Tag 66 - Old man of Hoy (06.08.2024)

Von Rackwick Beach nach St. Margaret's Hope

Als der Wecker früh am Morgen geht, hören wir neben dem Rauschen der Wellen Regen auf unser Zelt prasseln. Der Wetterbericht sagte eigentlich gutes Wetter vorher, weshalb wir die Augen noch einmal schließen und abwarten. Keine 30 min später hat der Regen aufgehört. Etwas verschlafen fangen wir an, unsere Sachen zu packen. Als Kyra das Zelt schließlich verlässt, um auf Toilette zu gehen, hört man sie nur fluchen: „Ahhh, tausende von Midges“. Während sie schnell Pipi macht, wird sie mehrfach gebissen. Es hilft nichts, Bewegung ist das einzige Mittel gegen die kleinen Viecher und unser Kopfnetz. Selbst das DEET Mittel, welches wir von Peter und Annemiek am Anfang unserer Tour in der Nähe von Rotterdam geschenkt bekommen haben, hilft nicht wirklich. Schweigend, tanzend und mit dem Netz bekleidet packen wir unsere Sachen für eine kleine Wanderung. Emil und Elias werden nochmal versetzt und abgeschlossen. Das Zelt lassen wir stehen. Unsere Idee ist, dass die Leute so denken, wir wären noch drin und unsere Drahtesel in Ruhe lassen. Aufgrund der Eile wegen der Midges haben wir beim Losgehen das Gefühl, etwas vergessen zu haben und freuen uns gleichermaßen den Viechern nun zu entkommen. Schnellen Schrittes, immer noch mit dem Netz bekleidet, wandern wir die ersten Meter. Bald geht es steil bergauf und ein leichtes Lüftchen weht, die Midges sind fast alle verschwunden.

Wir ziehen das Netz aus und können nun den Blick über unsere Bucht und das weite Meer besser genießen. Es ist ein unglaublich schöner Blick. Zwischen Moor, Moos und Heide führt unser Weg in Richtung des Old Man of Hoy. Als wir die Steigung hinauf geschafft haben, können wir den weiteren Weg in die Ferne bereits erahnen und nur nach wenigen hundert Metern türmt sich in der Entfernung etwas auf. „Guck mal, Kyra. Man sieht ihn schon“, sagt Michi freudig. Unser Weg führt jedoch noch einige Kilometer geradeaus und die Landschaft verändert sich nicht. Aber das ist nicht schlimm, denn unsere Augen sind sowieso auf den Boden gerichtet, wo wir großen Steinen und unebenen Stellen ausweichen müssen. Doch dann haben wir es geschafft! Etwas verunsichert, wie nah wir uns den Klippen nähern können, betrachten wir den Old Man of Hoy. Wir setzten uns und Michi stellt erstaunt fest, dass Kyra alle Frühstückssachen inklusive Bananen und Äpfel eingepackt hat. Was für ein Festmahl mit dem Blick auf das offene Meer, wunderschöne Klippen und den Old Man! Die Midges, die aufgrund des Windes hier oben kaum vorhanden sind, sind bereits vergessen. Zudem kommt nun das vorhergesagte Wetter. Der Himmel reißt auf und nur innerhalb weniger Minuten sitzen wir um Sonnenschein. Fantastisch! Was für eine großartige Belohnung für unsere frühe Wanderung. Michi holt Fridolin (unsere Drohne) heraus, doch bevor er sie startet, kommt ein Mann vorbei. Er ist ebenfalls am Morgen gestartet und losgewandert, um den Old Man zu sehen. Wir reden kurz miteinander und er berichtet, dass er bereits das vierte Mal hier ist. Ihm gefällt die Natur sehr und er will ein bisschen spazieren, bevor er den Weg zurück nimmt. Wir frühstücken weiter und genießen die Aussicht. Michi traut sich schließlich Frido starten zu lassen und macht eine schöne Aufnahmen, bevor Frido sagt, dass sein Speicher voll ist. Also landet er wieder brav neben uns und wir packen so langsam zusammen. Bevor wir auf den Weg zurück starten, fährt die Fähre von der britischen Hauptinsel in Richtung Stromness an uns vorbei und wir winken. Leider sind wir jedoch so weit entfernt, dass uns scheinbar niemand wahrnimmt. Der Weg zurück geht wesentlich schneller als der Hinweg. Wir genießen noch einige Aussichten, bevor der Weg uns zurück in die Bucht zu unserem Zelt und Emil sowie Elias führt. Dabei laufen wir an zahlreichen Wanderern vorbei und freuen uns, dass wir am Morgen den Weg und den Old Man of Hoy für uns alleine hatten.

An der Wanderhütte zurück angekommen, tosen die Wellen noch immer, doch die Midges sind zum Glück verschwunden. Auch unsere drei Bekanntschaften von gestern sind noch da, ebenso wie Emil und Elias und unser Zelt. Zum Glück! Wir bauen schnell unser Zelt ab und setzen uns für einen schnellen Kaffee ans Meer. Michi bereitet alles vor und Kyra schaut nach der Fähre zurück. „Mist, die Fähre fährt um 14 Uhr, in 2 Stunden… Schaffen wir das?“ fragt sie etwas zweifelnd. Bevor Michi wirklich antworten kann, kommt JD dazu und setzt sich kurz zu uns. Wir reden über unsere jeweiliges Vorhaben und packen währenddessen unsere Sachen zusammen. Die beiden Frauen von gestern laufen an uns vorbei und verabschieden sich. Sie wollen nun ebenfalls zum Old Man of Hoy wandern. Wir winken, lächeln und sagen „See you! Bye bye“. Nun müssen auch wir dringend los. Wir haben ab jetzt 2 Stunden für 20 Kilometer mit Höhenmetern und Gegenwind. 10 km/h Durchschnitt hört sich erstmal machbar an, aber Gegenwind kann den Schnitt ganz schön runterziehen. Wir sagen JD auf Wiedersehen und fahren los. Zunächst geht es durch die Gatter zurück zur einzigen Straße, die nach Rackwick führt. Wir folgen ihr und sind aufgrund der verbleibenden Zeit so gestresst, dass wir aneinandergeraten. Beim Dwarfie Stane bleiben wir trotzdem stehen und Michi legt einen wahnsinnigen Sprint zum einzigen bekannten neolithischen Felsengrab in Großbritannien hin. Als hätte er schon häufiger Trail Running gemacht, hüpft er von Stein zu Stein über den Weg durchs Heidekraut zur anderen Talseite, guckt sich alles an und kommt zurück. Kyra hat in der Zwischenzeit auf Emil und Elias aufgepasst und ein paar Fotos gemacht. Eine Legende erzählt, dass ein Riese von einem Rivalen im Berg gefangen wurde und er zur Befreiung den Stein zerschlug. Die Insel Hoy und ganz Orkneys wimmeln jedoch von Geschichten über Zwerge und Riesen. Als Michi zurück ist, fahren wir sofort weiter. Mit einem Blick auf die Uhr schöpfen wir neue Hoffnung. Es könnte klappen!

Wir fahren Hügel rauf und runter und haben dabei fantastische Aussichten auf das Meer und die anderen Inseln der Orkneys. Die Buchten, an denen wir vorbeirauschen, schimmern blau türkis in der Sonne und man könnte bei dem weißen Sand meinen, wir wären an der Karibik. Zwischendurch suchen sich Bäche den Weg ins Meer und haben wunderschöne kleine Schluchten geformt. Der Gegenwind fordert nochmal all unsere Kraft und es wird knapp. Richtig knapp! In der Ferne sehen wir die Fähre bereits zum Hafen fahren und mit letzter Kraft erreichen wir den Anleger 5 min vor Abfahrt. Glücklich, aber komplett fertig und mit knallrotem Kopf fragt Kyra einen anderen Mitreisenden: „Is this the ferry to Orkney Mainland?“ Er lacht freundlich und bestätigt. Puh! Erst jetzt können wir beruhigt durchatmen und vergessen vor Erleichterung eine Jacke mit zu unseren Plätzen am Außendeck zu nehmen. Während wir anfangen zu frieren und zittern legt die Fähre ab.

Bei einem Zwischenstopp am Oil Terminal auf Flotta, holen wir uns schnell Jacken und können so die weitere Fahrt genießen. In Houton angekommen, fahren wir direkt weiter in Richtung Kirkwall. Zum Glück geht es nicht mehr ganz so hoch hinauf, aber noch immer hoch und runter. Das Wetter ist weiterhin super und der Weg scheint zunächst nicht zu Enden, bis in der Ferne plötzlich zahlreiche Häuser auftauchen. „Ist das Kirkwall?“ ruft Kyra von hinten. „JAAA“, ruft Michi zurück. Wir halten zunächst bei Lidl, wo Michi ein paar Kleinigkeiten holt und fahren weiter zur St. Magnus Kathedrale. Diese schließt in 10 min, aber Kyra springt nochmal schnell rein und ist von dem fantastischen Licht im Inneren begeistert. Vor der Kathedrale sitzen weitere Radreisende, die scheinbar auf die Fähre zu den Shetlands warten und ebenso wie wir vor circa einer Woche noch Zeit haben. Mit einem niederländischen Paar quatschen wir kurz, doch dann fahren wir weiter, weil wir die Idee gefasst haben zurück zu St. Margaret’s Hope zu fahren und dort in einem gut bewerteten Fischrestaurant endlich Muscheln zu essen. Die letzten 30 km scheinen bis zum Abend gut machbar zu sein und so treten wir kräftig in die Pedale. Wir sprinten gegen den Wind auf der Straße, die wir bereits kennen. Wir fahren an dem Schlafplatz von vor ein paar Tagen und am Flughafen vorbei. Hüpfen über die Barrieren von Insel zu Insel immer weiter in den Süden. Kurz vor St. Margaret’s Hope nutzen wir eine öffentliche Toilette, um uns kurz zu waschen und kommen gegen 19:30 Uhr am Restaurant an. Doch all die Mühe, der Sprint und die Katzenwäsche waren vergeblich. Laut Bedienung ist kein Tisch mehr frei und draußen dürfen wir auch nicht sitzen. Sehr enttäuscht stehen wir draußen vor dem Lokal und rollen zum Fähranleger. Dort machen wir uns Spaghetti mit Tomaten und Paprika und verschwinden anschließend ins Fährhaus, wo wir uns in einer Ecke auf den harten Holzbänken „bequem“ machen. Während Michi sich um die Elektronik kümmert, schläft Kyra bereits ein. Kurze Zeit später fallen auch Michi die Augen zu. Gute Nacht!