Tag 103 - faszinierende Natur (12.09.2024)
Von Tawnyard nach Tra Sailin
Über uns blinken tausende von Sternen und in der Mitte scheint die Milchstraße sichtbar zu sein. „Guck mal da, der große Wagen! Und dort, der ist besonders hell“, zeigt Kyra in den Himmel. „Das könnte die Venus sein“, überlegt Michi. „Oh, ja… Guck mal dort! Der Polarstern“, zeigt Kyra weiter. Der Himmel ist in dieser Nacht so unglaublich klar und sternenreich, dass wir uns trotz Kälte kaum lösen können. Es sieht wunderschön aus. Doch nach der schnellen Pipipause gehen wir zurück ins Zelt und den warmen Schlafsack. Zunächst können wir beide nur schwer einschlafen, doch dann, als es anfängt zu regnen, schlafen wir beruhigt sein. Am nächsten Morgen macht sich der Schlafentzug sofort bemerkbar. Michi schläft wesentlich länger als gewöhnt, während Kyra bereits Blogbeiträge verfasst. Der Regen prasselt dabei weiterhin beständig auf unser Zelt und große Lust aufzustehen verspüren wir beide nicht. Doch… Wo ist nun eigentlich die Warnweste? „Einer fährt zurück und sucht die Warnweste, während der andere abbaut und Frühstück macht?“, schlägt Michi noch immer müde vor. „Okay, dann fahre ich schnell die Warnweste suchen“, sagt Kyra und zieht sich Regenkleidung an. Um uns herum ist der Himmel bereits blau, doch in Windrichtung stehen graue wassergefüllte Wolken am Himmel und lassen ordentlich hinunter. Kyra verlässt tapfer das Zelt und ist kurz darauf im Regen verschwunden. Doch es dauert nicht lange. Michi hat es gerade geschafft Schlafsäcke und Isomatten einzupacken, da sind wir wieder zu zweit im Zelt. Die Warnweste lag nur ein paar hundert Meter weiter am Straßenrand. Sie ist zwar etwas dreckig und klatsch nass, aber nicht gerissen und wieder da. Zur Feier gibt es nun erstmal Frühstück im Zelt, denn es regnet noch immer. Als wir aufgegessen haben, entscheidet sich Michi bei der Agentur für Arbeit anzurufen, um endlich ein paar letzte Dinge von dem halben Monat vor der Reise, zu klären. Nervig, dass einen für ein paar Tage Arbeitslosengeld aufgrund der Krankenversicherung, die Angelegenheit noch so lange verfolgt. Aber so ist es nun einmal und alle machen nur ihren Job. Während Michi also im Inneren telefoniert, verlässt Kyra zum zweiten Mal das Zelt, denn es hat aufgehört zu regnen. Mit einem Handtuch wischt sie das Zelt ab. Es sind so viele Midges unterwegs, dass dies ohne Kopfnetz nicht möglich wäre. Die kleinen Viecher setzten sich trotzdem zahlreich auf Hände und Arme. Als Michi nach seinem Telefonat ebenfalls das Zelt verlässt, hat auch er sein Kopfnetz an. Vor dem nächsten kleinen Schauer versuchen wir schnell alles abzubauen und sitzen wenige Minuten später gesattelt auf unseren Drahteseln Emil und Elias. Wir rollen die nasse Straße im Sonnenschein entlang und der Weg führt uns schnell in Richtung des Wild Nephin National Park.
Der Zugang ist nach leichtem auf und ab schön flach und so können wir auf der Schotterstraße die Natur genießen. Wäre da nicht Michis Vorderrad, die Nabe ist weiterhin so kaputt, dass das Rad nach links und rechts ausschlägt. Da müssen Elias und Michi nun durch. Nach den ersten unsicheren Metern kann auch Michi die Natur genießen. Wir fahren durch Moorlandschaft, wie aus dem Bilderbuch. Zu beiden Seiten erstrecken sich immer wieder kleine Hochmoorseen, die uns an zu Hause, an Ostfriesland erinnern. Das Wasser ist tief schwarz und bekannte Pflanzen wachsen daneben. Die Heide daneben blüht noch immer. Seit den Shetlands haben wir das Glück und werden ständig von blühender Heide begleitet. Vor uns liegen hohe Berge, die majestätisch von der Sonne angestrahlt werden. Immer weiter fahren wir auf diese zu. Dann steht am Straßenrand ein Schild, welches auf die Einfahrt in den Nationalpark hinweist. Ein Mann mit Atemschutzmaske winkt uns hinterm Gebüsch und zu beiden Seiten der Straße werden die Tannen immer dichter. „Der hat Gift gesprüht, oder?“, fragt Michi. „Anscheinend“, antwortet Kyra ebenso ratlos. Wir fahren durch eine Landschaft, die plötzlich so anders ist, als die letzten Wochen, dass wir uns gar nicht satt sehen können. Zwischen den Tannen bahnt sich immer wieder dass tief schwarze Wasser seinen Weg. Der Weg geht langsam auf und ab und beständig nähern wir uns den Bergen. Zwischendurch erscheinen immer wieder große moorige Freiflächen im sonst so dichten Wald. Hier haben wir einen atemberaubenden Blick auf die Berge. Dann wird der Wald wieder dicht und ist moosbewachsen. In der Mitte unterbricht ein Bach die dichten Bäume und rauscht über ein Kiesbett hindurch. Wir bleiben kurz stehen und machen eine Pause. Es ist still um uns herum. Wir können nur das Plätschern des Baches und das Rauschen der Blätter wahrnehmen. Nach dem tiefen durchatmen nutzen wir die Gelegenheit und gehen beide auf Toilette und Naschen ein bisschen was aus unseren Vorräten.
Wir stellen erstaunt fest, dass wir für die ersten 12 Kilometer über zwei Stunden gebraucht haben. Was Schotterweg mit Steigungen im Vergleich zu Asphalt so ausmacht. Dann geht es weiter. Wir haben den höchsten Punkt im Nationalpark erreicht und können uns auf bergab freuen. Mit viel bremsen rollen wir über die zahlreichen Steine in die Tiefe. Neue Berge erscheinen um uns herum und der Wald nimmt ab. Vor uns bahnt sich ein LKW die schmale Schotterstraße herauf und wir sind froh, dass er kurz vor uns links abbiegt. „Da musst du aber autofahren können, wenn du hier mit einem LKW hinauf musst“, stellt Kyra verblüfft fest. Hinter der entsprechenden Kreuzung finden zahlreiche Arbeiten statt. Michi winkt einem Baggerfahrer und um uns herum liegen hohe Kieshügel für die anstehenden Arbeiten. Noch einmal sind wir kurz für uns alleine und genießen die wunderschöne Natur, bevor rechts von uns der Car Park und somit das Ende der Kiesstraße auftaucht. Der Belag wechselt zu Asphalt und unmittelbar danach begegnen wir den ersten Autos. Es geht weiter zumeist bergab mit vereinzelten Anstiegen. Um uns herum türmen sich riesige Rhododendron-Büsche empor. Dazwischen grasen die Schafe. Wir stellen uns vor, wie schön es hier im Frühsommer aussehen muss, wenn der Rhododendron in der Blüte steht. Bestimmt einmalig.
Nach den ersten Wohnhäusern erreichen wir Lough Freeagh. Auch hier ist der Ausblick kaum zu beschreiben. Die Sonne glitzert auf dem See und dahinter sind Berge zu sehen. Was für ein Glück wir doch mit dem Wetter haben und im halbwegs flachen nun Newport entgegen fahren können. Als wir auf die Hauptstraße treffen, staunen wir nicht schlecht. „Ein Fahrradweg!“, ruft Kyra. „Und was für einer“, stellt Michi fest. Der Fahrradweg ist neu asphaltiert und fährt sich super. Zudem ist er endlich einmal etwas breiter, sodass auch wir angenehm auf ihm fahren können. Ein paar Kilometer später ist die Freude jedoch schon wieder vorbei und wir müssen auf die Straße. Aber zum Glück nicht lange, denn nach Newport werden wir mit einem noch besseren Fahrradweg belohnt. Dieser ist so breit, dass wir sogar nebeneinander fahren können. Auf dem scheinbar neuen Radweg schlängeln wir uns im Flachen durch die Hügellandschaft und erreichen kurz darauf Westport, wo wir einen Lidl aufsuchen. Wir entscheiden uns für Baguette und Kartoffel- sowie Krautsalat und herzhaften Belag für Pfannkuchen. Seit unserer Pause auf dem Campingplatz tragen wir 2 kg Mehl mit uns rum, die dringend eine Verwendung benötigen. Das Problem ist nur meist: Pfannkuchen benötigen Zeit und die wendet man im kalten, windigen oder nassen nur ungern auf. Somit hatten wir einfach noch nicht den richtigen Moment. Während wir draußen vor dem Lidl unser Baguette und zum Nachtisch Kuchen genießen beobachten uns die Krähen ganz genau. Immer wenn wir gerade nicht schauen, springen sie ein paar Schritte weiter, strecken sich und drehen ihre Köpfchen in unsere Richtung. Wenn wir sie dann zurück beobachten, tun sie so, als wären sie noch immer weit entfernt und würden sich gar nicht für uns und unser Essen interessieren. Das Spielchen geht eine Weile, bis die Krähen bemerken, dass sie bei uns kein Essen zugeworfen bekommen und auch nichts groß herunter fällt. Als wir dann jedoch fertig sind und zu den Drahteseln laufen, stürzen sie auf unsere Stelle und sammeln jeden kleinen Krümel auf, während wir uns bereits auf Emil und Elias schwingen. Auf der Karte haben wir gesehen, dass wir nun ein bisschen bergauf müssen und anschließend mit viel Glück eine Schutzhütte am See erwarten können. Zumindest ist eine verzeichnet. Mit der Aussicht fährt es sich gleich viel leichter. Doch der Weg aus der Stadt hat es in sich. Im Straßenverkehr geht es bergauf und plötzlich stehen wir vor einer „Wand“. Mit größter Mühe kämpfen wir uns hinauf und schaffen es ohne Pause mit brennender Lunge oben anzukommen und befinden uns erneut auf dem Fahrradweg. Keuchend fragt Michi Kyra: „Wo kam das denn jetzt her? Das waren bestimmt 30 %!“ Kyra ringt weiterhin nach Atem und nickt nur. Dann sagt sie: „Meine Lunge brennt noch immer“ und wir lachen, was der Lunge jedoch nicht weiterhilft. Über den Eurovelo 1 verlassen wir die Stadt und fahren anschließend den ersten kleinen Hügel empor. Der Fahrradweg endet und wir befinden uns auf einer schmalen Landstraße, wie wir es bereits seit England gewöhnt sind. Wenn Autos kommen, machen wir Platz und begrüßen uns gegenseitig. Dann ist die erste von drei Steigungen geschafft. Herab geht es auf der Hauptstraße, die wir jedoch sofort wieder verlassen. Der zweite Anstieg ist zwar länger, aber zum Glück flacher. Somit kommen wir unserem Ziel durch zahlreiche Bauernhöfe und viel Landwirtschaft immer näher. Schafe mähen zu beiden Seiten der Straße und wieder einmal fragen wir uns, was die Menschen hier wohl beruflich machen. Arbeiten sie alle in der Landwirtschaft? Doch unser Gedanke wird unterbrochen, als sich die dritte und letzte Steigung vor uns bemerkbar macht. Ein Auto, welches uns gerade noch auf der sonst so ruhigen Straße überholt hatte, kämpft sich empor. „Puhh!“, sagt Michi nur „und jetzt auch noch Gegenverkehr“. Doch das entgegenkommende Auto ist unten, bevor wir die Steigung überhaupt erreichen. Es wird langsamer und hält schließlich an. Der Mann hinterm Steuer lächelt uns an und fragt: „Where you heading to?“ Wir erklären ihm, dass wir nur noch die Steigung hoch wollen und uns dann einen Schlafplatz suchen. Michi erzählt auch von der Schutzhütte, die wir auf der Karte entdeckt haben, doch der Mann schüttelt den Kopf und sagt, dass es dort keine gäbe. Wir sollen jedoch beim Aussichtspunkt oben stehen bleiben. Dann fährt er ein paar Schritte weiter und sagt zu Kyra, dass wir hoffentlich keine Platten bekommen. Lächelnd fährt er weiter und wir rollen an dem Warnschild auf dem 10 % Steigung angeschlagen ist vorbei. Es zahlt sich aus, dass wir heute bereits Tag 103 haben, denn fast mühelos fahren wir die Steigung langsam empor. Der Ausblick auf das Tal durch welches wir gekommen sind, ist wunderschön.
Von oben sehen wir nun die Höfe und Felder, an denen wir vorhin noch vorbei gefahren sind. Die Sonne wirft warmes Licht auf diese und steht kurz über den Bergen. Die Weite nimmt uns so in ihren Bann, dass wir schweigend und getrennt den Berg hinauf fahren. Michi bleibt ein paar Mal für Fotos stehen und erreicht die Spitze etwas später. „Ich wollte gerade sagen, dass war einer der schönsten Ausblicke, da sehe ich das hier!“ und er zeigt auf das Tal auf der anderen Seite, welches nun vor uns erschienen ist. In der Mitte liegt ein dunkler See, der von Nadelwäldern umgeben ist. Die Sonne gibt nun nochmal ihr bestes und lässt alles in einem bunten Farbenspiel vor uns erscheinen. Die Bäume werden noch an ihren Wipfeln angeschienen und leuchten hellgrün, welches sich von dem restlichen Grün hervor hebt. Die Berge dahinter sind ebenso zwei geteilt. Der untere Fuß des Berges liegt im Schatten im Tal. Der obere Teil leuchtet in grün, rot, gelb und orange. Es ist einfach atemberaubenden. „Das ist einer der schönsten Ausblicke, die ich je hatte.“, sagt Kyra und Michi bestätigt: „Vielleicht sogar der schönste, den wir auf einer Fahrradtour je hatten. Es kann auf jeden Fall mit Norwegen mithalten.“ Mit diesen Worten erreichen wir den Aussichtspunkt, den der ältere Herr aus dem Auto beschrieben hat. Ein Trampelpfad fürt ein paar Schritte um einen Fels herum und ein kleiner Platz Rasen, perfekt für unser Zelt, erscheint. Die Aussicht auf das Tal unter uns, ist komplett gegeben. Als die Sonne gerade ihre letzten Strahlen wirft, bauen wir das Zelt auf. Im Inneren, aufgrund der Kälte in unsere Schlafsäcke eingekuschelt, essen wir die Reste vom Mittagessen. Als wir fertig sind, ist es bereits dunkel und Michi wagt sich nochmal mit der Kamera raus, um ein paar Fotos vom Mond und den Sternen zu schießen. Zitternd kommt er zurück und wir schlafen zufrieden ein. Was für ein toller Tag, mit unbeschreiblichener Natur. Gute Nacht.