Tag 59 - Mit Rückenwind in den Norden (30.07.2024)

Von Loch Tingwall nach Skaw Beach

Austernfischer kreischen und die Sonne kommt raus, als Landwirte beginnen mit Traktoren das Gras der frisch gemähten Wiesen einzusammeln. Wir bauen unser Zelt ab und als wie gerade das Tarp zusammenfalten, kommt eine norwegische Touri-Gruppe um die Ecke. Interessiert bilden die rund 40 Personen einen Halbkreis um uns und die Tafel zur Beschreibung des Tingwall. Auf dieser steht geschrieben, dass an diesem Ort die Älteren zur Rechtsprechung und der Verabschiedung neuer Gesetze zusammenkamen. Derartige Plätze für Volksversammlungen, Thingstätten, finden sich überall dort, wo germanischer Einfluss herrschte. Nach einem kurzen Gespräch mit der Reiseleiterin gab es zudem neben den kulturellen Informationen noch etwas über unsere Tour gratis obendrauf. Als die Gruppe weiterzieht, machen auch wir uns auf und fahren gen Norden. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, da heute starke Winde aus Süden angekündigt sind. Nach einer kleinen Korrektur der Route, haben wir diese vorraussichtlich größtenteils im Rücken. So verlassen wir den Eurovelo und begeben uns auf doe direkte Route nach Norden. Vorbei an einem kleinen Flughafen rasen wir auf einer größtenteils neuen Straße dahin. Trotz des Rückenwinds haben wir zeitweise mit den kräftigen Böen zu kämpfen. Als das Wasser langsam zur Neige geht, finden wir die Rettung in einer öffentlichen Toiletten irgendwo im Nirgendwo. Ein älteres schottisches Ehepaar hält ebenso und Michi unterhält sich kurz auf der Toilette mit dem Mann. Dieser warnt uns vor den Hügeln im Westen Schottlands und empfiehlt gleichzeitig eine Wanderung auf diese. Wir behalten es im Hinterkopf, verabschieden uns und winken ihnen bei der Abfahrt nach, als wir noch etwas verweilen. Die Ingwer-Kekse schmecken einfach zu gut. Dann machen auch wir uns auf. Der kalte Wind kriecht durch jede Öffnung der Jacke, der Hose und sogar darunter. Regenschauer zwingen uns in die entsprechende Kleidung. Das Inland ist von Heide bedeckt, auf den sanften Hügeln grasen die Schafe und kleine Lochs liegen wie blaue Tintenklekse in dem Lila-Braun der Heidelandschaft. Die meisten Windräder haben sich bereits aufgrund des starken Windes abgeschaltet. Dann finden wir zurück auf den bekannten Fernradweg und überblicken die aufgepeitschte See an der Küste. Michi möchte die Szenerie mit der Kamera einfangen. Doch einmal mehr hat sich die GoPro nach dem abschalten erneut eingeschaltet und sich im automatischen Abschaltbildschirm festgefahren. Das Problem ist mittlerweile leider mehr als bekannt. Lösen lässt es sich nur durch Entfernen des Akku, welcher in diesem Zustand konstant entladen wird. Doch die Abdeckung mit der Zuglasche des Originalakku löst sich bereits, da dessen Kleber aufgrund der Hitze nicht mehr haftet. Entnervt schiebt Michi die Abdeckung zurück und schließt die Klappe. Eine kleine Bodenwelle tut ihr Übriges. Die Kamera fliegt in hohem Bogen und landet unsanft auf dem Asphalt. Dabei fliegen drei Teile weg – Die Kamera, der Akku und die Abdeckung des Akkufachs. Wir halten an, wir suchen, doch finden die Abdeckung nicht mehr.

Da unsere Fähre bald fährt, entscheiden wir uns nach etwa 20 Minuten der Suche dafür, dass es zwecklos ist. Doof für die Umwelt, doof für uns und einfach unnötig. Es hilft nichts, wir müssen weiter.  Am Fähranleger stellen wir auch noch fest, dass das USB Kabel des Solarpanel defekt ist. Es ist einfach der Wurm drin… Wir essen Müsli im Warteraum der Fähre, als Susanne winkend mit ihrem Bus anrollt. Wir unterhalten uns kurz. Dann rollen wir auf doe Fähre, doch Susanne bleibt bei dieser Überfahrt zurück. Am anderen Ufer angelangt entscheiden wir uns für die Westliche Route auf Yell. Zwischen starken Schauern brechen Kegel aus Sonnenstrahlen, wie Suchscheinwerfer durch die Wolken. Wir passieren Muschelfarmen und Gebiete mit Torfabbau. Dazwischen liegen kleine Örtchen und verfallene Höfe, die so manche Geschichte erzählen könnten. In Gutcher erreichen wir die Fähre nach Unst. In der kargen Landschaft taucht eine weiße Silhouette auf. „Ist das eine Frau?“, fragt Michi Kyra unsicher. Tatsächlich steht eine Skulptur mit einer mystischen Geschichte auf einem Täfelchen daneben am Straßenrand. Die weiße Braut hat sich der Sage nach im nahegelegenen Loch ertränkt und wandelt nun hier auf der Suche nach ihrem Sohn. „Einfach weiterradeln“, denken wir uns. So erreichen wir die Replik eines Drachenboots und Langhauses.

Wir erkunden das Areal gemeinsam mit einer französischen Familie. Unser Ziel ist dasselbe – Der Strand am nördlichen Ende. Der Nachbau ist spannend. Wir sitzen bei der Feuerstelle und lenken das Schiff durch die Gischt der nassen Böen. Dann radeln 3 weiter und passieren ein nettes Vintage Café und erreichen Saxa Vord. Das Space Center wird derzeit renoviert sowie eine neue Startrampe gebaut. Wir nehmen einen steilen Anstieg. Als dieser in Schotter übergeht, streiken Emil und Elias. Wir müssen schieben. Geschafft! Wir erblicken die Startrampe. Beeindruckend! Dann rauschen wir hinab und erreichen das Ende des Eurovelo. Ein tolles Gefühl. Doe Franzosen winken uns aus dem Camper und wir sind überglücklich. Wir schießen noch ein Foto und schieben doe Drahtesel über eine kleine Brücke hinüber zum Strand.

Dort angelangt sehen wir noch eine Robbe und Austernfischer. Dann bauen wir das Zelt auf. Eine einheimische Familie mit 3 Söhnen kommt kommt vom Strand in unsere Richtung. Wir unterhalten uns. Sie haben seltene Muscheln gesucht und stolz zeigt uns der Sohn seine zwei schönsten Stücke. Sie waren ebenso auf einer Radtour. „And you thought our tour has been a long tour?“, sagt die Frau lächelnd zu einem der Jungen. Wir unterhalten uns noch gut, erzählen von unseren Plänen und bekommen Tipps. „At Frankie’s you’ll get good fish and chips and good portions as well“, sagt der Mann. Das merken wir uns. Dann bekommen wir sogar noch Haferkekse von Shetlands geschenkt und verschenken selbst etwas Ostfriesentee. Die Familie verabschiedet sich und wir machen uns ans Abendessen. Es gibt Spaghetti mit Tomatensauce und Cheddar. Lecker! Satt und zufrieden kriechen wir leicht frierend in unsere Schlafsäcke. Gute Nacht!