Fahrrad-Weltreise - Von Bni Leit nach Chefchaouen

Die blaue Stadt

12.01.2025 - Tag 225

Michi kriecht gerade vom Ende des Zeltes wieder empor und zieht die Isomatte mit, als der Wecker klingelt. „Frühstück ihr?“, ruft Kyra fragend zu Angela und Tim ins Nachbarzelt. „Ja“, kommt leise von den beiden zurück. Wir lassen es heute ausfallen und nutzen die Minuten für weiteren Schlaf. Doch nach einer Weile ist auch dieser Aufschub vorbei und es geht hinaus mit den nassen Socken in die nassen Schuhe und… was für ein unglaublich schöner Ausblick.  Chefchaouen liegt glitzernd, wie ein Edelstein im Morgengrauen. Berge umgeben die Stadt und Nebel zieht an deren Hänge entlang. Dazwischen funkelt es weiß, blau und hier und da grün. Wir vier bauen ab. Tim und Angela sind mal wieder etwas schneller und haben etwas Zeit, um Arm in Arm das Spektakel ganz zu genießen. Doch auch wir müssen immer wieder einen Blick zur Seite werfen. Es ist einfach unglaublich schön. Dann sind wir soweit. Wir holpern mit den Fahrrädern über das steinige Feld hinab zur Nebenstraße. Es ist kalt und seit langem nutzen wir mal wieder unsere Handschuhe, da es die nächsten Kilometer bergab gehen soll. Wir rauschen hinab und in ein Dorf hinein, wir verpassen eine Abfahrt und schieben zurück. Eine Frau winkt uns freundlich. Wir winken zurück. Der richtige Weg führt uns jedoch über große Steine, durch Bäche und ausgewaschene Furchen. Also schieben wir. Nach wenigen Minuten im unfreiwilligen Gänsemarsch sind wir ordentlich warm gelaufen. Wir ziehen die Jacken und Handschuhe aus. Es geht bergauf… Oben angekommen genießen wir die Aussicht und bewegen uns weiter auf einem erdreichen Schotterpfad, der rechts wegknickt. Es geht weiter bergauf. So haben wir uns die Abfahrt nicht vorgestellt. Erst bergab, dann bergauf schieben. Dann erneut über teils dicke Brocken immerhin fahrend hinab. Doch der Ausblick entlohnt immer wieder. Einheimische kommen auf Pferden vorbei und Kinder rennen spielend auf einem tiefer gelegenen Wanderpfad an uns vorbei. Dann erreichen wir ein weiteres Dorf.

Ein Hirte kommt uns mit seiner gemischten Herde entgegen. Er grüßt freundlich und zeigt sich begeistert, dass wir hier auf diesen Wegen mit dem Rad unterwegs sind. Ein kleiner Junge holt winkend sein kleines Fahrrad heraus und unter den blicken seiner Mutter fährt er uns ein paar Meter nach. Wir halten an. Winken ihm zum Abschied und seine Mutter ruft ihn zurück. Die Straße ist nun wieder asphaltiert und somit beschleunigen wir. Wir treffen immer wieder auf Dorfbewohner, die uns freundlich zuwinken und den Daumen nach oben zeigen. Es ist einfach nur schön. Wir rasen in Serpentinen hinab hinab auf einen großen Staudamm mit Schriftzug zu. Dann geht es auf der Bundesstraße in Richtung Chefchaouen. Läden mit ausladenden Verkaufsflächen finden sich immer wieder auf der anderen Straßenseite. Wir bewundern die zahllosen Tongefäße, Teller, Dachschindeln und vieles mehr. Manches ist reichlich verziert und handbemalt. Es ist strahlend blauer Himmel und irgendwie sind wir bereits jetzt erschöpft. Der spärliche Verkehr wird etwas dichter und die Anzahl der Wohnmobile steigt sprunghaft an. Wir erblicken insbesondere Niederländer und natürlich darf ein Fahrzeug mit Kennzeichen ME aus Deutschland nicht fehlen. „Mettmann… die sind wirklich überall „, stellt Michi fest. Bei einer letzten Pause vor dem Anstieg zur Stadt gesellt sich ein Hund zu uns. So niedlich die Hündin schaut, zu futtern bekommt sie nichts. Denn auch wir vertilgen unsere letzten Reserven. Dann geht es unter der Sonne hinauf. Immer wieder halten wir an und verschnaufen kurz. Doch wir kommen der Stadt immer näher und näher. Auch die Autos, insbesondere LKW kämpfen sich kaum schneller als wir die Steigung hinauf. Dann passieren wir einen Checkpoint und sind am Eingang zur Stadt. Vor einer blauen Tür machen zahlreiche Touristen Fotos. Wir fahren interessiert an alten Dampfwalzen vorbei in die Stadt. Wir rollen sanft hinein und werden gleich mehrfach begrüßt. Dann erreichen wir den Kern der Stadt und suchen eine Bank oder einen Geldautomaten, denn wir haben tatsächlich noch immer keine Landeswährung bei uns. Das soll sich nun ändern.

Ein alter Mann spricht uns an und stellt sich als Abdul vor. Er erklärt uns alles mögliche. Will schon gehen und wir fragen ihn noch nach einer Möglichkeit Geld abzuheben oder zu wechseln. „You like to go to an bank, get some money? You come with me. I show you the bank“, sagt er freundlich. Michi lässt bis auf das Handy alles zurück und folgt dem alten Mann. Langsam schlurft er durch eine kleine Gasse zu einem Platz und über diesen hinweg. Währenddessen erzählt er von Sehenswürdigkeiten, der Geschichte der Stadt, Fakten zum Platz und fragt ob Michi rauche. Michi verneint und gemeinsam erklimmen sie eine Treppe. Aus einem Durchgang strömt ein penetranter Geruch nach Fleisch, Fisch und allerlei anderem. Es schein ein Markt in einem Gebäude zu sein. Auf dem Weg die Treppen hinauf grüßt der Mann immer wieder Einheimische und wird gegrüßt. Oben angelangt stehen wir vor einer Bank. Als Michi sich bedankt und er dem Mann zu verstehen gibt, dass er aber keinen Geldbeutel dabei hat. Ist dieser irritiert und steigt gemeinsam mit Michi die Stufen wieder hinab. Er erzählt über die Arbeit in der Fabrik und, dass hier viel Business mit Touristen, mehr jedoch mit Marihuana gemacht wird. Michi versteht nun die vorherige Frage und fragt nach ob Abdul denn rauche. „Früher too much, zu viel, heute jedoch nicht mehr… Heute gut nicht viel. Tag ist Arbeit und you will see. Die Nacht ist zum rauchen. At night we all smoke“, sagt er ehrlich. Dazu muss man wissen, dass Marihuana in Marokko eigentlich eine illegale Droge ist, deren Anbau und Konsum offiziell streng verboten ist. In diesem Teil des Landes liegt jedoch eines der größten Anbaugebiete weltweit. Wie das sein kann, könnte Abdul bestimmt erzählen, doch wir sind bereits zurück bei den anderen. Er fragt uns nach einem Tee oder Kaffee und wir haben uns ohnehin bereits überlegt. Ob es nicht sinnvoller wäre heute die Stadt zu genießen und morgen weiter zu radeln. Er zeigt uns das Café und wir trinken drei sehr leckere Milchkaffee sowie einen Minztee. Dann will uns Abdul noch ein Hotel zeigen. „Eine super Unterkunft, neu, sauber, nicht teuer“, bekräftigt er. Tim und Michi gehen mit ihm mit. Es geht durch zahllose Gassen und hinauf in die blaue Stadt. Die Farbe sollte früher angeblich Bewohner vor dem „bösen Blick“ schützen. Scheinbar wurde jedoch ein Großteil der Häuser erst in den 90ern blau angemalt. Heute zieht sie eindeutig die neugierigen Blicke zahlloser Touristen und so auch unsere an. Was für ein schöner Anblick. Schon stehen wir irgendwo vor einem alten Haus und werden herein gebeten. Ein Mann zeigt uns alles, erst das kleine, dann das andere große Zimmer, dann die Dachterrasse. Das Haus ist stilvoll eingerichtet, eng, verwinkelt, aber sauber und für vier Personen günstig. 500 MAD kostet das kleinere Zimmer, also etwa 50 €. Wir gehen durch die verwinkelten Gassen zurück zu Kyra und Angela. Wir besprechen uns kurz und die Entscheidung steht. Abdul geht wieder mit, diesmal jedoch einen Weg, den man mit dem Fahrrad gehen kann. Erneut geht es durch endlose Gassen. Der Ruf zum Gebet ertönt und alle Moscheen stimmen ein. Wir verstauen das Gepäck auf dem Zimmer schieben die Räder in einen kleinen Bereich unten im Hotel. Dann gehen wir zu Abdul und wollen ihm zum Dank etwas Geld geben. Doch die 30 MAD sind ihm zu wenig. Er fordert 200 und einigen uns auf 100 MAD. Er willigt ein und gibt uns die Hand. Das Geschäft ist abgeschlossen.

Wir gehen aufs Zimmer und duschen. Michi ruft noch seiner Mutter zum Geburtstag an und dann brechen wir auf und werfen uns in das Treiben der marokkanischen Stadt. Wir wandern durch die blauen Gassen und stehen auf dem Plaza Uta el Hamman und direkt vor der Festung Kasbah. Im vorbeischlendern werden wir immer wieder von jungen Männern angesprochen, die einen in eines der Restaurants locken wollen. Tatsächlich bekommen wir langsam Hunger. Doch wir lehnen ab und wandern zunächst noch einmal die Preise vergleichend durch die engen blauen Gassen und zurück zum Platz.

Wir finden das Restaurant Zarbia neben dem Platz. Es ist sicherlich sehr auf Touristen zugeschnitten, aber ein paar Marokkaner sitzen ebenso im Restaurant. Wir bestellen beim netten Kellner je eine marokkanische Suppe und eine Gemüsesuppe, als Hauptgang gibt es zweimal vegetarische Tajine, einmal mit Pilzen und einmal mit Fleischbällchen, dazu trinken wir Minztee. Es schmeckt alles sehr gut und wir bekommen noch Oliven, Brot und zu den Suppen Limetten, Datteln und Gebäck. So schlemmen wir. Nach dem Essen gehen wir erneut durch die blaue Medina und vergleichen die Preise des Gebäcks. Wir finden einen kleinen Stand. Zwei Frauen stehen davor und eine hinter der Theke am Fenster. Wir kaufen alles Gebäck zweimal und vier Cola für 90 MAD etwa 9 €. Die Frauen sind ausgesprochen freundlich und helfen sich gegenseitig und uns bei der Verständigung. Glücklich ziehen wir in Richtung Hotel davon. Wir verlaufen uns einmal kurz und finden doch den Weg zurück zum Hotel. Wir setzen uns auf die Dachterrasse und der Gebetsruf ertönt. Über die Stadt hallen die Stimmen der verschiedenen Moscheen. Wie die Glocken beim „Vater unser“ hat auch dieser Ruf zum Gebet etwas, das einen irgendwie berührt. Dann verstummen die Lautsprecher und wir setzen unser Vorhaben fort. Das Gebäck will probiert werden und wir versuchen zu erraten, welche Gewürzen in den Leckereien stecken und welche am Ende den besten Geschmack aufweist. Ein eindeutiger Sieger wird nicht gefunden. Wir gehen aufs Zimmer und Angela und Michi waschen Wäsche, während Tim und Kyra schreiben. Als die Wäsche überall hängt und trocknet, schreibt auch Michi noch etwas Blog und dann schlafen wir alle unter den dünnen Laken ein. Gute Nacht.