
Tag 123 - Planänderung! (02.10.2024)
Von Chichester Harbour National Landscape auf den Ärmelkanal
Wir wachen früh auf, es ist noch dunkel, und drehen uns erst einmal nochmal um. Doch schließlich bauen wir das Zelt ab, als der Himmel allmählich heller wird. Der Zeltplatz am Chichester Harbour ist idyllisch: Boote liegen im ruhigen Wasser und die Landschaft um uns herum ist durch den Sonnenaufgang in eine schöne Farbpracht gehüllt. Es wirkt fast, als wären wir bereits in südlicheren Ländern angelangt. Während wir das Frühstück – Zimtschnecken mit Pudding, selbstgemachten Apfelkompott vom Vortag und Milchreis – genießen, kommen ein paar Hundehalter vorbei. Sie sind nicht allzu begeistert, dass wir hier zelten, aber niemand macht Ärger. Unsere Rückfahrt beginnt auf einem kleinen Fußweg, vorbei an mehr Booten und den charmanten alten Gebäuden der Halbinsel. Alles hier scheint perfekt ins Bild einer kleinen, unberührten Welt zu passen. Doch schon bald fahren wir auf die Hauptstraße und lassen diese Idylle hinter uns.












Ein „Römer Haus“ taucht am Wegesrand auf – eines der Relikte, die an die lange Geschichte der Gegend erinnern, doch wir besuchen es nicht. Italien liegt noch vor uns und wir freuen uns darauf dort eine bewegte Geschichte und viele Museen besuchen zu können. Nach einiger Fahrzeit erreichen wir die Küste und der Radweg endet plötzlich. Wir fahren in die Wohngebiete, doch viele Privatstraßen erschweren uns das weiterkommen und schließlich landen wir auf rutschigen Feldwege, die unsere Geduld strapazieren. Doch der Weg führt uns weiter über Stufen und Brücken, während der Regen auf uns niederprasselt. Dann haben wir es geschafft und wir befinden uns wieder auf dem Radweg.












In Worthing werden wir von einem Mann Namens Kiffa aus Vancouver angesprochen. Er erzählt uns von seiner Arbeit in der Satellitenkommunikation und davon, dass er schon viel in der Welt unterwegs war – jetzt aber nicht mehr in heiklen Regionen arbeitet. Seine nächste große Reise plant er auf dem Rad, und wir plaudern ein wenig darüber, bevor wir uns verabschieden. Wenig später spricht uns ein weiteres Paar an, und auch mit ihnen kommen wir ins Gespräch, bevor wir weiter nach Brighton fahren. In Brighton gönnen wir uns ein Eis am Industriehafen und machen einen Abstecher zur Promenade. Die berühmte „West Pier“ – einst eine stolze Seebrücke aus viktorianischen Zeiten – ist heute nur noch eine verfallene Ruine, die traurig im Wasser steht. Wir fahren weiter an der Küste entlang, vorbei am beeindruckenden Brighton Palace Pier, bis wir die beeindruckende Rottingdean Windmühle sehen. Diese alte Windmühle aus dem Jahr 1802 thront auf einem Hügel und ist weithin bekannt. Sie gilt als Wahrzeichen der Region und erinnert an vergangene Zeiten, als sie noch das Mehl für die umliegenden Dörfer mahlte. Der Himmel zieht sich wieder zu, und es beginnt zu regnen. Wir erreichen Newhaven und kämpfen uns durch den Feierabendverkehr bis zur Fährstation. Eine Frau am Schalter überzeugt uns davon, mit der Nachtfähre über den Ärmelkanal zu fahren. Da wir noch etwas Zeit haben, gehen wir in ein nahegelegenes Fast food Restaurant, um uns für die Überfahrt zu stärken. Zurück am Anleger treffen wir auf einen weiteren Radfahrer, der uns mit seinem leichten Gravel-Bike entgegenkommt – das Gegenteil von unserem vollgepackten Reisegespann. Wir plaudern über die verschiedenen Ansätze des Radreisens, doch ein Punkt bleibt: Jeder reist auf seine eigene Weise. In der Wartehalle holen wir uns einen Kaffee und eine heiße Schokolade – beide sind leider nur so lala. Dann ist es soweit und wir treten wieder raus ins kalte, um uns in die Reihe zum einchecken anzustellen. Dabei treffen wir auf eine ältere Frau, die gerade von der Fähre kommt. Sie schaut uns an und beginnt zu erzählen, dass sie genau unsere Route vor drei Wochen gefahren ist. Das überrascht uns, und wir glauben ihr erst nicht. Doch sie fährt fort: Sie ist 70 Jahre alt und hat die Strecke bis nach Bordeaux als Fundraising-Aktion für Palästina zurückgelegt. Beeindruckend, keine Frage, aber irgendwie lässt uns diese Geschichte irritiert zurück. Auf eine politische Diskussion wollen wir uns jedoch nicht einlassen und ihre Tour hat neben der Tatsache, dass sie mit Muskelkraft und einem Fahrrad unterwegs war nichts mit unserer Reise oder Route zu tun. Aber das interessiert die Frau und viele andere Menschen, leider insbesondere häufig Rennradfahrer und „BikePaker“ häufig nicht, sie sehen leider nur sich und ihr Umfeld und überhöhen ihre Art zu reisen oder ihre eigenen Regeln zur Allgemeingültigkeit, zum Maß der Dinge. Dabei sehen sie jedoch nur sich selbst und ihre Leistung ihre Herangehensweise, die in ihren Augen über der der anderen steht oder zumindest ebenbürtig ist. Für uns ist es jedoch kein Wettbewerb und wir können es nicht häufig genug sagen, aber jede und jeder reist auf die eigene Weise und so lange sich diese für einen selbst richtig anfühlt und man mit sich selbst dabei im reinen ist, so lange ist es doch für einen die perfekte Art zu reisen oder Sport zu treiben. Es ist ohne Frage eine grandiose Leistung der 70 jährigen mit einem Fahrrad diese Strecke gefahren zu sein und ihr durch das Fundraising einen für sie passenden Sinn gegeben zu haben. Hoffentlich sind wir in dem Alter auch noch so fit! Allerdings hat diese Reise, wie eingangs erwähnt, nichts mit unserer Reise zu tun. Sie hatte weder vor um die Welt zu reisen, noch hat sie ihr gewohntes Leben, Freunde, Verwandte und Bekannte, ihren Beruf, einfach ihr gesamtes Umfeld auf unbestimmte Zeit hinter sich gelassen. Das ist auch keineswegs schlimmer oder unsere Reise oder wir sind dadurch besser. Es ist schlichtweg einfach nur eben nicht dasselbe und es ist schade, dass das nicht akzeptiert oder erkannt wird. Es ist dassselbe Prinzip wie bei einem Rennradfahrer oder Bikepacker, der einem erklärt, dass man zu viel dabei hat oder schneller wäre, wenn man weniger dabei hätte, ohne überhaupt eine Ahnung davon zu haben, was man macht, was man aus welchen Gründen dabei hat und was nicht. Schließlich beginnt der Check-in, und wir treffen Jack, einen weiteren Radreisenden, mit dem wir auf die Fähre gehen. Jack erzählt uns während des Essens – Fish & Chips ein letztes Mal – dass er an der britischen Gesetzgebung für Nachhaltigkeit mitarbeitet. Wir sprechen über Radreisen, Sprachen und seine Zeit mit einer Allgäuer Ex-Freundin, durch die er etwas Deutsch gelernt hat. Nach dem Essen besuchen wir noch kurz den Duty-Free-Bereich der Fähre und finden wie jedes Mal nichts, was uns überzeugt. Neben der Bar finden wir einen guten Platz zum Übernachten. Wir blasen unsere Isomatten auf und legen uns in die Schlafsäcke. Gute Nacht!
