Tag 343 - Fähre seit langem

Fahrrad-Weltreise: Kineta nach Athen

10.05.2025

Lesedauer ca. 6 min

Die Nacht unter den Pistazien war soweit ruhig. Nur am Abend kamen noch ein paar junge Erwachsene vorbei, die ihr Auto auf dem Parkplatz des Restaurants parkten. Mehrmals hallte das laute Lachen vom Meer herüber, ansonsten haben wir sie kaum wahrgenommen. Als wir am Morgen das Zelt verlassen sind unsere Nachbarn mit Camper bereits auf dem Sprung und verschwinden wenige Minuten später, sodass wir uns nicht mehr austauschen. Der Hain voller Pistazien erweckt dafür unsere Aufmerksamkeit. Alle Bäume sind voll. Doch noch sind die Früchte bzw. die Schale grün. Nur die Spitze bekommt eine leicht rote Färbung. Die Erntezeit dauert allerdings noch. Aktuell ist es Mai und der Erntezeitraum liegt von Ende August bis Anfang Oktober. Nachdem wir uns etwas über Pistazien informiert haben und von dem herrlichen Anblick, wie die Sonnenstrahlen durch die Äste brechen, Fotos gemacht haben, geht es los. Doch wir rollen nur wenige Meter am Strand entlang, um einen netten Platz im Schatten zu finden. Bis Athen ist es nicht mehr weit und vorher möchten wir noch etwas an einem Video schneiden, das wir bei Jürgen vor ein paar Tagen nicht mehr fertig geschafft haben. In dem Video stellen wir unser Werkzeug vor. Mit dem Ergebnis sind wir zufrieden und strampeln angestrengt den Weg zur Hauptstraße hoch. Dieser folgen wir nun an der Küste entlang.

Es geht hinauf und runter, dabei strahlt die Sonne kräftig vom Himmel. Das Wasser unter uns verspricht eine super Abkühlung und sieht einladend aus. Es ist mal wieder kristallklar. Dieser Anblick fasziniert uns immer wieder. Doch Leid führt unsere Straße so hoch, dass wir nicht ans Wasser kommen. Schließlich wird es sogar etwas kompliziert. Wir müssen die Hauptstraße verlassen, doch wo? Zum Glück geht plötzlich links eine Straße ab und wir können durch den Gegenverkehr die Straße verlassen. Eine Unterführung bringt uns auf die andere Seite, doch kurz verfahren wir uns noch, bevor wir den richtigen Weg finden, der uns ans Meer mit zahlreichen gut duftenden Restaurants führt. Abgelenkt von diesen Verfahren wir uns erneut und drehen eine kleine Runde um das Hafengelände. Dann müssen wir noch ein Militärgebiet mit zahlreichen Chinooks umrunden, von denen Michi am liebsten ein Foto gemacht hätte. Doch fotografieren ist hier natürlich nicht erlaubt. Dann erreichen wir endlich den Fähranleger rüber nach Salamina. Dabei beobachten nicht nur wir, wie ein Abschleppdienst auf die Fähre fährt und vergeblich versucht ein Auto abzuschleppen. Das Auto hat keinen Abschlepphaken und eine andere Stelle wird auch nicht gefunden. Trotzdem wird es versucht. Ein schneller Blick unters Auto… Einfach mal irgendwo einhaken… Stahlseil ziehen… Das Auto bewegt sich nicht. Die zahlreichen umstehenden beginnen zu fachsimpeln und sich einzumischen. Doch irgendwie scheint die Lösung schwer. Schließlich erbarmt sich der Busfahrer, der neben dem Auto steht, das Auto auf den Abschleppwagen zu fahren. Wir sind erstaunt. “Das Auto fährt ja noch”, sagen wir uns belustigt gegenseitig zu. Als wir drüben ankommen sind wir Athen ein großes Stück näher. Spontan entscheiden wir uns den kürzeren Weg über die Insel zu nehmen und der Hauptstraße zu folgen. Eine aktuell seit Wochen tägliche Entscheidung. Nehmen wir die kleine Nebenstraße oder folgen wir einfach der Hauptstraße? Hauptstraße heißt meist mehr Verkehr, Nebenstraße bedeutet mehr Steigungen. Doch heute ist die Hauptstraße vom Fährverkehr abhängig und somit ist die Straße nach den herabfahrenden Autos komplett leer. Doch, wo ist der Abschleppdienst? Dieser überholt uns auf der ganzen Strecke nicht. Komisch. Kurz bevor wir am nächsten Hafen angelangen, von wo uns die Fähre nach Athen führen soll, gehen wir noch einmal einkaufen. Es ist unglaublich warm. Wir brauchen eine Abkühlung und Schatten. Leider ist jedoch kein schönes Plätzchen in Sicht und somit setzen wir uns mit Eis und Obst direkt neben den Supermarkt. Anschließend geht es zum Hafen. Etwas irritiert fahren wir zunächst am Kassenhaus vorbei, doch die Zuständigen sehen es mit Humor und winken uns belustigt zu. Wir zahlen nicht viel und werden weiter nach vorne geschickt. Doch welche Fähre ist nun die Richtige? Mindestens 18 Fähren stehen im Hafen. Sowas haben wir auch noch nicht gesehen. Ein stetiger Wechsel zwischen ankommenden und abfahrenden Fähren macht die Verwirrung komplett. “Wo müssen wir hin?” fragt Kyra Michi. Doch auch er ist ratlos. “Lass uns einfach mal bis nach vorne fahren”, schlägt er vor. Dort werden wir nicht mehr nach dem Ticket gefragt und rollen einfach drauf. “Ob wir hier richtig sind?” überlegen wir gleichzeitig laut und müssen lachen. “Wer weiß, wo wir landen”, meint Kyra. Doch die Richtung, die die Fähre einschlägt passt. Puh! Obwohl es wäre auch lustig gewesen plötzlich auf irgendeiner Insel zu sein. Wenige Minuten später kommen wir in Perama an. Perama ist ein Vorort der griechischen Stadt Piräus und bildet den westlichsten Teil des Großraums Athen. Athen – eine Stadt, in der Antike und Gegenwart ineinander übergehen wie Licht und Schatten.
Seit über 3000 Jahren besiedelt, gilt Athen als die Wiege der Demokratie und der Geburtsort der klassischen Philosophie. Namen wie Sokrates, Platon und Perikles prägen die Geschichte dieser Stadt ebenso wie die Säulen der Akropolis, die hoch über dem Häusermeer thront. Heute pulsiert Athen zwischen uralten Steinen und jungem Leben, mit Gassen voller Street Art, Tavernen, hupenden Mopeds – und immer wieder überraschenden Blicken zurück in die Vergangenheit. Zeit für Sightseeing ist jedoch noch morgen. Nun fahren wir erstmal auf direktem Weg zur Unterkunft. Wir sind müde und brauchen dringend Schlaf. Die Hitze macht uns bereits jetzt fertig. Wir stellen uns erneut die Frage: Wie wird nur dieser Sommer mit über 40 °C im Schatten? Die Frage bleibt erstmal unbeantwortet, während wir uns durch den Verkehr in der Stadt drängen. Es geht Hügel rauf und Hügel runter, irgendwie will die Einfahrt gar nicht enden. Als es endlich nicht mehr weit ist, erreichen wir abbiegen von einer etwas größeren Straße eine Nebenstraße, die uns tief Luftholen lässt. Die Straße sieht aus, als wäre bis gerade Markt gewesen und die Stände hätten spontan und plötzlich verlassen werden müssen. Überall liegt Müll, der vom Wind in die Luft getragen wird. Vereinsamte Mülltüten steigen langsam nach oben und sinken wieder. Dazwischen sehen wir vereinzelt Kinder, die in stark verschmutzten und löchrigen Kleidern nach etwas brauchbarem Sammeln. Drei Kinder klettern halb in einen Mülltonnencontainer, ein weiteres Mädchen steht auf rechter Seite ganz alleine hinter einem Tor. Daneben scheint ein Sammelplatz für alles zu sein. Sofas, Kühlschränke, Spielzeug… Alles liegt wie auf einem Schrottplatz auf verschiedenen Stapeln. Es wirkt kurz, als wären wir in einer anderen Welt. Mit solchen Zuständen bei Kindern, hätten wir in Europa nicht gerechnet. Obwohl wir bereits mehrere Lager von Roma in Griechenland gesehen haben. Die Roma – oft als „Zigeuner“ bezeichnet, was jedoch als diskriminierend gilt – sind eine ethnische Minderheit, deren Vorfahren ursprünglich aus dem nordindischen Raum stammen. Sie kamen im Mittelalter nach Europa. Schätzungsweise leben 120.000 bis 300.000 Roma in Griechenland und das schon seit Jahrhunderten. Meist wohnen diese am Rande der Stadt in prekären Wohnverhältnissen. Auch in Athen gibt es mehrere Siedlungen z. B. in Ano Liosia, Menidi (Acharnes) oder im Gebiet von Aspropyrgos. Bis heute sind die Roma häufig von Diskriminierung, sozialer Ausgrenzung und schlechten Zugang zu Bildung, Arbeit und dem Gesundheitssystem betroffen. Nicht selten wurden uns sehr diskriminierende Geschichten über Roma erzählt. Mit einem unangenehmen Gefühl, verlassen wir die Ecke wieder und erreichen nur 5 min später unsere Unterkunft. Zeit zum reflektieren und drüber reden, was wir gerade gesehen haben, bleibt nicht. Wir sind beschäftigt mit Code für die Tür raussuchen, Taschen hochtragen etc. Als alles auf dem Zimmer ist, nehmen wir sogleich eine Dusche mit heißem Wasser, kochen uns etwas warmes zu essen und lassen uns auf die weiche Matratze im Bett fallen. Wie gut wir es haben. Wie privilegiert wir sind… Das darf man niemals vergessen. Gute Nacht.