Tag 74 - Entdeckungen auf Lewis und Harris (14.08.2024)

Von Shawbost Beach nach Aline Community Woodland

Der Morgen ist mit leichten Schauern durchwachsen und wir begeben uns auf eine Spaten-Erkundungstour. Auf Flip-Flops schleichen wir am Zelt der Familie vorbei in der Hoffnung, ein entlegenes Plätzchen zu finden. Austernfischer begleiten uns und Möwen kreisen neugierig über uns. Als sie erkennen, dass wir sicherlich keine Leckereien dabei haben, fliegen sie in die Bucht und stürzen sich nach Fischen jagend in die Fluten hinab. Nach erfolgreicher Expedition frühstücken wir im Zelt. Es wird der letzte Kaffee gekocht und leider Milchreis-Suppe bereitet. Michi stellt dabei fest, dass nun auch noch Gas aus dem Schlauch des Kochers austritt. Zudem ist das Material des Silencers gebrochen. “Wir müssen nochmal mit ihnen Kontakt aufnehmen. Das darf nicht sein, nach aktiv 5 Monaten Nutzung sind wir gezwungen Gas zu nutzen, da die Benzinpumpe defekt ist und das Gas leckt nun auch durch den Schlauch. Der Silencer ist ebenfalls defekt. Das geht bei dem Preis nicht!”, empört er sich. Ja, bei dieser Tour ist derzeit technisch ein wenig der Wurm drin. Es ist nicht so, dass alles gänzlich kaputt ist, aber viele Sachen ein bisschen. Die Actioncams und die nagelneue Kamera saugen eingelegte Akkus leer und schalten sich bisweilen nicht an oder ab. Der Kocher, der mit mehreren Brennstoffen funktionieren sollte, arbeitet nur noch unter erhöhtem Verbrauch mit Gas. Der Nabendynamo an Elias ist defekt und von Zeit zu Zeit knarzt das vordere Lager beängstigend. Einmal mehr zeigt sich, dass wir gut voraus geplant haben. Mehrere Akkus für die Kameras helfen uns über deren Probleme hinweg. Der Kocher konnte gewartet werden, ist somit noch eingeschränkt einsatzfähig und die zur Sicherheit eingepackte Ersatzkartusche mit Gas ist bereits sinnvoll für warme Mahlzeiten eingesetzt worden. Der blockierende Dynamo am Vorderrad konnte dank des mitgeführten Werkzeugs bis zur nächsten Fahrradwerkstatt gangbar gemacht werden und unsere doch zahlreichen Powerbanks halten unsere Navigation, Computer und die Kameraakkus geladen. Es geht somit gut weiter, aber die Probleme müssen z.T. mit den Firmen besprochen und vor allem zeitnah sinnvoll gelöst werden, damit wir derartige Ausfälle nicht in Regionen erleiden, in denen wir schlechteren Zugang zu Ersatzteilen und ggf. schwierige Kommunikation Reparaturen zusätzlich erschweren. Heute soll es jedoch erst einmal weitergehen. Wir packen soweit alles ein und hören, wie die Familie ihr Frühstück bereitet. Wir wünschen einen guten Morgen und ein nettes Gespräch beginnt. Sie sind früher selbst viel mit dem Zelt und Fahrrad gereist und nun erkunden sie mit den Kindern die Welt auch mal mit dem Zelt und Auto. Sie waren gefühlt schon überall, haben sogar in China gearbeitet und leben nun mitten im Wald in Deutschland. Gespannt hören wir zu und erzählen von unseren Plänen. Als wir von den Midges erzählen, reicht uns die kleine Tochter Blätter des Spitzwegerichs gegen den Juckreiz. Zerrieben oder zerkaut, kann man den Pflanzenbrei auf Stiche geben. Die enthaltenen Gerbstoffe wirken adstringierend, also zusammenziehend und somit blutungs-  sowie entzündungshemmend, aber auch schmerzlindernd. Zudem wirken die Iridoide antibakteriell und Schleimstoffe kühlend. Eine wahre, weitverbreitete kleine Heilpflanze. Man lernt nie aus! Jedoch halten wir es mit Heilpflanzen wie mit Nahrung aus der Natur, z.B. Pilzen. Erst gründlich informieren, dann eindeutig bestimmen und erst dann nutzen. Anfangs am besten alle Schritte persönlich mit einer Person, die theoretische und praktische Erfahrung mit dem Thema gesammelt hat, ausprobieren. Wir quatschen noch ein bisschen und bekommen noch übriges heißes Wasser für einen Tee. Dann zieht erneut ein Schauer auf und wir verabschieden uns und kriechen zurück ins Zelt. Nach dem Schauer sind sie bereits weg und wir bauen ab und Packen alles ein. Es geht weiter gegen den Wind nach Süden. Dick eingepackt rollen wir gegen den unsichtbaren Gegner kämpfend. Kleine tiefschwarze Tümpel säumen die Straße. Ein langer Anstieg und ein ungewohnter Geruch weht uns im Sonnenschein um die Nase. Wir sind uns nicht sicher und wie so oft treiben wir in der Zwischenzeit ein paar Schafe vor uns die Straße entlang. Wie bei den Rentieren in Finnland und Norwegen erschrecken sich die Schafe hier auch vor unseren Drahteseln deutlich mehr als vor Pkw, Lkw und Motorrädern. Dann auf einer Kuppe sehen wir den Ursprung ein Haus Qualmt in ein paar Kilometer Entfernung und wir beide wissen sofort was es ist. “Torf!”, entfährt es uns. Trotz der starken Winde weht eine dichte Wolke über das Tal den Hügel hinauf zu uns. Wir rauschen hinab und überlegen, ob wir noch zu den Blackhouses, einem traditionellen Haustyp, fahren sollen.

Diese kleinen Steinhäuser ohne Rauchabzug dienten insbesondere in den langen kalten Jahreszeiten, inbesondere den rauen Wintern, als Refugium vor der erbarmungslosen Natur Schottlands. Im Schein des Torffeuers wurden z.B. aus der Wolle feine Stoffe hergestellt und der Rauch konserviert im Dachstuhl hängende Lebensmittel. Zwei Insulanerinnen sehen unsere Entscheidungsfindung und bestärken uns, die Häuser zu besuchen. Wir radeln den kleinen Umweg und sind nach dem Eintritt etwas enttäuscht. Nur ein Haus lässt sich wirklich besichtigen, ein anderes wird als Ausstellungsraum mit Informationen genutzt. Im ersten erhalten wir einen kurzen Vortrag darüber, wie eng die Region doch mit Deutschland verbunden ist und, dass ein Austausch bezüglich der ursprünglichen Sprache, dem Gälischen, mit deutschen Universitäten besteht. Dann wird der Torfstecher erklärt und ein Scheit Torf nachgelegt. Wir betrachten die Einrichtung und fühlen uns an das Moormuseum in  unserer Wahlheimat Ostfriesland erinnert. Im Anschluss wird die ehemals moderne halbautomatische Webmaschine erklärt. Im anderen Haus läuft ein Film zum immer noch aktuellen Torfabbau für den Eigenbedarf. Sicherlich erreicht dieser nicht das Ausmaß eines kommerziellen Abbaus und verursacht geringeren Schaden. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass es keine für Mensch, Natur uns Geldbeutel keine schonender Energieform gibt. In unserer Heimat heutzutage unvorstellbar, aber Moor und Torf sind dort nun auch ein knappes Gut. Hier auf den Hebriden wird der Rohstoff jedenfalls scheinbar normal weiterhin zum Heizen, nicht nur in den Feuern des Museums, sondern in einigen Wohn- und Ferienhäusern genutzt und aktiv mit dem “real peat fire” geworben. Die restlichen Häuser werden bis auf eines als Ferienwohnungen genutzt. Das letzte dient als Shop und Café. Beim Verlassen füllen wir unsere Wasserflaschen auf und lassen uns zum Kauf von Bonbons hinreißen. Als wir gerade losfahren wollen sprechen wir noch mit einem deutschen Pärchen. Sie geben uns Tipps für weiteres Sightseeing in der Region und in Irland sowie einen günstigen Campingplatz. Wir bedanken uns und fahren los.

Nach kurzer Zeit erreichen wir den Dun Carloway Broch. Dieser ist noch recht gut in der Höhe erhalten und somit bekommt man einen Eindruck darüber, wie eindrucksvoll die anderen Brochs ausgesehen haben müssen. Wir laufen über die Anlage und lassen den Blick in die weiten Hügel von Harris schweifen. Es ist beeindruckend, dass der Wind die verbliebene Hälfte des Turms noch nicht umgeworfen hat. Also werfen wir uns erneut diesem entgegen und fahren in Richtung dreier Steinkreise in Callanish.

Zuvor springen wir noch kurz in einen Dorfladen. Diese sog. Community-Markets sind in ländlichen Regionen weit verbreitet und bieten neben dem Nötigsten häufig Informationen zur Region, lokale Erzeugnisse und ein kleines Café mit Selbstgebackenem für den entspannten Austausch unter und mit den Einheimischen. Wir kaufen Müsli, Milch und endlich den schottischen Teekuchen. Dann geht es weiter zum Steinkreis. Dort angekommen, verspeisen wir das restliche Brot, die schottischen Teekuchen und besichtigen die Anlage, die neben dem Kreis auch Steinlinien aufweist. Nach einem ausführlichen Rundgang fahren wir weiter. Es gibt hier noch zwei weitere, kleinere Steinkreise, aber wir entscheiden uns diese, in diesem Fall, rechts liegen zu lassen, da wir noch einige Kilometer gegen den Wind vor uns haben. So wechseln wir uns ab, mal fährt Kyra vorne und mal Michi.

Immer wieder riecht es nach Torf, Schottland-Flaggen wehen im nassen Wind. Dieser wischt uns bisweilen wie ein nasser Lappen seitwärts von der Straße. Dann lässt der Regen nach und drei Frauen radeln uns leicht bepackt entgegen. Sie wechseln von Rückenwind auf Seitenwind und müssen schlagartig kämpfen, sodass die freudig winkenden Hände zurück zum Lenker zucken, den sie fest umklammern. Wir erwidern den Gruß und biegen nach rechts ab. Gegenwind… der unsichtbare Gegner stoppt sogar unsere Abfahrt, sodass wir bergab strampeln müssen. Dennoch ist bergab deutlich entspannter als der folgende kleine Anstieg. Der Wind frischt weiter auf und Regenwolken rasen auf uns zu. “Es hilft nichts. Regenhose?”, ruft Michi fragend. “O.K.!”, schallt es von Kyra zurück. Da Emils Ständer weiterhin den Dienst versagt, ziehen wir uns in Etappen um. Zudem befestigen wir unsere Stirnlampen an Elias Lenkertasche und Kyras Regenjacke. So beleuchtet geht es weiter. Der Regen prasselt in dicken Tropfen, die langsam unter die Jacke kriechen. Die Wolken ziehen als endloses graue Wattebauschen über die Landschaft und verschlucken nach und nach die Hügel, den Loch, das Sonnenlicht, ja sogar uns. Übrig bleiben kleine Örtchen, mit in die Jahre gekommenen Häuschen. Teilweise hübsch hergerichtet, haben sich andere scheinbar den widrigen Bedingungen ergeben. Dort ist das Leben weitergezogen, der einstige Besitz blieb in der Hoffnung auf neue Bewohner zurück.Teils steht gar an der Fassade “For Sale”. Dann liegen die Dörfer hinter uns und wir beginnen mit der Suche nach einem Schlafplatz. Doch nichts findet sich auser sumpfiger nasser Heide. Die Hoffnung liegt auf einem Wald, den wir bevor alles verschluckt wurde, am Horizont gesehen haben. Als wir ihn erreichen, ist zunächst alles eingezäunt. Dann entdecken wir an einem Parkplatz eine Schutzhütte. Ein Schild weist jedoch darauf hin, dass Übernachtungen nicht erlaubt sind und diese zudem abgeschlossen wird. Etwas erhöht soll auf dem Gelände noch ein Spielplatz im Wald liegen. Der schöne Rasen auf dem Bild am Parkplatz sieht so einladend aus, dass Kyra kurzerhand zu diesem wandert. Michi wartet bei den Eseln. Hinter einem Tor erblickt Kyra den Spielplatz. Der Rasen ist perfekt, aber da steht noch eine Schutzhütte. Diese hat sogar ein WC und sie ist ganztägig geöffnet. Perfekt!

Wir radeln den Hügel hinauf, schieben die Esel durch das Tor und… retten uns in die leicht zugige, aber saubere Hütte. Es braucht nicht lange, bis wir entscheiden: “Wir bleiben hier.” Das verlassene Areal ist perfekt und heute Abend wird vermutlich auch niemand mehr bei Wind und Wetter einen Spielplatz Ausflug machen. Die Toilette mit Regenwasser ist bestimmt auch gut gefüllt. Schnell ist die Tisch-Bank-Combi in eine Ecke gestellt, das Tarp ausgebreitet und unser Schlaflager eingerichtet. Eigentlich sollte es auch Strom in der Hütte geben. Doch der Sicherungskasten ist vermutlich Vandalismus zum Opfer gefallen. Egal, wir sind im Trockenen, windgeschützt und todmüde. Die Nacht bricht herein und unser Atem wabert durch den Schein der Kopflampe. Wir kochen noch Spaghetti mit Thunfisch und Tomaten. Wärme breitet sich langsam in uns aus und uns überkommt eine unbezwingbare Müdigkeit. Wir kriechen in unsere kalten Schlafsäcke und lauschen noch etwas dem Wind, der um die Hütte jagt und wünschen uns eine gute Nacht.