer des Golfplatzes scheinen die MG-Salven nicht in der Konzentration zu stören. Geübt, schlagen sie ab, puten ein und erfreuen sich am Spiel. Große Zelte und Werbeaufsteller kündigen ein Seniorenturnier an. Neben einigen schönen Hotels und Autos erblicken wir erneut die Nordsee. Welch traumhafte Kulisse, um ein paar Löcher zu spielen. Ein in unseren Augen schöner Platz reiht sich hier seit ein paar Tagen an den nächsten. Wobei es heute tatsächlich ein besonders engmaschiges Netz von Plätzen zu sein scheint. Dann folgen wir der Bahn weiter an der Küste entlang und gelangen so nach Arbroath. Wir entscheiden uns, trotz zeitweiser Ermüdung und Hunger noch die paar Kilometer zu einem Café zu machen, um anschließend in Montrose einzukaufen. Mit Schokolade und Pfefferminz Bonbon pushen wir uns die Hügel hinauf und erhaschen so immer wieder faszinierende Ausblicke über das Meer. Wir sind so fasziniert, dass wir tatsächlich an dem Café vorbeifahren. Es hätte ohnehin nur noch 30 Minuten bis 16 Uhr geöffnet. Wir rauschen hinab zum Bahnhof von Montrose. Kyra springt in den Aldi und kauft ein paar Kleinigkeiten für gleich und Müsli sowie Pizzen für den Abend.
Aus der Stadt hinaus rollen wir, dem EuroVelo 12 folgend, über groben Schotter zum St. Cyrus National Nature Reserve. Hier lassen wir uns vor unserem letzten großen Anstieg des Tages auf ein paar Parkbänke fallen und verspeisen einen Großteil der Pflaumen. Die Muskeln schalten bereits in den Schlafmodus um. Doch der folgende Anstieg reißt sie aus der Erholung. An einem beeindruckenden, alten Anwesen mit 13 Kaminen vorbei geht es steil hinauf zur Bundesstraße. Diese schlängelt sich mit entspannter Steigung an der Küste entlang. Als wir vor der Entscheidung Variante Off-Road EuroVelo 12 oder Asphalt stehen, brauchen wir keine Sekunde. Bundesstraße. Es sind wenig Autos unterwegs und wir schalten das Licht an. Die 85 km haben wir voll. In der Abenddämmerung fahren wir weiter in Richtung einer Vogelbeobachtungshütte. Kurz davor entdeckt Michi einen kleinen Bachlauf. “Sollen wir uns noch schnell waschen?”, fragt er freudig und doch zögerlich. “Wenn du magst”, antwortet Kyra. Doch der steile Abhang hindert uns an der Umsetzung des Unterfangens. Schade, aber eine Verletzung wäre nun wirklich unnötig. Also weiter und… nach 92 km stehen wir vor einem verschlossenen Tor. Man erreicht die Hütte nur noch über einen Wanderweg… Also fahren wir zurück, um zum Zugang dessen zu gelangen. Die eingezeichneten Stufen in der Karte sind tatsächlich vorhanden und auch wirkliche Stufen, sodass wir Emil und Elias zeitweise tragen müssten. Dennoch erhaschen wir einen wunderschönen Blick auf einen Wasserfall und die Seevögel. In dem Ort gibt es noch einen schönen Strand. Wir sehen zunächst zu Fuß nach und… Es ist eindeutig zu steil. Ein kleiner, nasser Graspfad führt an der Steilküste entlang hinab. Kommen die Esel da ins Rutschen, ist die Reise definitiv vorbei. Abpacken und hinuntertragen ist auch keine Option, da es gut 300 m sind. Es hilft nichts, wir müssen weiter.
“Wir werden schon etwas finden”, denken wir uns. Erschöpft radeln wir zurück , wie wir gekommen sind. Allerdings verlassen wir nun den EuroVelo und fahren auf schnellstem Weg weiter auf der Bundesstraße. Als wir erneut auf den EuroVelo stoßen führt uns dieser direkt am Dunnottar Castle vorbei. Wir rollen hinab und es ist atemberaubend. Es thront auf einem Felsen über der rauen See. Tatsächlich ist es auch um 21 Uhr noch gut besucht. Wir sehen keine Schilder, dass das zelten oder Übernachten verboten wäre und so suchen wir uns unweit eines Pärchens einen netten Platz mit einem unbezahlbaren Blick auf die Ruine. Wie sich herausstellt ist das Pärchen schottisch/deutsch und als die junge Schottin meint, ”Ich denke es ist in Ordnung hier zu campen, warum nicht?”, ist Michi auch beruhigt. Wir kriechen in unsere Schlafsäcke und genießen die alten Mauern, Möwen und Sonnenstrahlen aus dem warmen Zelt heraus. Gute Nacht!