Tag 119 - Der Herbst ist eingebrochen (28.09.2024)

Von Redwick nach Castle Combe

Ein Auto braust herbei. Hundegebell… Die dicke Kette am Gatter rattert und quietschend schwingt das Tor auf. Kyra weckt Michi und er sieht gerade noch durch die Zelttür das Auto hereinrollen. Schnell zieht er sich an und steht Sekunden später draußen. Da kommen schon fünf Hunde des Landwirts zu den Drahteseln und dem Zelt gerannt. Gott sei Dank! Sie schnüffeln nur und bellen vor Freude etwas Gassi gehen zu dürfen. “Did I wake you up?”, fragt der junge Landwirt freundlich. Verschlafen und von Hunden umgeben antwortet Michi: “No not really. We hope it’s no problem that we…” “No, not at all, but it’s been a really cold night.” Das können wir beide nur bejahen und der Landwirt wünscht uns einen schönen Tag. Unser Atem hängt in der Luft und es fehlten in der Nacht nur wenige Grad Celsius. Dann wäre alles gefroren. Das Thermometer zeigt 4,5 °C. “Der Winter naht!”, sagt Michi mal wieder mit gespielt theatralischer Stimme. “Ja, es wird Zeit, dass wir in den Süden kommen”, antwortet Kyra und recht hat sie. So langsam wird es echt ungemütlich das Zelt zu verlassen, aber immerhin hat es nicht geregnet. Wir packen alles ein, satteln auf und schieben die Drahtesel durch das offene Tor. Der Weg wirkt deutlich weniger bedrohlich, dennoch ist er stark durchfurcht. Die Finger brennen im Fahrtwind und als wir gerade an einer im morgendlichen Sonnenschein grasenden Kuhherde vorbeikommen, stellen wir beide fest, dass wir vielleicht Handschuhe hätten anziehen sollen. Ein Kalb steht etwas abseits und rührt sich nicht. Dann erwacht es aus seiner Starre und schaut uns mit großen Kulleraugen nach. Dabei schnaubt es ein paarmal, sodass die dampfenden Atemwolken im Gegenlicht eine beeindruckende Szenerie auf die grüne Wiese in der sonst goldgelben Herbstlandschaft zaubern. Bei einem Bushäuschen angelangt, hat Michi ein kleines Tief. Warum machen wir das? Die Füße sind durchgefroren, die Hände ebenso, alles was man sonst so dabei hat ist klamm und ein erneuter Umweg steht an, da die Straße erneut eng und stark befahren ist. Noch dazu haben wir noch nicht gefrühstückt. Alles keine wirklichen Probleme, aber manchmal hängt man einfach durch. Hier zahlt es sich aus, dass wir zu zweit unterwegs sind. Zumeist bauen wir uns dann gegenseitig wieder auf oder motivieren uns so, dass wir nochmal die letzten Reserven locker machen. So auch jetzt. Kyra spricht ein paar aufheiternde Worte, wir umarmen uns und weiter geht’s zum Lidl und dem Frühstück entgegen. Ein Anstieg trennt uns von der nächsten kleinen Stadt. Bei der kleinen Abfahrt in den Ort kommen uns ein paar Rennradler entgegen. Insgesamt sind hier deutlich mehr Menschen mit dem Rad unterwegs. Klar, es ist ja auch Wochenende. Endlich erreichen wir den Lidl. Wir kaufen schnell alles mögliche ein und merken an der Kasse weswegen man nicht hungrig einkaufen gehen sollte. Egal, heute gibt es ein kleines Festmahl als Wochenendfrühstück. Wir radeln erst einmal weiter, um eine schöne Stelle zu finden. Über die lange Severn-Brücke mit einem zweispurigen Radweg verlassen wir Wales. Der Ausblick über den Fluss ist grandios und was noch besser ist… wir haben Rückenwind! Flux sind wir auf der anderen Seite und somit zurück in England.

Eine Gruppe Rennradler überholt uns. Alle grüßen und einer kann es sich nicht nehmen lassen. Zum bestimmt tausendsten Mal hören wir: “Hehehe, you’re well loaded. You’ve got everything but the kitchen sink.” Michi reicht es: “And you forgot almost everything you need for a world trip!”, ruft er hinterher. Kurze Zeit später werden die Radler langsamer. “You’re on a world trip?”, fragt der eine. Ein anderer fragt ob wir vor kurzem auf den Orkneys waren. Denn er war dort am Joggen und hat uns vielleicht auf dem Weg zur Fähre gesehen. Dann unterhalten wir uns gut und der etwas ruppige Start ist vergessen. Nach einer kurzen gemeinsamen Fahrt und einem kurzweiligen Gespräch trennen sich unsere Wege jedoch. Wir wünschen ihnen eine tolle weitere Tour zurück nach Bristol und sie uns alle Gute für unsere Tour um den Globus. Dann merken wir, dass wir uns vor lauter Quatschen total verfahren haben. Nunja, nicht total, aber es geht ein paar hundert Meter zurück. Kurz darauf finden wir einen imposanten Teich, der etwas über das Ufer gegangen ist. Eine hübsche Bank steht jedoch weit genug entfernt und wir packen unser Frühstück aus. Es gibt Brötchen, Brezeln, Lachs, Marmelade und Orangensaft, dazu noch eine Zimtschnecke und Apfeltasche. Mhmmmm lecker! Eine ältere Frau mit ihrem Hund kommt vorbei und sie erzählt, dass sie mit ihrem Mann auch immer viel unterwegs war. Früher, als er noch lebte, waren sie im Winter immer bei angenehmen Temperaturen in Spanien. Das lässt uns hoffen. Unsere Route beeindruckt sie und etwas wehmütig sagt sie, dass sie gesundheitsbedingt leider nicht mehr weit reisen kann und somit der Einladung ihrer Tochter nach Griechenland, wo sie immer mal hin wollte, nicht folgen kann. Aber sie wünscht uns alles Gute für die Reise, ist sehr begeistert und freut sich für uns. “You’re doing it right”, sagt sie ergriffen. Wir reden noch kurz über den Regen der letzten Tage und sie erklärt, dass der ganze Teich hier normalerweise nicht sei. Er ist also nicht nur etwas über das normale Ufer gestiegen, nein, er hat sich tatsächlich erst in den letzten Wochen gebildet. Doch er wertet den Park unserer Meinung nach deutlich auf und das finden auch die Enten. Wir verabschieden uns und wünschen auch ihr alles erdenklich Gute. Dann radeln wir weiter und treffen auf die beiden Brüder aus Neuseeland. Sie essen ebenso gerade eine Kleinigkeit. Wir reden kurz über das Wetter, den Regen und die Nacht und dann radeln wir weiter. Es geht durch ein Gewerbegebiet mit mehreren Logistikzentren von Amazon, Lidl und vielen mehr. Dann erreichen wir Bristol und als wir um eine Kurve fahren, haben wir plötzlich einen sehr steilen Anstieg vor uns. Mit aller Kraft kämpfen wir uns hinauf und schaffen es dem schmalen und steilen Anstieg entlang der Universität zu folgen. Oben angekommen finden wir eine Art Parkanlage mit zahlreichen Fußballfeldern wieder. Wir fahren an den Fußballfeldern vorbei und währenddessen fragt sich Kyra laut: “Wie viele Fahrradfahrer haben wir wohl schon einen Fußball gegen den Kopf bekommen?” Denn hinter den Toren hängen keine Netze oder Ähnliches. Bevor wir wir die Frage ausdiskutieren können, entdecken wir auf der linken Seite öffentliche Toiletten. Nacheinander verschwinden wir auf diesen und als Michi gerade seinem Geschäft nachgeht, kommen die Brüder aus Neuseeland erneut vorbei. Was für ein lustiger Zufall. Wir reden über den steilen Anstieg, unsere Ausrüstung und die weitere Tour. Dann kommt Michi zurück und wir wünschen uns gegenseitig viel Spaß. Ob wir uns nochmal wiedersehen? Die beiden machen erneut eine Essenspause und wir fahren weiter durch Bristol. Die Innenstadt ist jedoch so mit Bussen verstopft, dass wir kaum vorwärts kommen, denn wie häufig in England darf man aufgrund der fehlenden Radwege die Busspur nutzen. Dann schaffen wir es irgendwie weiter und Michi liefert sich bei der nächsten Steigung ein geheimes Rennen mit einem Rennrad. Der Rennradfahrer schafft es nicht ihn zu überholen, meint jedoch trotzdem zu betonen, dass wir zu viel Gewicht dabei hätten. Erstaunlich, dass fast jeder Rennradfahrer besser weiß, was wir benötigen, als wir selbst. Langsam haben wir diese Aussage wirklich satt.

Als wir die Stadt verlassen, fahren wir durch sehr heruntergekommene Orte, doch dann erreichen wir eine alte Bahntrasse, die zu einem Fahrradweg umgebaut wurde. Der Weg führt uns durchs Grüne hinaus aus der Stadt. Nicht nur wir nutzen den Radweg, neben uns sind viele Pendler und Familien unterwegs. Es ist richtig was los und wir nehmen viele Radbegeisterte Menschen wahr, was uns sehr freut. Nach einigen sanften bis starken Anstiegen und einem fantastischen Blick zurück auf die Stadt wird es Zeit nach einem Schlafplatz zu suchen. In der Ferne fliegen einige Heißluftballons und die Sonne steht bereits tief am Himmel. Wir sehen ein Feld, wo wir etwas versteckt übernachten könnten, doch ein großer Gülletank in der Nähe, riecht nicht nett und die daneben öffentlich liegenden Unterlagen weisen darauf hin, dass bereits früh die ersten Bauern erscheinen. Ein Mann kontrolliert den Tank und wir fragen ihn, ob er bedenken hat, wenn wir hier unser Zelt aufbauen. Er meint zwar, dass es schon gehen würde, aber er vielleicht 2 bessere Orte kennt. Dafür müssten wir nur der Straße für weitere 10 km folgen. Gerne probieren wir seinen benannten Ort aus und schwingen uns ein letztes Mal für den heutigen Tag auf die Drahtesel. Als wir nach circa 45 min den Ort erreichen, ist dieser mit einem Tor verschlossen und auch sein zweiter genannter Ort ist für uns nicht erreichbar, doch schnell entdecken wir auf der Karte, dass die kleine Stadt Castle Combe einen öffentlichen Parkplatz mit einer Grünfläche hat. Vielleicht können wir hier übernachten? Wir fahren dorthin und es scheint fast perfekt. Es stehen nur noch wenige Autos auf dem Parkplatz und wir nutzen die Zeit, um Burger zu kochen. Während wir essen, geht die Sonne unter. Nur noch ein letztes Auto steht auf dem Parkplatz und das Nummernschild kommt aus Deutschland. Als wir gerade unser Essen beenden, kommt der Autobesitzer zurück zum Parkplatz. Zunächst spricht ihn Kyra an, während Michi das Geschirr abspült. Philipp ist bereits seit über 5 Monaten in Großbritannien. Er hat sich eine Auszeit von 6 Monaten genommen, um hier angeln zu können. Nun hat er nur noch 3 Wochen vor sich. Er freut sich darauf, zurück in eine warme Wohnung zu können, da er meist nur mit dem Schlafsack draußen schläft und es mittlerweile sehr kalt geworden ist. Auf der anderen Seite wird er England sehr vermissen. Wir unterhalten uns nur noch kurz, da er dringend in seine fürs Wochenende gebuchte Unterkunft zurück muss. Dort werden am Abend die Bordsteine hochgeklappt und er muss sich noch etwas zum Essen besorgen. Wir tauschen unsere Social Media Kanäle aus und verabschieden uns. Dann wird es für uns Zeit das Zelt aufzubauen. Dabei fährt nochmal ein Auto auf den Parkplatz, es scheint uns jedoch nicht weiter zu beachten und als wir zur Kontrolle kurz zum Parkplatz zurück gehen, bemerken wir, dass unser Zelt in der Dunkelheit trotz Autoscheinwerfer nicht mehr sichtbar sein sollte. Während uns im Zelt die Augen langsam zufallen, hören wir auf der Weide nebenan noch die Geräusche eines Tieres. “Ich glaube, das ist ein Pferd!” meint Michi und zufrieden schlafen wir ein. Gute Nacht!