Tag 76 - Anders als gedacht (16.08.2024)
Von North Uist nach Lochmaddy
Das Zelt biegt sich sanft von links nach rechts und rechts nach links im Wind, während die Wellen rauschen. Beides sind wir mittlerweile gewöhnt und wachen nach einer halbwegs ruhigen Nacht auf. Schnell hüpfen wir auf Toilette und genießen nochmal die Wärme des Schlafsacks, denn draußen ist es kalt und, wer hätte es gedacht, weiterhin stark windig. Zum Frühstück gibt es wie meist Müsli. Während wir anfangen das Zelt abzubauen, beobachten wir Kiter zunächst am Strand und später im Wasser. Einer von ihnen ist besonders gut und macht hohe Sprünge. Meterweit lässt er sich nach oben ziehen und knallt hart aufs Wasser zurück. Manchmal wirkt es elegant und er fährt so weiter, manchmal taucht er bei der Landung voll unter und taucht schnell wieder auf. Wir sind begeistert und nehmen uns vor irgendwo im warmen kiten oder windsurfen zu lernen. Darauf freuen wir uns schon jetzt. Unsere Träume werden von einer Stimme unterbrochen: „Habt ihr Lust auf ein Kaffee oder Tee?“.
Stephan, der uns gestern kurz ansprach, steht lächelnd hinter uns. „Oh, danke! Gerne“, erwidern wir und sitzen circa 10 Minuten später bei ihm, seiner Frau Pepe, der Tochter Jade und den zwei Hunden Oki-Doki und Rio Bravo im Camper. Der Kaffee wurde frisch gemahlen und richt gut. Es gibt Cappuccino und dazu Kekse. Danke! Beim Trinken unterhalten wir uns nett. Die beiden fahren ebenfalls viel Fahrrad und haben eine Wahnsinns Challenge mit vielen Höhenmetern und Kilometer mit ihren Fahrrädern gemeistert. Zudem baut Stephan aus alten Fahrrädern Lastenräder. Als wir feststellen, dass er und Kyra beide aus dem Kreis Viersen kommen, müssen wir lachen. Noch größer ist der Zufall, dass Stephan ebenfalls Schokofahrer ist. Letztes Jahr im Oktober war er das erste Mal auf Schokofahrt in Amsterdam. Die Schokofahrt ist eine dezentral organisierte private Fahrradtour. Personen aus ganz Deutschland fahren in kleinen Gruppen nach Amsterdam zu den chocolatemakers, um dort Schokolade zu holen. Die Schokolade wird in den Heimatstädten anschließend in Läden verkauft. Die Kakaobohnen der Schokolade wurden mit der Tres Hombres aus der Dominikanischen Republik gesegelt und die Schokolade wird mit Solarenergie produziert. Die Schokofahrt soll auf nachhaltigen und fairen Genuss aufmerksam machen. Zudem ist sie super lecker! Seit 2020 sind auch wir beide für die Stadt Emden dabei gewesen. Nach Corona ging es bereits dreimal nach Amsterdam. In Emden wird die Schokolade von agilio und dem Studentenwerk Oldenburg in der Mensa der Hochschule Emden/Leer verkauft. Wir reden mit Pepe und Stephan jedoch auch über weitere Reisepläne und Träume. Einen Kaffee und ein Regenschauer später, ist es soweit. Wir wollen heute noch 60 km fahren und am Abend in der Nähe vom Fähranleger schlafen, um morgen zur Insel Skye überzusetzen. Somit müssen wir langsam los.
Wir verabschieden uns noch und schwingen uns auf die Drahtesel. Dies ist gar nicht so einfach. Der Wind pustet stark und Emil sowie Elias kommen kaum vorwärts. Wir müssen feste treten, um über den Sand-Matsch-Weg zurück zur Straße zu kommen. Doch auch dort werden wir nicht schneller. Beinahe stehen wir förmlich auf den Drahteseln und kommen nicht vom Fleck. So heftig pfeift der Wind. Zwischendurch müssen wir aufpassen, dass uns die unzähligen starken Böhen nicht den Lenker verdrehen. Mit viel Kraft halten wir den Lenker gerade und hoffen auf Windschatten durch die Felsen. Doch Uist ist halbwegs Flach und Windschatten nicht zu finden. An der Kreuzung zur Hauptstraße bleiben wir stehen und diskutieren nach einer Pipi-Pause, was wir nun machen. Wenn wir unsere Route um Uist wie geplant fahren, sind wir erst abends, kaputt und wahrscheinlich nass am Fähranleger. Wenn wir jedoch links abbiegen und auf schnellsten Weg nach Lochmaddy fahren, sind wir in weniger als einer Stunde am Ziel. Zudem würde der Wind von der Seite kommen. Dafür würden wir wahrscheinlich schöne Strände verpassen, wo jedoch nicht sichergestellt ist, ob wir diese alle von der Straße aus sehen. Bevor wir zu Ende diskutiert und eine Entscheidung getroffen haben, sehen wir auf der Straße hinter uns den schwarzen Camper von Stephan und Pepe näher kommen. Als die beiden mit Tochter Jade neben uns stehen und aus dem Fahrzeug gucken, erklären wir unsere Situation. „Selbst wir fahren spontan die kürzere Route über Lochmaddy“, sagt Stephan „macht das auch“. Als die drei weiterfahren, denken wir nicht weiter groß nach und folgen ihnen auf dem kürzeren Weg. Für die ersten Meter haben wir Rückenwind, bis die Straße einen Knick macht und der Wind wie gewohnt von vorne bläst. Doch wir wissen, der Weg Ist nicht weit und wir sind bald am Ziel. Wir treten kräftig in die Pedale und Emil sowie Elias gleiten durch den Wind. Erneut riechen wir in der Ferne ein Torffeuer und vor vielen Häusern sehen wir Plastiksäcke voll mit Torf. Die Häuser werden dichter und wir erreichen eine kleine Stadt.
Wir haben es geschafft und Lochmaddy erreicht. Es fühlt sich irgendwie richtig an und wir grübeln nicht mehr über die Natur, die wir vielleicht verpassen. Auf der Suche nach einer Toilette finden wir das Taigh Chearsabhagh Museum & Arts Centre. Hier verschwindet Kyra erstmal sofort und bemerkt strahlend als sie zurück kommt, hier gibt es eduroam. Eduroam ist das WLAN der Hochschulen und da unser Zertifikat noch aktuell ist, können wir dieses kostenlose nutzen. Leider ist das Signal der kleinen Außenstelle der Uni neben uns so schlecht, dass die Freude schnell verschwindet, doch auch das Kaffee im Haus hat kostenfreies WLAN. Somit entscheiden wir uns für ein Kakao und Kuchen, um die Elektronik aufzuladen und das WLAN zu nutzen. Kurz vor Ladenschluss quatschen wir noch kurz mit einer deutschen Familie und werden anschließend herausgebeten. Draußen hat es währenddessen angefangen zu regnen und wir stehen vor der Tür ein bisschen, wie bestellt und nicht abgeholt. Bevor wir auf einer kleinen Halbinsel jedoch nach einem Schlafplatz suchen können, kommt der Hausmeister vorbei: “You’re camping?” Wir bejahen. “You can set up the tent between the houses, protected from the wind”, sagt er. “Realy?” fragt Kyra erfreut und er nickt: “Yes, I’m the caretaker and it’s okay” Wir bedanken uns und bauen das Zelt auf. Neben uns ist im Gebäude eine 24 Stunden Toilette, viel besser geht es also nicht. Zudem ist der Fähranleger für unsere Fähre keine 200 m entfernt in Sichtweite. Als wir das Zelt fertig aufgebaut haben sind wir komplett nass. Schnell verschwinden wir in dieses und kochen im Vorzelt Nudeln mit Tomatenmark und Sucuk. Das neu kreierte Gericht schmeckt aus irgendeinem Grund richtig gut. Als wir aufgegessen haben sind wir so müde, dass wir schnell einschlafen und in unseren Träumen bereits auf Skye radeln. Gute Nacht!