Fahrrad-Weltreise - Von Nautic drive-praia dos tomates nach Vila Real de Santo António

Drohne weg, rosa Flamingos und ein Schal aus feinstem Kaschmir

04.01.2025 - Tag 217

Wir wachen auf und fühlen uns immer noch kaputt oder vielleicht sogar etwas kaputter. “Wie können zwei Wochen Pause zu so einem Verfall führen?”, fragt Michi. Auch Kyra spürt ihre Knochen, insbesondere den Hintern. Zudem war die Nacht nach der gestrigen Nachtfahrt kurz. Nunja, wir wollten um 7 Uhr aufstehen und nun ist es fast 8 Uhr. Also theoretisch haben wir acht Stunden geschlafen, aber es fühlt sich an wie vier. Wir schälen uns aus den Schlafsäcken und packen alles ein. Das leere Zelt lassen wir in der Hoffnung stehen, dass es noch etwas austrocknet. Virginie und Ralf begrüßen uns mit einem herrlich warmen Kaffee. “Oh, vielen Dank!”, sagen wir und nehmen einen Schluck in der Hoffnung, dass die aufputschende Wirkung schnell eintritt. Ralf stellt noch zwei Campingstühle bereit und wie in Saint-Jean-Pied-de-Port dürfen wir in Stühlen sitzen und genießen. Wir haben bereits ein kleines Paket geschnürt und eine Packung Süßigkeiten als Dankeschön daneben gelegt. Denn die beiden haben sich bereit erklärt, Dinge, die wir vorerst nicht mehr benötigen, z.B. die Jakobsmuscheln, in ihren Camper mitzunehmen und in Deutschland abzusenden – das spart Porto. Außerdem geben wir unsere Drohne “Fridolin” und Pfefferspray in ihre Hände. Warum? Das erfahrt ihr in ein paar Tagen. Ralf macht uns auf ein Wohnmobil am anderen Ende des Parkplatzes aufmerksam. Es ist ein 3-Achser, groß, breit, lang und hat noch einen kleinen Anhänger. Nunja, einen kleinen Wohnwagen. “Ratet mal, wer darin schläft?”, fragt er. “Der Hund!”, sagt Virginie lachend. “Genau! Ein deutscher Schäferhund!”, bestätigt Ralf. Wir müssen alle über die doch imposante Hundehütte lachen. Wir quatschen noch ein bisschen und essen nebenbei Müsli, trinken Kaffee und schon ist es 10 Uhr. Als wir gerade das trockene Zelt abgebaut haben, kommen die französischen Nachbarn aus ihrem Wohnmobil. Mit dabei ist ihre riesige 50 kg Hündin. Ralf begrüßt die Hündin freudig und wir dürfen sie ebenso kraulen. Nach einem kurzen Gespräch müssen wir uns leider verabschieden, so gerne wir verweilen würden. Wir umarmen uns und machen noch ein Foto. Dann rollen wir los. Ralf geht uns noch winkend nach und wir winken zurück, bis wir hinter der Kurve verschwinden und den praia dos tomates hinter uns lassen.. Es geht auf einer Sandpiste hinter dem Strand entlang und an einer Bar vorbei. Immer wieder werden wir mit “Hallo” gegrüßt. “Sehen wir so deutsch aus?”, fragen wir uns. Als wir an einem Hirten samt Herde vorbeifahren, grüßen wir ihn mit “Bom dia”, er erwidert den Gruß und lächelt. “Das wäre mein Job”, sagt Kyra und zählt positive Aspekte eines Lebens als Schafhirtin auf. Wer weiß,  was das Leben alles noch für uns bereit hält. Dann rollen wir über die Brücke und in den Ort Vilamoura und weiter nach Quarteira. Plötzlich ein Schockmoment. “Wo ist dein Schlüssel? Ich habe ihn in der Flaschenhalterung des Campingstuhls liegen lassen!”, stellt Michi erschrocken fest. Doch noch während Kyra bei Virginie anruft, findet Michi den Schlüssel vergraben in der Lenkertasche. Puh, Glück gehabt. Irgendwie “verlieren” oder verlegen wir, seit wir unser Fahrradschloss tatsächlich verloren haben, fast täglich etwas. So kann es jedoch erleichtert weitergehen. Wir stoßen erneut auf den EuroVelo 1 und folgen diesem vorbei an großen Werbeplakaten, die uns zum Kauf von Anwesen oder Designermöbel verleiten wollen. Kurz darauf passieren wir einige der bereits verkauften und z.T. bewohnten Siedlungen prachtvoller moderner Villen. Die Straßen sind neu und der nächste Golfplatz ist nicht weit. An dessen Rückseite entlang, kämpfen wir uns durch eine Passage losen Sandes einen Hügel hinauf. Bei der Geschwindigkeit können wir einer Herrengruppe beim kräftigen Abschlag und beim nächsten Loch einer weiteren beim gezielten Putten zusehen. Schon sind wir oben angelangt und rollen auf festgefahrenen Sand in Richtung Montenegro. Wir sehen die Flugzeuge vom nahen Flughafen Faro abheben und Landen. Kurz darauf durchqueren wir die zugehörige Stadt Faro auf schnellsten Wege. Auf der Bundesstraße geht es weiter gen Osten und ab auf eine kleine Straße. Neben uns liegen unzählige Salinen, doch diese dienen nicht ausschließlich der Salzgewinnung, manche werden auf neue Weise genutzt, um mittels biotechnologischer Prozesse Mikroalgen, z.B. als Spezialfutter für Aquakulturen und Aquarien, Kosmetika, Lebens-/Nahrungsergänzungsmittel oder zur Gewinnung von Bioenergie, zu produzieren. Spannend. Vor allem für Michi. Doch ein weiteres Highlight wartet in den Salinen. Wir sehen unsere ersten Flamingos in freier Wildbahn. Behutsam schleichen wir uns ein paar Meter an und beobachten diese hübschen Vögel. In der Tat sind es genau zwei, aber immerhin. Es ist Januar, warm, die Sonne scheint und wir sehen rosa Flamingos. Der Tag ist perfekt! Weiter geht es nach Olãho. Prompt sehen wir ein paar Meter weiter eine ganze Kolonie von rosa Flamingos.

Wir halten jedoch nicht mehr an, denn wir haben Hunger. Am Ortseingang machen wir noch eine Mittagspause vor Lidl. Es gibt Brötchen mit Käse, Gurke und Salami. Dazu ein Croissant und Eistee. Wir telefonieren noch mit unseren Freunden Tim und Angela, die ein Stück vor uns fahren. Sie haben bereits die Fähre nach Spanien erreicht. Wir werden das heute nicht mehr schaffen. So sehen wir uns vielleicht morgen wieder. Gestärkt fahren wir weiter die Küste entlang. Ein kurzes Stück geht es über einen zum Glück gerade trockenen Abschnitt direkt durch den nassen Sand und vorbei an den trocken gefallenen Booten. Ein Stück müssen wir schieben, da die Drahtesel im Meeresboden einsinken. Doch der Aufwand lohnt sich. Wir erreichen einen wunderschönen Bretterpfad und rauschen durch die salzige Meeresluft des Marschlandes. Welch einen schönen Ausblick auf die Salinen und das umgebende Marschland böte ein Perspektivenwechsel. Doch die Drohne ist weg. Ein Storch könnte sich erheben und diesen genießen,  doch er blickt nur kurz auf, als wir ihn passieren, ehe er sich geschwind erneut der Jagd widmet. Doch dann weht uns ein blumiger Geruch um die Nase. Die Kakteen sind es nicht. Ein feiner weißer Schal liegt am Wegesrand. “Wie schade”, denken wir uns noch, als vielleicht 100 m weiter eine Dame in entgegengesetzte Richtung geht. “Did you see a scarf?”, fragt sie hoffnungsvoll. Wir bejahen und Michi fährt zurück, das gute Stück zu holen. Als er den Schal aufhebt, merkt er sogleich, es ist ein Kaschmir-Schal. Er wärmt unglaublich und ist dabei leicht wie eine oder vielleicht zwei Federn. Behutsam trägt er ihn zurück und die Frau bedankt sich. Wir kommen ins Gespräch und ihr Mann kommt hinzu. Falls wir nichts zum Schlafen finden, sollen wir zu ihnen auf einen Kaffee vorbeikommen. Sie stammen aus Belgien und haben seit längerem ein nettes Appartement im nahegelegenen Ort Conceição. Dieser war scheinbar früher ein Hippie-Dorf. Wir bedanken uns für die Einladung und radeln weiter Richtung Grenze.

Die Dämmerung setzt ein und wir entscheiden uns gegen Schotter und für die Bundesstraße. Rauf auf den Seitenstreifen und es macht “Pfffffffff”. Emils Vorderrad geht die Luft aus. Doch schnell ist dieser neben der Avocado-Plantage geflickt und wir sind wieder unterwegs. Wir treten kräftig in die Pedale, der Himmel verdunkelt sich und das nicht nur wegen der bereits hinter dem Horizont verschwundenen Sonne. Doch irgendwie haben wir Glück und rutschen durch die Passagen voller Regen hindurch. Als wor Vila Real de Santo António erreichen, sind die Straßen und Autos nass. Wir nicht. Schon wieder hatten wir Glück. Es geht vorbei am Leuchtturm in Richtung Hafen und den Pier entlang, rechts weg zu einem Parkplatz und es ist stockfinster. Mit unserer Kopflampe leuchten wir in den Wald. “Weit rein will ich nicht, der ist echt düster”, sagt Kyra mit Unbehagen. “Ich will hier aber nicht auf dem Präsentierteller stehen”, gibt Michi zu bedenken und leuchtet zurück auf den Parkplatz. Es ist nur ein Auto da, aber Samstagabend, wer weiß. Wir schieben die Räder den Weg entlang und nach ein paar Metern bauen wir das Zelt auf. Wir essen Wraps mit Hummus und schreiben Blog. Auf einmal ist Licht am Parkplatz. “Was ist das denn?”, fragt Michi ungläubig. Drei separate Lichter tanzen auf und ab. Mal sieht es aus, als wären es E-Scooter auf einer Buckelpiste, mal Drohnen, die etwa zwei Meter aufsteigen und erneut landen. Jedes Licht hat links und rechts zwei weitere kleine Lichter. Mal werden sie heller und mal dunkler. Wir rätseln und beobachten still. Da leuchtet eines ganz hell zu uns rüber und sogleich wieder weg. “Haben sie uns gesehen?”, fragt Kyra. Doch die Lichter verhalten sich weiter “normal”. Dann ist alles dunkel. Das Licht des parkenden Autos geht an und es fährt weg. Wir schreiben Blog und Kyra schläft ein, auch Michi fällt das Telefon aus der Hand. Als er aufschreckt, fahren zwei Autos auf den Parkplatz. Das eine schaltet sofort das Licht aus, das andere etwas später. Dann läuft ein grün leuchtendes Halsband von links nach rechts durch die Gegend. “Da ist ein Hund”, sagt Michi leise zu Kyra. Gespannt beobachten wir erneut. Es bleibt ruhig. Dann eine Autotür und Ruhe. Wir warten, warten… war… Gute Nacht.