
Fahrrad-Weltreise - Von Chefchaouen nach Valley Camping
Dem Tod ins Auge geblickt
13.01.2025 - Tag 226
Die Klimaanlage pustet warme Luft in den Raum, doch es ist weiterhin kühl. Wir alle liegen etwas bibbernd unter den dünnen Laken. Die Wolldecken und Kissen haben wir aufgrund der vermutlich unberechtigten Sorge vor Wanzen oder ähnlichen Tieren auf das einzige freie Bett verbannt. So haben alle gut geschlafen. Gegen 7 Uhr wacht Michi auf und schreibt etwas Blog, Kyra kurz danach und Angela und Tim ebenfalls. Michi geht nochmal zur Dachterrasse und blickt in den Morgen. Nach ein paar Fotos kommt er wieder herunter und wir alle packen ein. Das WLAN wird noch einmal genutzt, um Kyras Oma zum Geburtstag zu gratulieren und dann geht es auch schon los. Taschen werden die kleine Treppe hinunter getragen, die Fahrräder aufgeschlossen und hinausgeschoben. Es geht weiter. Der Hotelbesitzer schaut uns zu und verabschiedet uns freundlich. Dann schieben wir los. Es geht die enge Gasse hinauf zu einem kleinen Platz, an dem wir gestern Abend noch Nudeln und Kleinigkeiten gekauft haben. Daneben ist ein Café bzw. Bäcker. Während Michi die Drahtesel bewacht, kaufen die anderen Brote… Gebäck… der Hotelbesitzer läuft zufällig nochmal vorbei und gibt zu verstehen, dass wir eine gute Wahl für den Einkauf getroffen haben und schon sitzen wir mit einem Kaffee oder Tee vor uns in der Morgensonne. Der Tisch ist reich gedeckt und wir beobachten das Treiben auf dem Platz… lassen es uns schmecken. Man möchte am liebsten alles probieren und das zweimal, aber wir kaufen noch einmal Brot und marokkanische Pfannkuchen nach. Dann geht es für uns weiter, den Berg hinauf und hinaus aus der Stadt.



Kinder laufen lachend umher und der Weg wird steiler und steiler. Bei den letzten Häusern angekommen, sehen wir den Campingplatz. „Gut, dass wir hier gestern nicht mehr hoch sind“, sagt Tim. Wir machen Pause, kommen zu Atem. Ein Mann kommt vorbei, grüßt uns und fragt, ob wir rauchen würden. Was er meint, ist uns mittlerweile klar. Wir verneinen und lehnen das Angebot ab. Er wünscht einen schönen Tag und geht telefonierend weiter. Scheinbar normaler Alltag hier in Chefchaouen. Wir quälen uns weiter mit den Fahrrädern den Berg hinauf und bewundern die marokkanische Landschaft. Ein Mann übt mit einer Art dünnem Reifen eine Choreographie zu Musik. Konzentriert führt er exakte Bewegungen aus. Wir schauen beim Hochfahren zu und winken uns gegenseitig. Plötzlich erblicken wir hinter einer Kurve eine Müllkippe. Ein Junge rennt durch den Müll weg. Kurz darauf taucht er erneut mit einem Mann wieder auf dem Mühlberg auf. „Bon jour, you smoke?“, ruft er zu uns herüber. Erneut verneinen wir. „Ahhhh sportive, sportive“, sagt er strahlend und macht das Treten der Pedale mit den Händen nach und feuert uns an. Auch Rollerfahrer hupen, jubeln und fragen uns im Vorbeifahren, ob wir rauchen. Mittlerweile ignorieren wir die Angebote oder schütteln den Kopf. In einer kleinen Parkbucht, sehen wir zurück auf die Strecke des gestrigen Tages. Wir lassen den Blick von den kleinen Dörfern am Hang zum Staudamm, über die Breite Straße, vorbei an den Töpferläden und die Serpentinen hinauf nach Chefchaouen schweifen. Marokko ist echt schön! Dann schraubt Michi noch Elias Ständer ab, da eine Schraube nachgegeben hat. Wir fahren weiter durch die Berge am unfassbaren Panorama vorbei in Richtung der Wasserfälle von Akchour. Wir halten uns dicht beisammen, um bellenden Wildhunden keine Möglichkeit zu bieten, uns alleine zu stellen. Es klappt und immer wieder treffen wir auf Autos und Kleinlaster, die sich mal mit uns, mal in entgegengesetzte Richtung die Berge hochquälen. Auch Esel und Schafherden mit ihren Besitzern sehen wir. Alle grüßen und winken freundlich. In den Dörfern winken uns Kinder und rufen:“Akchour! Akchour?“ Manchmal zeigen sie noch in die Richtung. „Shukran“ antworten wir dankend und winken lächelnd zurück. Ein letzter Anstieg und der Wind pfeift uns entgegen. Es ist geschafft und nun geht es erst einmal bergab.



Jauchzend stürzen wir uns eine gefühlte Ewigkeit hinab, wir jubeln den Wasserfällen entgegen und sind von den Ausblicken auf das Rifgebirge im Sonnenschein einfach nur überwältigt. In Serpentinen gelangen wir hinab in ein Flusstal und sehen rauchende, runde Öfen. Zwei Frauen stehen davor und befeuert sie. Kyra und Angela kommen mit einem kleinen Abstand zur Abzweigung nach Akchour und sogleich mit den beiden anderen Frauen in ein kleines Gespräch. Diese grinsen und erkennen, dass wir als Pärchen unterwegs sind. Michi und Tim stoßen hinzu. Abwechselnd ordnen sie mit den Fingern deutend Angela Tim und Kyra Michi zu. Richtig erkannt. Wir verabschieden uns und fahren weiter zu den Wasserfällen. Am Eingang müssen wir Parkgebühr zahlen und unsere Räder einfach so am Eingang stehen lassen. Wir diskutieren etwas und entscheiden uns dafür. Dann schließen wir die Fahrräder und Taschen ab und laufen an den Restaurants und Verkaufsständen vorbei in die Schlucht hinein. Gleich vor dem ersten Wasserfall an der Staumauer, sehen wir kleine Äffchen. Die sich im Spiel raufend über ein Dach wälzen. Wir gehen weiter hinein. Stühle und Tische stehen am Flussufer und immer wieder köcheln Tajine-Töpfe im offenen Feuer. Verlockend weht der Duft herüber und die Menschen winken uns herbei. Doch wir haben unser Brot vom Morgen dabei und bestaunen die kleinen Wasserfälle, die immer auftauchen. In einem geschlossenen Lokal finden wir schöne Plätze am Wasser. Michi macht noch ein paar Aufnahmen auf den Betonhindernissen im Wasser. Dann genießen wir alle die Sonne, essen Brot und Pfannkuchen. Man mag sich nicht ausmalen, wie voll es hier im Sommer sein muss. Satt und zufrieden machen wir uns auf den Rückweg. Wir probieren noch frisches Mandelmus. Es ist lecker, jedoch viel zu teuer. Bei den Rädern angekommen. Sperren wir diese auf und… „Wo ist mein Schlüssel?“, fragt Michi entsetzt. Erschrocken prüft er alle Taschen. Doch nichts. Das kleine braune Täschchen mit mit USB-Stick und Schlüssel ist nicht zu finden. Mit Tim läuft er noch einmal zurück. Kommt wieder und geht erneut mit Kyra los. Die Stimmung ist angespannt. Der Stick ist mehr als ärgerlich, aber schlimmer, die Taschen und das Rad verschlossen. Er fragt in fast jedem Restaurant. Wir treffen noch zwei deutsche Leer, doch niemand kann weiterhelfen. Zum Glück hat Kyra noch den Zweitschlüssel für das Rahmenschloss. Wir suchen alles ab, aber… nichts. Vermutlich ist der kleine Beutel beim Fotografieren auf den Steinen aus der Tasche ins Wasser gerutscht. Egal wie, wir müssen akzeptieren, dass er weg ist. Betrübt, sauer auf sich selbst und einfach enttäuscht kehrt Michi mit Kyra zu den anderen zurück. Wir besprechen, das weitere Vorgehen, da nun zwei Stunden ins Land gezogen sind und der Abend naht. Wir radeln erneut die steile Schlucht entlang zurück. Leitplanken gibt es nicht und so erhascht man immer den Magen in Aufruhr versetzende Blicke hinab zum Fluss.






Während der Fahrt versucht Michi die abgeschlossene Lenkertasche zu öffnen. Nach einer Weilen ruft er erleichtert. „Ich habe sie auf“ Es hat tatsächlich geklappt. Kyra blickt herüber und übersieht dabei, dass die Straße einen Knick macht. Der Moment gefriert, alles geht so schnell, doch die Sekunden dehnen sich ins Unermessliche. Emils Vorderrad schiebt sich über die kleine Seitenbegrenzung. Kyra zieht die Bremsen, doch der Drahtesel rutscht weiter. Der Lenker verdreht sich und beide fallen auf den Abgrund zu… schlagen am Hang auf, rutschen knirschend über den Rest Schotter, das spärliche Gras und bleiben liegen. „Alles ist gut! Alles gut! Ich habe mich nur erschrocken“, sagt Kyra mit zittriger Stimme. Doch gut ist übertrieben. Sie liegt rücklings im Abhang, Emil auf ihr und vielleicht ein, zwei Meter trennen sie und den Drahtesel vor dem Abgrund. Alle sind alarmiert. Michi hilft Kyra unter Emil hervor, der abzurutschen droht. „Setz dich erst einmal“, sagt Angela beruhigend zu Kyra. Gemeinsam heben wir das liebgewonnene Fahrrad zurück auf die Straße. Der Schock sitzt tief, doch bis auf blaue Flecken und kleine Schürfwunden scheint alles gut zu sein. Alle Taschen sind wieder am Fahrrad. Kyra schwingt sich darauf und wir fahren weiter. Keiner spricht. Die Sonne färbt die hohen Felswände gelbrot und jeder Vorsprung wirft lange Schatten. Nach einer Weile flacht das Adrenalin ab und weicht der Freude, die Anspannung löst sich und kleine Gespräche finden statt. Der Ärger um den Schlüssel ist vergessen und wir treffen erneut auf die beiden Frauen an ihrem Ofen. Wir halten an und kaufen Brot. Es duftet und noch wohlig warm wird es in Michis Essenstasche verstaut. Allerdings nicht, ohne zuvor noch ein Stück zu probieren. Köstlich! Wir recken den Daumen und fahren weiter. Kleine Dörfer mit weiteren Frauen an kugeligen Öfen zeigen auf frisch gebackene Fladen. Man möchte am liebsten überall anhalten, Brot kaufen, essen, reden, aber wir müssen weiter. Die Sonne senkt sich und wir müssen noch ein paar Kilometer weiter in Richtung Tétouan. In jedem Dörfchen bellen die Hunde und kommen zur Straße. Michi fährt bergab etwas vorneweg und schon kommen zwei Hunde von links den Hügel hinab. Der eine ist mutiger und springt mit gefletschten Zähnen vor auf die Straße. Michi hüpft von Elias, sodass dieser zwischen ihm und dem Hund links steht. Der knurrt noch einmal und weicht zurück. Kyra, Angela und Tim sind nun auch da. Die Autofahrer sind unglaublich nett und fahren ebenso zwischen die Hunde und uns. Das Adrenalin ist zurück. Das Herz pocht und die Sinne sind die weitere Abfahrt geschärft. Erst bei einer Brücke über den Fluss schafft es die Landschaft Marokkos erneut uns in ihren Bann zu ziehen und alle Aufregung zu vergessen. Das Licht fällt perfekt in eine seitliche Schlucht. Die massive Felswand leuchtet und man spürt, wie klein wir als einzelne Menschen sind. Wir grüßen zwei Männer auf Eseln, die uns freundlich lächelnd ins Tal reiten. Dann finden wir den Zugang zum Campingplatz im Tal. Wir haben für heute genug. Ein Mann weist uns ein. Wir fragen was der Platz kostet. „100 Dirham“, sagt der Mann. Wir stimmen zu. Der Platz ist sehr schön im Tal gelegen, ein Fluss plätschert dahin und der Gebetsruf halt durch das Tal. Tim und Angela bekommen schon einmal die Sanitäranlagen gezeigt. Da wir morgen früh los wollen, bezahlen sie gleich. Ein Feuer brennt und wir dürfen uns dazu setzen. Doch als wir sagen, dass wir gerne kochen würden und alles dafür dabei haben, geht der junge Mann los und vermutlich seine Mutter winkt, damit wir ihm folgen. Er führt uns zu einem überdachten Platz mit Tisch und Sitzgelegenheiten. Wir bauen alles auf und Angela geht noch einmal zur Toilette. Als sie zurückkommt, erzählt die, dass er nun 200 MAD verlangt, da es 100 MAD pro Zelt seien. Wir besprechen uns kurz. Kyra bleibt beim Essen und Angela, Tim und Michi möchten mit dem Mann reden. Für uns ist klar, dass wir den Preis besprochen haben und das Geschäft abgeschlossen ist. Das Gespräch mit Übersetzer geht hin und her. Tim sagt, dass wir hier 350 MAD für ein Hotel zahlen würden. Der Mann überlegt. Wir würden zwei Stellplätze benötigen. Wir verneinen und sagen, dass wir beide Zelte in dem einen kleinen überdachten Bereich aufbauen werden. Tim sieht, wie er in den Übersetzer eintippt, dass er in finanziellen Schwierigkeiten sei. Er zeigt uns die Nachricht jedoch noch nicht direkt. Die ältere Frau ruft einen Jungen vom Fußballspielen hinzu und spricht kurz mit ihm. Nach dem Gespräch sagt der Mann, es sei in Ordnung und wir müssten nichts mehr zahlen. Irgendwie eine komische Situation. Die gerade wieder etwas entspannte Stimmung wird wieder ein wenig angespannter. Wir kochen unsere Nudeln, essen und trinken Tee und Kaffee. Dann bauen wir unsere Zelte im Dunkeln auf. Alle gehen noch einmal aufs Klo und ein ereignisreicher Tag geht zu Ende. Der Mond strahlt hell und erleuchtet das Tal. Wir verkriechen uns in die Zelte und schlafen ein. Gute Nacht!


