Tag 23 - Erschöpfung und todmüde (24.06.2024)

Von Denver nach King's Lynn

Sanft werden wir am Morgen von zahlreichem Vogelgezwitscher geweckt. In unserem kleinen grünen Zelt ist es warm, sogar sehr warm. Wir bleiben noch liegen, bis der Wecker klingelt. Müde schauen wir uns an: “Guten Morgen!”. Wir versuchen die Route für den Tag zu planen, doch Komoot spielt uns einen Streich. So häufig Michi versucht die Punkte zu verschieben, so häufig will es einfach nicht. Schon nach wenigen Versuchen sieht unsere Route wie ein Flickenteppich aus. Egal, dann fahren wir erstmal bis nach King’s Lynn und schauen dann weiter. Wir fangen an einzupacken, doch irgendwie geht heute alles langsamer. Im Zelt wird es drückend heiß und Kyra macht sogar das Mückennetz auf, in der Hoffnung, dass noch etwas mehr frische Luft hineinkommt und die zahlreichen Fliegen, Spinnen und Mücken draußen bleiben. Auch einige Schnecken haben sich auf unseren Schuhen und am Außenzelt gemütlich gemacht. Als wir die Stangen aus dem Zelt ziehen wird klar, es war nicht nur im Zelt drückend warm, auch in der Sonne brennt diese auf der Haut. “26° sind es heute und es wird noch wärmer!” stellt Kyra fest. Die letzten Tage hatten wir zwar einen schönen blauen Himmel, doch noch vor kurzem waren es 15° C. Was für ein Sprung, unsere Körper scheinen damit überfordert zu sein. Während die Sonne weiter brennt, verstauen wir alle Sachen. Wir schieben Emil und Elias den plattgedrückten Weg durch die Heuwiese zurück zur Schotterstraße. Auch diese Aktion kommt uns so viel anstrengender als nach 90 km gestern vor. Was ist nur los mit uns? Wir schwingen uns auf die Drahtesel und fahren den Weg unter den Bäumen zurück, bis wir zu einem Tor kommen, an welchem ein Schloss hängt. Fahrräder können rechts dran vorbei fahren und somit war uns das Schloss gestern einfach nur nicht aufgefallen. “Also waren wir auf jeden Fall richtig!” stellt Michi fröhlich fest. Die Drahtesel kämpfen sich die ersten Kilometer die Straße entlang. Wir fahren durch einen noch still zu schlafen scheinenden Ort und sehen etwas später immer wieder Kinder in Schuluniform zur Schule gehen. Einige haben kurze Hose und T-Shirt an, andere lange Hose, Hemd und Krawatte. Zwei Kinder laufen sogar mit Jackett an uns vorbei. Wir schwitzen bereits so sehr, dass die ersten Tropfen den Kopf hinunter laufen. Jede noch so kleine Steigung fordert uns und dabei ist es heute eigentlich angenehm flach. Der wolkenlose blaue Himmel lässt eine alte Steinkirche zur Rechten von uns richtig strahlen. Wunderschön, wie man sich Kirchen in England vorstellt. Nachdem wir durch Downham Market und einige kleine Örtchen gefahren sind, überqueren die Kanäle River Great Ouse und Great Ouse Relief Channel und merken alsbald: “Mist! Wir haben uns verfahren! Wir hätten vorhin rechts gemusst”. Also geht es ein kleines Stück die Straße zurück, die nächste Links, wieder über die Kanäle und zurück auf die eigentliche Route.

Die eigentliche Route ist nach einigen Tagen nun wieder der Eurovelo 12 (Nordsee-Radweg). Wir folgen dem River Great Ouse folgend in die Stadt. Diese sieht von weitem richtig schön aus und auch als wir an der Promenade ankommen, sind wir ganz begeistert. Vielleicht liegt das insbesondere an unserem Plan: Wir wollen bei Marriott’s Warehouse ein typisches “English Breakfast“ probieren. Nett werden wir begrüßt und dürfen uns einen Platz im Schatten aussuchen. Zu den zwei English Breakfast bestellen wir noch Breakfast Tea und genießen den etwas kühleren Schatten, den wir auf dem Fahrrad so gut wie nicht hatten. Eine Weile sitzen wir nur da und merken erneut, wie erschöpft wir sind. Normalerweise legt sich dieser Zustand nach den ersten Kilometern, doch heute… Heute wollen die Muskeln einfach nicht warm werden. Die Muskeln brennen von der Anstrengung der letzten Tage, die Haut brennt von der Sonne und der Kopf ist müde und schwer von der kurzen vorletzten Nacht im kleinen Waldabschnitt neben dem Kornfeld. Michi wird später feststellen: “Ich habe heute nicht einmal ein Video gemacht!”, so kaputt sind wir. Im Lokal neben uns kommt eine große Bierlieferung und wir stellen fest, dass dort das nächste England-Spiel der Fußballeuropameisterschaft gezeigt wird. Seit die EM begonnen hat, sind wir am überlegen uns ein Spiel beim Public Viewing oder im Pub anzuschauen, doch wir haben auch ein bisschen Respekt vor den treuen und emotionalen Fans in England. “Ist das Spiel heute oder morgen? Ich habe da eine verrückte Idee”, fragt Kyra. Wir googlen und finden heraus, dass das Spiel erst morgen ist. Wir genießen unser Essen, welches sehr reichlich ist, und setzen anschließend Kyras Idee trotzdem um. Wir buchen ein Zimmer und werden für zwei nächte in King’s Lynn bleiben. “Eigentlich könnte ich auch den ganzen Tag einfach nur hier bleiben”, lacht Michi, als die Teller und Tee leer sind und wir mit zwei großen Cola uns freundin anschauen. Wir freuen uns auf die kleine Auszeit und nehmen uns vor das Fußballspiel am nächsten Tag anzuschauen. Solche Erlebnisse machen die Reise aus!

Damit wir in der Unterkunft unseren Schweißverlust wieder reintrinken können, kaufen wir noch schnell bei lidl ein, bevor wir früher als gedacht in unsere Unterkunft können. Als wir alle Taschen hochtragen und auch die Drahtesel ein Platz in unserem großen Zimmer finden, bemerkt Kyra: “Mein zweiter Flip-Flop ist weg!” Und obwohl diese Situation eigentlich nicht lustig ist, gucken wir uns beide an und fangen an zu lachen. Dass Kyra einen Flip-Flop verliert, ist leider fast schon Tradition. Auf der Nordkap-Tour wurde der erste in Schweden verloren. Wir kauften neue. Das zweite Mal verlor Kyra einen in Finnland und nun in England? Bevor wir das Gemeinschaftsbad der Unterkunft nutzen, tragen wir Emil wieder hinunter und Kyra begibt sich auf eine kurze Suche. Nur eine Straße weiter liegt der verlorene Schuh auf dem Boden. Anscheinend ist Emil am Tor auf der Straße kurz hängen geblieben und hat den Flip-Flop abgeworfen. Nun heißt es: Badezimmer nutzen, Bilder und Videos sichern und was wir sonst noch so tun wollen. Pause! Filmabend und Abendessen. Gute Nacht.