Tag 72 - Gewitter, Genuss und Gegenwind (12.08.2024)
Von Stornoway nach Shawbost Beach
Regen tropft auf unser Zelt und die Wellen der See rauschen laut in unserer Nähe. Der Tag hat ungemütlich begonnen und machen uns erstmal im Zeltinneren unser Frühstück. „Frühstück im Bett“ war in Emden noch eine Besonderheit, aktuell haben wir es jeden Morgen. So schön es ist, kennt doch jede*r auch die Schattenseiten. Erst krümelt man ins Bett/Schlafsack, dann sitzt man schief und ungemütlich und am Ende schläft der Arm ein. Da Michi Linkshändler und Kyra Rechtshändlerin ist, liegen wir auch noch meist genau falsch herum: Kyra auf der linken Seite auf den rechten Arm gestützt und Michi auf der rechten Seite auf den linken Arm gestützt. Wieso schaffen wir das immer wieder? Trotzdem ist es irgendwie gemütlich und etwas besonderes, auch für uns im Zelt. Als wir fertig gefrühstückt haben, fängt es an zu Gewittern. Es blitzt und regnet stark. Wir zählen die Sekunden zwischen Blitz und Donner: 27… Es ist also noch weit entfernt. 23… Es ist näher. 25… Es verschwindet. Während der Regen weiter auf unser Zelt tropft, rufen wir bei Michis Eltern an. Wir quatschen eine ganze Weile und als wir auflegen, kommt sogar die Sonne hervor. Also schnell einpacken und los geht’s! Während wir packen, läuft ein Mann mit Hund vorbei und fragt, ob wir während des Gewitters sicher im Zelt waren. Wir bejahen, er lächelt uns an und wünscht eine gute Fahrt. Wie nett und besorgt um uns! Wir fahren nur einige Meter, denn Michi besorgt beim Tesco noch etwas zum Frühstück für die nächsten Tage. Anschließend wollen wir die öffentliche Toilette aufsuchen, doch diese ist verschlossen und kostet Geld. Da wir kein passendes Kleingeld haben und der Automat nicht wechselt, entscheiden wir uns dagegen. Vielleicht können wir in einem Café auf Toilette oder im Fahrradgeschäft, da wir noch ein paar Erledigungen machen müssen. Wir brauchen Öl für unsere Kette, die gewechselt werden muss und zwei neue Schrauben für Kyras Ständer, der bereits vor über 2 Wochen zum zweiten Mal gebrochen ist. Zum Glück waren es diesmal nur die Schrauben und nicht der ganze Ständer. Michi sucht ein Fahrradgeschäft und wir folgen der Navigation durch die Stadt Stornoway. Am vermeintlichen Laden angekommen, können wir leider keinen entdecken. Zum Glück finden wir ein weiteres Geschäft im Internet. Erneut folgen wir der Navigation und haben diesmal Glück. Ein Fahrradgeschäft mit Café, eine tolle Kombination! Wir finden unser Fluid (Kettengleitstoff) und die benötigten Schrauben für Emils Ständer. Die Schrauben bekommen wir sogar geschenkt. Vielen Dank! Draußen sehen wir einen weiteren Radreisenden. Wir fragen ihn wo er her kommt, was seine Route ist, wie er die Inseln findet und vieles mehr. Jules kommt aus Frankreich und einige Tage auf den äußerst Hebriden unterwegs gewesen. Er ist von Nord nach Süd und Süd nach Nord gefahren. An einem Tag war es so windig, dass er nur 40 km gefahren ist. Meist hat er an schönen Stränden übernachtet und da hier einige andere Radreisende sind, ist er eine Zeit auch mit anderen zusammengefahren. Ihm gefallen die Inseln sehr gut. Da wir ein nettes Gespräch führen gehen wir zu dritt ins Café des Fahrradgeschäfts und bestellen alle etwas zum Essen und trinken. Wir beide essen Pommes und Trinken jeweils eine Schorle. Zum Nachtisch gibt es eine „special hot chocolate“. Wir lassen uns überraschen, was es damit auf sich hat. Als der Kakao kommt, ist dieser mit Sahne und Marshmallows. Lecker und mächtig, also perfekt für uns. Jules trinkt nach deinem Burger mit Pommes noch ein Espresso. Als wir fertig sind bezahlen wir und gehen zusammen nach draußen. Es ist bereits spät, um einen Fahrradtag zu starten, aber wir möchten auf die andere Seite der Insel und uns einen schönen Strand suchen.
Vielleicht machen wir morgen ein Pausetag. Wir verabschieden Jules und wünschen uns jeweils eine gute Reise. Dann schwingen wir uns aufs Fahrrad und stellen erfreut fest: „Wir haben Rückenwind!“ Die ersten Kilometer werden wir vom Wind angeschoben. Es geht durch eine leicht hügelige, im Vergleich zu den Vortagen flache, Landschaft. Unser Blick streift über große Moorflächen und Heidekraut, welches leicht blüht. Es ist kein Baum und kaum ein Strauch in Sicht. Der Himmel ist blau und leicht bewölkt. Durch den Wind fliegen die Wolken rasant über uns hinweg und wir auf dem Boden hinterher. Wie bereits auf den Shetlands, sehen wir kleine Flächen, auf denen Torf abgebaut wird. Wir sind noch immer darüber verwundert, dass der Privatabbau zum Heizen erlaubt ist. Aus Ostfriesland wissen wir, wie der Torfabbau eine Landschaft verändert kann und welche Folgen dies mit sich zieht. “Torfabbau zerstört die Lebensräume vieler Pflanzen und Tiere. Auch fürs Klima ist der Abbau schlecht: Durch die Entwässerung der Feuchtgebiete entweicht CO2, außerdem entfällt ein wertvoller Speicher für das Treibhausgas.” (Umweltbundesamt 2021) In Deutschland ist es deshalb nicht erlaubt für den Privatverbrauch Torf zu stechen. In Großbritannien scheint das anders zu sein. In vielen großen Plastiktüte liegt der gestochene Torf in der Moorlandschaft… Während wir uns Gedanken machen, sind die ersten 20 km mit dem Wind im Rücken schnell geschafft. Wir erreichen die Westküste und biegen in den Süden ab. Nun kommt der Wind, wie bereits die vergangenen Tage, erbarmungslos von vorne. Jeder Tritt fällt schwer. Nach kurzer Zeit sehen wir ein Schild, welches die Sehenswürdigkeit “Shieling” ausweist. Die Pause nehmen wir dankbar an und gucken uns das kleine Haus an. Ein Shieling ist eine Hütte oder eine Ansammlung von Berg-/Moorbehausungen für den Sommer. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden diese Hütten auf den äußeren Hebriden genutzt. Es ist eine Zeit ohne Straßen, Autos, Fähren, Flugzeuge. Eine Zeit ohne Internet und Strom. Die Menschen auf der Insel gingen zu Fuß oder ritten. Der Winter war hart und in der Zeit wohnten die Menschen In den sogenannten Blackhouses. Im Sommer zogen dann normalerweise die Mütter oder Großmütter mit den jüngeren Kindern in die Shieling, um sich hier um das Vieh zu kümmern. An den Wochenenden wurden sie von den restlichen Familienmitgliedern besucht, die unter der Woche zur Schule gingen oder Arbeit hatten. Wir verlassen die kleine Hütte, in der nicht mehr Platz ist als für ein großes Gemeinschaftsbett und eine Feuerstelle, und fahren weiter in Richtung Süden. Der Shawbost Beach ist schnell erreicht und wir finden hinter einen kleinen Mauer und einem Tisch mit Bänken eine Möglichkeit unser Zelt aufzubauen.
Damit wir noch mehr Windschutz haben, stellen wir Emil und Elias mit allen Taschen zwischen Bank und Wand. Perfekt! Dahinter ist es tatsächlich um einiges windstiller. Nach dem Abendessen geht es ins Bett. Gute Nacht!