Tag 104 - Dauerregen (13.09.2024)

Von Tra Sailin nach Burren View Point

Regen prasselt, Schafe mähen und die Leitplanke knackt aufgrund der Temperaturunterschiede… Wir liegen in unserer kleinen Welt innerhalb des Zeltes und sind wieder einmal froh, dieses zu haben. Der Regen nimmt zu und wieder ab. Dann wieder zu… Wir wollen die kleine Zeltwelt einfach nicht verlassen, haben keine Lust mehr auf Regen und Kälte, doch… Wir sind nun einmal hier und haben es uns so ausgesucht. Vielleicht hört es zum Zeltabbau ja nochmal kurz auf? Wer weiß, aber versuchen kann man es ja. Also lassen wir uns Zeit. Wir laden die Bilder der letzten Tage von der guten Kamera in niedrige Qualität auf Kyras Handy und schreiben Blog. Leider haben wir jedoch in unserer kleinen Zeltwelt mal wieder kein Internet. Als wir mit allem fertig sind, ist es schon spät. „Michi! Hörst du das? Es regnet gerade nicht. Jetzt schnell…“, stellt Kyra fest. Wir beeilen uns, doch gerade als Michi das Zelt fast fertig abgewischt hat, fängt es wieder an zu regnen. Egal, dann muss das Zelt halt nass eingepackt werden. Pünktlich zur Mittagszeit sind wir fertig und rollen mit der nicht mehr ganz so fantastischen Aussicht den Berg hinab. Die Regenwolken hüllen das gesamte Tal in grau und der herunterfallende Regen bringt weiße Streifen dazu. Nach nur wenigen Metern müssen wir laut Navigation nach links, doch ein Gatter versperrt den Weg. Dieses ist nur festgebunden und nicht verschlossen, also versuchen wir unser Glück und biegen auf den Schotterweg, der uns unmittelbar in den Nadelwald führt, ab. Es ist der Wald, den wir von oben sehen konnten, nun rollen wir hindurch. Es geht die meiste Zeit hinunter und nur zwischendurch leicht nach oben. Dann treffen wir auf die Stelle, wo komoot (unsere Navigation) die Schutzhütte verzeichnet hat. „Da will ich kurz gucken“, sagt Michi mit einem Bein bereits zum Absteigen in der Luft. Als er an der kleinen Hütte ist, ruft er: „Da wären wir enttäuscht gewesen. Sie ist abgesperrt und innen drin stehen Arbeitsgeräte. Also keine Schutzhütte… Gut, dass wir oben geschlafen haben“. Wir fahren weiter durch den Wald, über eine Brücke und zur Hauptstraße, die uns in die Touristenstadt Clog bringt. Zahlreiche Reisebusse stehen auf Parkplätzen und am Straßenrand. Geschäfte, Restaurants und Cafés werben mit günstigen Angeboten. Warum genau hier so viel los ist, können wir jedoch nicht erkennen. Die Landschaft ist weiterhin in grau und weiß gehüllt, sodass wir nur wenige Meter weiter schauen können.

Doch der Killary Fjord scheint im Sonnenschein besonders schön zu sein, denn es werden ebenso Boottouren angeboten. Wir fahren eine Weile am Fjord entlang, bis unser Weg nach links in die Hügellandschaft weg führt. Zum Glück geht es nur leicht hoch und schnell wieder runter, bis wir den Kylemore Lough erreichen. Hier geht’s weiter im Flachen am See entlang. Bei weiteren Regen scheint uns plötzlich die Sonne entgegen. Die Regen-Wolkendecke scheint so dünn, dass die Sonne hindurch scheint. Doch dieses Spektakel ist schnell wieder vorbei und vor uns erscheint das Kylemore Abby. Das Benediktinerkloster wurde 1920 auf dem Grund vom Schloss Kylemore gegründet. Zurück geht das Schloss auf dem Bau eines riesigen Privathauses der Familie von Mitchell Henry. 70 Räume wurden innerhalb von 4 Jahren erbaut. Nachdem Henrys Frau verstorben war, wurde das Schloss einige Jahre später an den Herzog und die Herzogin von Manchester verkauft, welche das Haus aufgrund von Spielschulden 17 Jahre später an irische Benediktinerinnen wiederrum verkauften. Das Kloster ist bis heute in Betrieb. Wir erreichen das Kloster weiterhin im Regen und nutzen die Gelegenheit, um auf Toilette zu gehen sowie Wasserflaschen aufzufüllen. Der Eintritt ist mit 17 €/Person für uns zu teuer, doch ein Foto von außen lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Michi lichtet noch vier junge Männer mit deren Kamera ab und wir Naschen eine Kleinigkeit. Im Sonnenschein ist das weiße Schloss mit Sicherheit ein Traum. Es könnte fast Strahlen aufgrund der weißen Farbe und sich in der Landschaft wunderschön hervorheben. Auch die dazugehörigen Ländereien und Gärten sind im Sonnenschein bestimmt bewundernswert, doch bei diesem Wetter erscheint uns zumindest gerade alle trist. Uns ist kalt und wir wollen weiter. Als wir bei den Drahteseln stehen hören wir zahlreiche deutsche Stimmen an uns vorbei ziehen. Eine sagt: „Da würde ich mich ja lieber nass regnen lassen, als in so etwas engem zu sein.“ Kyra, die vor Nässe tropft sagt dazu: „Oh nein, das will man nicht“ und der hinter der Frau gehende Mann erwidert lachend: „Es hört gleich auf“. Wir sind etwas irritiert. Wo soll es aufhören? Laut unserer Wettervorhersage regnet es noch mindestens die nächsten 1,5 Tage durchgängig. Eine weitere Frau sieht uns und macht die Schlussfolgerung, dass es ja nicht schlimm regnet und es bestimmt gut machbar ist heute Fahrrad zu fahren. Auch hier wundern wir uns doch sehr, warum sie das so einfach annimmt. Die nächsten Stunden werden wir uns noch häufig an diese Aussagen erinnern, während wir bis auf die Unterhose nass durchs Moor fahren.

Wir beenden die Pause und überlegen noch 75 km zu einem empfohlenen Schlafplatz am Strand zu fahren. Angela, eine Freundin aus Emden, hat dort bereits gezeltet. Dieser Empfehlung kommen wir gerne nach und sind froh nichts suchen zu müssen. Doch 75 Kilometer nach 15:30 Uhr, das wird eine Herausforderung. Zunächst fahren wir am See entlang zurück und folgen dann einer anderen kleinem Straße in ein großes Moorgebiet. Keine Häuser sind in Sichtweite und uns umgibt nur die Straße und endlose Weite. Das Moor wird von kleinen schwarzen Seen unterbrochen und hinter jeder Ecke stapelt sich gestochenes Torf. Die Orte, wo es per Hand gestochen wurde, sind gut zu erkennen. Schwarze Abbruchkanten oder rechteckige wassergefüllte Becken sind sichtbar. Gut, dass wir auf der sicheren Straße unterwegs sind. Kyra muss beim Fahren jedoch unablässig an die Ballade von Annette von Droste-Hülshoff denken: „O schaurig ist’s übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt! – O schaurig ist’s übers Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! […]“ Und tatsächlich, wäre sie nun hier allein im Nebel und Regen, ohne Straße, es wäre ganz schön schaurig. Auch das Lied „Wir sind die Moorsoldaten“, welches 1933 im Konzentrationslager Börgermoor bei Papenburg im Emsland durch Johann Esser, Wolfgang Langhoff und Rudi Goguel entstanden ist, kommt uns in den Sinn: „Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquicket, Eichen stehen kahl und krumm.  Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor. […]“ Wie schrecklich es den Gefangenen im ehemaligen Arbeitslager und KZ ergangen sein muss. In keiner Sekunde, können wir uns dies nur im entferntesten vorstellen. Es ist schon komisch, welche Gedanken einem kommen, wenn man viel Zeit zum Denken auf dem Fahrrad hat. Das Moor will uns gar nicht mehr loslassen. Einige Stunden fahren wir hindurch, bis die Straße anklickt und wir von Gegenwind auf Rückenwind umsteigen. Häuser erscheinen vor uns und wir treffen die Hauptstraße, welcher wir nun folgen. Es geht immer weiter gegen den Wind im Regen nach Süden und wir werden langsam wirklich müde. Michi, der seit Stunden im Gegenwind fährt, lässt sich von Kyra ablösen. Schweigend fahren wir immer weiter, während die Umgebung durch die dichte Wolkendecke immer dunkler wird. Die Abendstimmung beginnt und wir fahren schweigend weiter, gehen unseren eigenen Gedanken nach und freuen uns bald anzukommen. Doch der Weg zieht sich und die Kilometer werden nicht weniger. Dann erreichen wir erneut das Meer und die Bucht bei Galway.

Der Wind kommt nun von schräg hinten und wir nehmen deutlich an Geschwindigkeit zu. „Ich kann bald nicht mehr, mir ist schon schlecht“, sagt Kyra und doch rollen wir weiter. „Noch 2,3 km“, ruft Michi von hinten. Dann kommt bereits im dunkeln endlich ein kleiner Weg nach rechts. Wir rollen hinein und hören das Meeresrauschen. Mit der Kopflampe ausgerüstet findet Michi in Sichtweite vom Parkplatz eine Rasenfläche, windgeschützt hinter eingezäunten Dünen. Perfekt! Noch immer im Regen bauen wir das Zelt auf. Damit wir im Inneren nicht alles nass machen, legen wir unsere großen Handtücher auf die Isomatte und ziehen uns die Jacke im Außenzelt aus. Die Regenhose wird mit nasser Hose und nasser Unterhose zusammen bis in die Knie gezogen und der Oberkörper verschwindet auf dem Handtuch im Zelt. Anschließend werden die Hosen und Socken komplett ausgezogen, bevor auch der Unterkiefer aufs Handtuch ins Zelt darf. Dann abtrocknen, rein in die mittlerweile miefigen Schlafsachen und den Schlafsack, welcher sich meist schnell durch die restliche Körperwärme aufwärmt. Aufgrund dieser Momente sind wir bestimmt nicht mit dem Rad unterwegs, doch sie gehören dazu. Müde und fertig, beginnen wir im dunkeln um 21 Uhr mit dem Kochen. Kyra schneidet Knoblauch und Avocado, während Michi Nudeln im Außenzelt kocht. Trotzdem wir nicht viel gegessen haben, verspüren wir kaum Hunger. Als wir dann das heiße Essen Naschen, kommt der Appetit dann doch und der komplette Topf wird leer gemacht. Anschließend schlafen wir umgehend ein. Gute Nacht.