Tag 141 - Pointe du Hoc (20.10.2024)
Von Pointe du Hoc nach Hameau Fournel
Draußen ist es noch dunkel, doch die Sterne sind nicht mehr zu sehen. Der Himmel ist wolkenbedeckt und in ca. 30 min soll es laut Wetterbericht anfangen zu regnen. Aus diesem Grund drehen wir uns trotz Dunkelheit nicht noch einmal um, sondern fangen schnell an abzubauen. Pünktlich, als die Kirche 8 Uhr läutet, sind wir fertig. Ohne Regen fahren wir die ersten 100 m des Tages und gelangen zum Pointe du Hoc. Wir sind die ersten Gäste und das Besucherzentrum öffnet erst in 35 min um 9 Uhr. Für den Rundweg benötigt man laut Schild 50 min. Perfekt! Wir laufen los und lesen jede der Tafeln am Wegesrand ausführlich. Es ist immer wieder erschreckend und traurig, was vor 85 Jahren und in den darauffolgenden Jahren passiert ist. Beginn eines unsäglichen Krieges durch Deutschland und schließlich die Befreiung Europas durch die Alliierten damals und heute Freiheit, Frieden und Freude. Dieser Dreiklang wird allzu oft als selbstverständlich wahrgenommen und vielen in der Welt würde bereits ein Teil genügen, Frieden. Mit einem angeregten Gespräch laufen wir weiter vor und treffen auf den ersten Bunker, leider ist dieser wie auch weitere abgesperrt.
Überhaupt sind viele Bereiche des Geländes mit Zäunen abgesperrt. Wir wundern uns, ob die Bunker immer verschlossen sind oder nur, weil es erst kurz vor Öffnung des Besucherzentrums ist. Als wir die Klippen erreichen, können wir uns nur entfernt vorstellen, was die Menschen hier vor 80 Jahren leisten und erleiden mussten. Die amerikanischen Marines landeten hier mit speziellen Landungsbooten, um die an Pointe du Hoc stationierten Geschütze unbrauchbar zu machen. Denn trotz Bombardements schienen diese weiter intakt zu sein und stellten somit eine Gefahr für die gesamte Landung dar. Doch zunächst lief nichts, wie geplant. Das Überraschungsmoment war dahin, als die Boote zu weit abgetrieben vor der Küste parallel unter Feindfeuer zum Pointe du Hoc fahren mussten. Dann funktionierten die raketengetriebenen Enterhaken der Boote nicht. Als die Soldaten es dennoch irgendwie schafften, die 30 mit hohen Klippen zu erklimmen, folgte die große Ernüchterung. Die Geschütze waren nicht dort und lediglich Attrappen fanden sich in den Bunkern. Zudem wehrte sich der Feind erbittert. Am Ende konnten die in einem Feld versteckten und unbemannten Geschütze doch noch gefunden und ausgeschaltet werden. Die Anspannung, den erbitterten Kampf und das darauffolgende Leid können wir vermutlich nicht im Ansatz erahnen. Gleichzeitig stehen wir nun hier mit diesem erneut unfassbar schönen Ausblick über die Klippen. Man möchte vor Wut schreien, aus Mitgefühl weinen, vor Freude lachen und in Dankbarkeit schweigen. Was für ambivalente Gefühle… Als wir von den Klippen umkehren, um das Gelände weiter zu besichtigen, kommen uns Wachleute entgegen. Sie schließen die Bunker auf, wodurch sich unsere Frage erledigt hat. Ein Bunker liegt in diesem Moment direkt neben uns, weshalb wir in ihn gehen. Doch am Ende ist es dieselbe Erfahrung, die wir nun in so manchem Bunker erlebt haben. Ein leerer, dunkler, teils verwinkelter Klotz aus Stahlbeton. Dann geht es zurück Richtung Parkplatz. Einige andere Besucher machen sich nun auf den Weg. Michi füllt die Wasserflaschen auf und Kyra geht schnell ins kleine Besucherzentrum. Es gibt dort jedoch nicht viel zu sehen. Also schwingen wir uns schnell auf unsere Drahtesel und fahren weiter zur nächsten Stadt, Grandcamp-Maisy. Die Batterie dort ist geschlossen. Irgendwie eine Erleichterung. Wir kaufen im Supermarkt Galettes aus Buchweizen und normale Crepes sowie Apfelmus. Anschließend suchen wir am Wasser einen Platz zum Frühstücken. Es gibt die Buchweizen und Weizen Crêpes. Sind nicht so lecker, wie gedacht, aber mit Apfelmus und Zimt oder wahlweise Schokocreme geht es. Wir telefonieren nebenbei mit Michis Eltern. Der Bunker des WN 82 nebenan ist halb im Wasser versunken und wird von Anglern als Unterstand genutzt. Ein eisiger Wind wirbelt ein paar Blätter auf und Regen setzt ein. Wir packen alles zusammen und beenden das Telefonat.
Wir flüchten vor dem Regen auf dem Rad ins Landesinnere nach Carentan-les-Marais. Über die Tucker Bridge gelangen wir in die Stadt. Wir drehen eine Runde und sind über den Kommerz mit der militärischen Vergangenheit geschockt. Es gibt an jeder Ecke einen Laden, der militärische Souvenirs verkauft. Von der Camo-Unterhose über die Munitionskiste samt MG Replik, bis zum 101st Airborne Kugelschreiber kann man alles kaufen. Schnell hinaus und in Richtung Küste. Auf dem Weg passieren wir das Easy Company Memorial und das Richard Winters sowie der dänischen Marine-Einheiten, das Monument commémoratif aux Marins Danois. Dabei werden wir von einem Kleinbus verfolgt. Overlordtours prangt in großen Lettern auf ihm. “Recommended by veterans!” “Air conditioned”. Schon öffnen sich die Türen erneut und die Touristen posieren schnell mit Victory-Zeichen oder gereckten Muskeln vor den Denkmälern, ehe sie vor dem Regen in den klimatisierten Bus zurück flüchten. Wir radeln so schnell es geht weiter und gelangen zum Utah Beach. Hier landeten ebenso die US-Amerikaner. Doch für uns ist es einfach bereits wieder zu viel. Zum Glück hat das Museum bereits geschlossen. Panzer stehen am Platz, in einem Bunker wurde ein Restaurant eingerichtet. Ein Landungsboot steht zentral auf dem Platz. Die Plastiken von Soldaten, die den Strand stürmen stehen davor. Eine Gruppe Touristen verlässt gerade das Landungsboot. Lachend tun sie so, als würden sie mitlaufen und zeigen dabei den Daumen. Die ganze Szenerie erscheint uns so komisch, ja makaber, dass wir gehen. Wir suchen uns einen ruhigen Platz etwas entfernt am Strand. Wir blicken aufs Wasser, reden über das Erlebte, die Informationen und essen etwas. Erneut ist man innerlich aufgewühlt und zugleich an einem heute so wunderschönen und friedlichen Ort.
Dann folgen wir der Straße weiter an Bunkern vorbei. Wir überlegen noch, ob wir uns in einem unterstellen sollen, aber zu spät… Der Regen prasselt auf uns nieder und wir sind nass bis auf die Haut. Bibbernd gelangen wir zu einem letzten großen Denkmal mit Panzerfahrzeugen und fahren ins Landesinnere zu den Hecken und Feldern. Nach einer Weile finden wir den perfekten Platz zwischen zwei Orten. Schnell ist das Zelt aufgebaut und mit dem Glockengeläut des nahen Kirchturms bricht die Nacht herein. Ein zwei Lichter leuchten in einem entfernten Hof, der Himmel zieht auf und die Sterne funkeln. Gute Nacht!