Tag 81 - Spontaner Luxus (21.08.2024)

Von Trioslaig nach Oban

Platsch, platsch, platsch… Noch immer regnet es unaufhörlich. Zirrrt. Michi muss auf die Toilette und so verlässt er das Zelt ins nasse. “Wuah, ist das eklig. Es ist alles nass und es hört einfach nicht auf”, mit diesen Worten kommt er zurück. Und tatsächlich ist die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass nicht nur das Außenzelt von außen und innen nass ist. Selbst am Innenzelt haben sich große, schwere Tropfen gebildet. Die Schlafsäcke sind am Fußende nass und unter den Isomatten hat sich Feuchtigkeit gebildet. Die einzige Verbesserung: Der Wind scheint nachgelassen zu haben. “Michi? Wie soll das Wetter heute werden?” fragt Kyra mit etwas Hoffnung in der Stimme, die sofort verschwindet, als Michi antwortet: “Regen!”. Einen kurzen Moment liegen wir noch da und dann beginnen wir, ohne es groß miteinander besprochen zu haben, am Handy nach günstigen Hotels zu suchen. “Ich habe was für 130 Pfund gefunden”, sagt Kyra. “Mit eigenem Badezimmer und ein richtiges Hotel?” fragt Michi. Und tatsächlich, für britische Verhältnisse ist das relativ günstig. Wir diskutieren nicht lange und das Zimmer ist gebucht. Nach dieser Entscheidung geht es uns erstaunlicherweise besser. Wir ziehen unsere nassen Sachen vom Vortag an und denken dabei “heute Nacht sind wir in einem Hotel!”. Wir ziehen die nassen Schuhe vom Vortrag an und denken dabei “heute Nacht sind wir in einem Hotel!”. Wir packen das nasse Zelt ein und denken dabei “heute Nacht sind wir in einem Hotel!”. So motivieren wir uns für den Moment zwischen im warmen Schlafsack liegen, bis kalt und nass auf dem Fahrrad sitzen. Jede Person, die einmal nasse kalte Anziehsachen ein zweites, drittes oder viertes Mal angezogen hat, in nasse Schuhe vom Vortrag getreten ist oder eine komplett nasse Ausrüstung einpacken musste, kann uns in dieser Situation nur zu gut verstehen. Aber Bewegung hilft. Nachdem wir Peter und Annemiek (zwei Freunden aus den Niederlanden) einen Gruß gesendet haben, starten wir sogleich ein bisschen bergauf. Die flache Etappe vom Loch Eil von gestern Abend, zieht sich am Loch Linnhe weiter. Wir muntern uns neben dem Gedanken an das warme Hotel, mit den zahlreichen wunderschönen kleinen Wasserfällen zu unserer rechten auf. Diese sind durch den vielen Regen prall gefüllt und sehen einfach traumhaft aus.

Als wir Corran erreichen, sehen wir, dass die Fähre gerade anlegt. Wir stellen uns auf die linke Seite und warten kurz. Nach wenigen Sekunden werden wir auf diese gewunken. Kurz nachdem die Fähre ablegt, wird bei allen Autos Geld für die Überfahrt eingesammelt, nur uns scheint man zu ignorieren. Anscheinend bewusst, denn der gleiche Mann winkt uns bereits von der Fähre runter. Vielleicht ein Trostgeschenk aufgrund des Wetters? Michi muss dringend auf Toilette und nutzt sogleich die öffentliche Toilette, die in Sichtweite des Fähranlegers ist. Mit einem verzerrten Gesicht kommt er zurück: “Ihhhh! Die war wirklich schlimm.” Doch erneut stärkt uns der Gedanke: Heute Nacht sind wir in einem Hotel. Unser Fahrradweg führt zunächst steil den Hügel hinauf, wodurch wir zunächst richtig ins schwitzen kommen und außer Atem sind. Oben angelangt, haben wir erstaunlicherweise weiterhin einen eigenen Radweg an der Straße. Dieser ist zwar sehr, sehr eng und einem darf kein anderes Fahrrad entgegenkommen, aber es funktioniert. Kurz hinter der Brücke, die uns über das Loch Leven führt, biegen wir zunächst falsch ab und erreichen dann eine alte Bahntrasse, die zu einem Fahrradweg umgebaut wurde. Auf einem Schild wird angekündigt, dass dieser Weg bis Oban führt. “Ohhhh!” ruft Kyra vor Freude, “das wäre ja großartig, dann sind die Steigungen heute nicht so schlimm!”. Und tatsächlich! Kurz nachdem wir an einigen Wohnhäusern vorbeifahren, wird unser Weg flach und führt am Wasser entlang. Mit schönen Aussichten fahren wir an einigen älteren Personen vorbei, die trotz Regen einen kleinen gemeinsamen Ausflug unternehmen. Wir winken uns freudig zu und sind auf beiden Seiten von unserem Gegenüber begeistert. Nach vielen schönen Ausblicken auf das Meer, müssen wir die Hauptstraße passieren und werden in ein Wohngebiet geführt. Zwei oder drei sehr starke und kurze Steigungen führen uns einen Hügel hinauf, bevor es wieder rasant hinunter geht. Ein kurzes Stück fahren wir neben der Hauptstraße. Dann werden wir erneut von diesem Weg geführt.

 In Serpentinen führt der Fahrradweg einen weiteren Hügel hinauf. Oben angekommen befinden wir uns in einem kleinen Waldgebiet, welches scheinbar aktuell erweitert wird. Am Ende des Waldes geht es in Serpentinen wieder hinab, wir überqueren die Hauptstraße und fahren erneut am Wasser entlang. Im Wasser entdecken wir zahlreiche Austernfarmen und wir bekommen Hunger. Wir bleiben stehen und essen unsere letzten Süßigkeiten und Äpfel. Unsere Vorräte gehen langsam zur Neige. Zum Glück ist Oban nicht mehr weit und dort warten einige Supermärkte. Unter anderem für uns der erste richtige Discounter auf unserer Route seit Kirkwall, der günstigere Preise verspricht. Für einige Kilometer folgen wir dem Radweg, mit der Hauptstraße zur linken und dem Loch Linnhe zur rechten, bis wir den Oban Airport erblicken. Direkt hinter diesem fahren wir über die Connel Bridge. Von der schönen Aussicht sehen wir nicht viel, da der Regen weiterhin ein dichtes Band um uns bildet. Über eine Single Track Road werden wir von der Hauptstraße weg geführt. Der Weg führt uns beständig auf steilen Passagen nach oben. Auf und ab, immer weiter geht es hinauf. Als wir schon dachten, wir hätten es geschafft und sind oben angekommen, biegen wir rechts auf die national cyclingroad 78 ab. Ein letztes steiles Stück führt uns auf die Spitze des Hügels. Rasant geht es hinab. Im dichten Verkehr erreichen wir Oban und fahren zum Lidl. Unser Glücksrad-Gewinn beim lidl ist leider vergriffen, doch wir kaufen uns allerhand andere Leckereien. Zum Abendessen möchten wir gerne einen empfohlenen Seafood-Stand am Hafen ausprobieren. Da wir jedoch knapp in der Zeit sind, kaufen wir auch etwas zum Abendessen, welches notfalls für morgen aufbewahrt werden kann. Gefühlt tiefgefroren verlassen wir den Laden und gehen zurück in den Regen. Mit vollen Taschen fahren wir zum Hafen und erreichen den Stand 30 Minuten vor Ladenschluss, doch die Meeresfrüchte scheinen ihnen ausgegangen zu sein. Nur noch der Duft liegt in der Luft und ein Mitarbeiter spritzt den Boden sauber. Schade! Etwas enttäuscht fahren wir zum Hotel weiter. Doch die Enttäuschung weicht, mit jedem Tritt in die Pedale, der Vorfreude auf ein warmes Zimmer.

Am Hotel angelangt, öffnet uns Carol, die Inhaberin, die Haustür. Sogleich umsorgt sie uns, fragt, wie es uns geht und reicht uns ein Handtuch. “You’re lucky. The room you’ve chosen has a tub”, sagt sie mit einem Strahlen im Gesicht. Wir können es kaum fassen… Wir haben eine… Badewanne. Die Fahrräder werden abgepackt und durch den Hintereingang hineingeschoben. Mit etwas Sorge parken wir die beiden zwischen Kunst und Küche, doch Carol versichert uns: „That’s okay!”. Emil und Elias bemühen sich sehr und berühren keines der Gemälde. “Shall I help you with your luggage?”, fragt Carol freundlich. Doch wir lehnen dankend ab. Wir sind einfach nur froh hier zu sein und wollen keine weiteren Unannehmlichkeiten bereiten. Als wir den ersten Schwung Taschen hoch in das Zimmer getragen haben, kommt Carol im Flur mit zwei Taschen entgegen. “They are so heavy! I’ve no idea how you manage to cycle with these”, sagt sie lachend. Wir bedanken uns und nehmen das Angebot an, wenn irgendetwas ist, einfach unten kurz zu klopfen oder ihr zu schreiben. Die restlichen Taschen gelangen mit uns ins Zimmer und wir verfrachten erst einmal alles ins Badezimmer. Dann lassen wir direkt Wasser in die Badewanne und steigen hinein. Es ist einfach nur beinahe zum Weinen, wie glücklich einen eine große Keramikschüssel voll sauberen, warmen Wassers machen kann. Vor lauter überschwänglicher Freude schieben wir das Beistelltischchen an die Wanne. Wir machen uns Kaffee und Kakao, den wir in der Wanne sitzend genießen. Sogleich holen wir Eiscreme, Kartoffelsalat und Brezen sowie ein Cider und Besteck und vergessen alles, außer dem Gefühl vollkommener Glückseligkeit. Doch auch im Luxus schwelgend holt uns der Radelalltag ein. Die Wäsche will gewaschen, die Taschen geputzt und das Zelt getrocknet werden. So machen wir uns aufgrund der Fülle für ein, zwei, drei Stunden ans Werk und befinden: “Es ist einfach so schön… wir müssen noch eine Nacht bleiben.” Doch Carol hat keine guten Neuigkeiten. Alle Zimmer sind belegt, aber vielleicht… ja vielleicht hat ein befreundetes Haus noch ein kleines Zimmer. Mit Ungewissheit legen wir uns ins warme, weiche Bett und gehen unsere Optionen für die kommenden Tage durch. Sogleich planen wir entsprechende Routenalternativen. Eine Fähre würde übermorgen auf die kleine Insel Colonsay und von dort nach Islay… Tickets sind noch vorhanden und man könnte auch das vermutlich köstliche Seafood am Hafen probieren… Doch ob es klappt hängt von unserer morgigen Bleibe ab, denn einen Tag in der verregneten Stadt werden wir nicht zelten. Gespannt schlafen wir ein. Gute Nacht!