Fahrrad-Weltreise - Von Algeciras über Gibraltar nach Manilva

Polizei, Affenfelsen und Wildschweinspuren

16.01.2025 - Tag 229

Spanische Worte unterbrechen die Stille und wir wachen auf. Es dauert etwas länger, bis wir begreifen, was hier eigentlich gerade passiert. Zu unseren Füßen steht die Polizei. Der Mann ist komplett vermummt, wahrscheinlich wegen der Kälte in der Nacht? Er redet noch immer auf spanisch mit uns, dabei merkt er jedoch langsam, dass wir ihn nicht verstehen. Verschlafen sitzen wir auf dem Boden und gucken ihn an. “Sorry?” sagt Kyra und der Polizist fragt: “What are you doing here?”. Angela, die etwas später wach geworden ist antwortet wahrheitsgemäß: “sleeping”. “You can’t sleep here. We work here.” erklärt der Polizist weiter. Kyra möchte etwas sagen, doch er wiederholt seine Worte: “You can’t sleep here. We work here!” Dann sagt sie: “Yes, sry! We probably need 5 minutes.” Wir fangen direkt an einzupacken und während der Polizist die Stufen hinunterläuft sagt Tim: “5 Minuten sind vielleicht etwas optimistisch” Kyra bejaht, doch erstmal scheint alles okay zu sein. Schneller als gewöhnlich haben wir alles eingepackt und tragen die Taschen nach unten. Die Drahtesel werden gesattelt und die Polizei kommt noch ein letztes Mal auf uns zu. Der zweite Polizist zeigt auf sein Fernglas und sagt: “We’re sorry, but we work here” und erst jetzt verstehen wir, dass sich das “work” bzw. arbeiten nicht darauf bezieht uns wegzuschicken, da wir nicht in der Öffentlichkeit arbeiten dürfen, sondern darauf, dass sie die Umgebung beobachten. Ob es sich um Schmuggler, Geflüchtete oder anderes handelt, werden wir wahrscheinlich nicht erfahren. Wir vier lernen jedoch in diesem Moment, dass es keine gute Idee ist, an einem Hafen zu zwei EU-Außengrenzen (Afrika und Gibraltar) zu biwakieren. Bevor wir starten sagen wir noch zu den spanischen Beamten: “No, we are sorry!” und starten in die dunkle Nacht. Es ist etwa vier Uhr, der Mond steht hell am Himmel und die Sterne funkeln über uns. Kurz bevor wir den Park verlassen gehen wir alle vier nochmal schnell auf Toilette, während ein Hund im Tierheim nebenan aufgeregt bellt. Schnell fahren wir über die von Schlaglöchern gesäumte Straße zurück und verlassen Algeciras. Wir haben uns darauf verständigt um diese Uhrzeit kein neuen Schlafplatz zu suchen, sondern nach Gibraltar zu fahren. Unser Weg führt uns zunächst auf verlassenen Straßen nach Los Barrios. Auch in der Stadt ist kaum etwas los. Während wir jedoch eine Straße hinauf fahren, fliegt im Auto neben uns das Handy aus der Fensterscheibe. “Was zur Hölle…” sagt Kyra und Angela hebt das Handy auf. Im ersten Moment sind wir so irritiert, dass wir schon wilde Fantasien haben, warum jemand sein Handy aus dem Fenster wirft. Wahrscheinlich war es jedoch keine Absicht und Zufall, dass dies genau neben uns passiert ist. Da keine Tastensperre drin ist, kann Tim bei WhatsApp einer Person schreiben: We’ve found your cell phone. The four cyclists. Anschließend macht er aus Gewohnheit automatisch die Tastensperre rein und wir haben keine Möglichkeit mehr Weiteres zu schreiben. Wir warten eine Weile am Straßenrand, doch niemand taucht auf. Komisch, haben die Personen im Auto noch gar nicht mitbekommen, dass das Handy weg ist? Zum Glück findet Michi schnell heraus, dass die nächste Polizeiwache nur 3 min mit dem Fahrrad entfernt ist. Diese Entfernung nehmen wir natürlich gerne auf uns und bringen das Handy dorthin. Ein Polizist öffnet uns und versteht zunächst nicht wirklich, was wir ihm sagen wollen. Mit einem Übersetzer klappt es dann doch. Er ist etwas belustigt über die Situation und vielleicht auch glücklich, dass endlich etwas passiert in seiner Schicht. Lachend nimmt er mit seinem Kollegen das Handy entgegen und bedankt sich bei uns. Er erkundigt sich noch, wohin wir als nächstes fahren und wünscht uns eine gute Nacht. Als wir die Polizeistation verlassen, müssen wir uns selbst eingestehen, wie komisch die Situation sein muss. Vier Radreisende gehen in eine Polizeistation, um ein Handy abzugeben, welches jemanden um circa 5 Uhr nachts aus dem Autofenster gefallen ist. Sowas ist uns auch noch nie passiert. Vor Aufregung reden wir am Anfang noch viel miteinander, bis wir einen Hügel empor fahren müssen. Die Steigung ist relativ anstrengend, doch routiniert kommen wir nach oben. Als wir hinunter fahren und uns dem Wasser nähern wird es auf einen Schlag eiskalt. Doch wir treten etwas kräftiger in die Pedale und fahren weiter. Es geht vorbei an einer Raffinerie und im Morgengrauen können wir plötzlich den Felsen von Gibraltar erkennen.

Wir nähern uns langsam der Grenze und schließlich sind wir da. Kurz beobachten wir, wie die anderen Passanten ihre Pässe in die Luft zeigen und dabei langsam über die Grenze gehen. Wir tun es ihnen gleich. Von den spanischen Grenzbeamten werden wir praktisch ignoriert und auch auf Seite der Briten wird nur kurz in den Pass geschaut. Verrückt! Nach 3 Monaten sind wir für einen Tag also wieder in Großbritannien. Da es noch immer dunkel und kalt ist, gehen wir spontan in die Flughafenhalle von Gibraltar. Hier essen wir unser letztes Brot aus Marokko, genießen die Wärme und gehen auf Toilette, denn wir haben noch immer unsere Schlafsachen an und müssen uns so langsam umziehen. Anschließend wird es Zeit in die Stadt hineingefahren. Draußen wird es langsam hell und die Sonne geht auf. Der Flughafen bzw. die Landefläche von Gibraltar trennt die Halbinsel vom spanischen Festland ab. Aus diesem Grund fahren wir mit den Rädern im Sonnenaufgang über die große Landefläche. Mit uns gehen zahlreiche andere Menschen hinüber. Die meisten scheinen in Gibraltar zu arbeiten und in Spanien zu wohnen. Wenige haben auch kleine Kinder an der Hand, die wie in Großbritannien üblich Schuluniformen tragen. Was uns zudem direkt auffällt, ist die Internationalität der Menschen. Wir sehen verschiedene Hautfarben, Haarfarben und Augenfarben. Gibraltar gehört zu Großbritannien und ist somit nicht mehr Teil der Europäischen Union, jedoch scheint es eine Sonderregelung für den Grenzübertritt zu geben. Zum Glück, denn hier an der Grenze ist einiges los (circa 15.000 Menschen pendeln täglich für ihre Arbeit nach Gibraltar) und 96 % der circa 33.000 Einwohner*innen Gibraltars hatte sich gegen den Brexit ausgesprochen. Aufgrund der geschichtlichen Ereignisse und der besonderen Situation, finden wir es spannend einmal hier zu sein. Bevor wir uns jedoch die Stadt anschauen, fahren wir zum Morrison einkaufen. Vielleicht finden wir typische britische Produkte, die wir in den letzten Monaten vermisst haben oder Produkte die günstiger sind. Und tatsächlich mit 0,29 Gibraltar Pfund und somit 0,34 € sind die 500 g Nudeln besonders günstig. Zudem kaufen wir unsere vermissten Essig-Salz-Chips. Glücklicherweise können wir alles problemlos mit Kreditkarte bezahlen, denn Gibraltar hat eine eigene Währung. Gibraltars offizielle Währung ist das Gibraltar-Pfund und ist an das Pfund Sterling zugeordnet.

Nach unserem Einkauf schieben wir über die Main Road, die die Einkaufsstraße von Gibraltar ist. Anschließend fahren wir die Küstenstraße zum Europa Point, dem südlichsten Ende von Gibraltar. Das südlichste Ende von Gibraltar stellt übrigens nicht den südlichsten Punkt des europäischen Festlandes dar, sondern Tarifa, wo wir gut 6 Tage zuvor waren.

Am Europa Point machen wir eine kleine Mittagspause. Wir beobachten die Menschen um uns herum und machen Fotos von der Moschee und dem Leuchtturm. Von hier haben wir einen herrlichen Blick auf Afrika mit Ceuta. Es ist immer wieder erstaunlich, auf Teile der Welt aus Entfernung zu blicken, an denen man erst vor kurzem selbst entlang gefahren ist. Bevor wir weiterfahren werden wir noch von vier Menschen aus Kanada angesprochen. Sie sind interessiert, da wir gerade unsere nassen Schlafsäcke der letzten Nacht trocknen. Wir reden kurz über unsere Reise und die vier berichten für einen Monat in Europa zu sein. Die meiste Zeit waren sie in Portugal, doch nun sind sie für wenige Tage in Gibraltar. Als wir weiterfahren, geht es durch einige Tunnel.

An einer besonders steilen Stelle fliegt Kyras Kette raus und sie kann durch die Schräge nicht absteigen, weshalb sie kurz mit dem Fahrrad umkippt. Doch zum Glück passiert nichts und so rollen wir schnell weiter. Der letzte Tunnel führt uns unter der Landebahn des Flughafens zurück zur Grenze. Nur wenige Minuten später stehen wir nach einem schnellen Blick auf unsere Ausweise zurück in Spanien und somit steht der Abschied von Angela und Tim an.

Nach einer schnellen Pipi-Pause bei Mc Donalds kleben die beiden noch auf Emil und Elias die marokkanische Flagge. Wir umarmen uns und wünschen uns alles Gute! Nach über zwei Wochen fällt uns der Abschied gar nicht so einfach. Wir haben viel miteinander erlebt. “Ich glaube, ihr werdet die einzigen Menschen bleiben, mit denen ich in einer Friseur-Garage geschlafen habe”, sagte Kyra bereits gestern lachend. Doch es ist tatsächlich so. Mit wem werden wir nochmal für einige Tage durch Marokko fahren oder spontan zusammen Silvester in Portugal feiern? Es war eine tolle Zeit und wir werden uns ganz bestimmt auch in einigen Jahren noch freudig daran zurückerinnern. Wir freuen uns bereits jetzt gemeinsam in Emden in der Küche zu stehen und ausgiebig miteinander zu kochen, wie wir es bereits vor unserer Reise gemeinsam getan haben. Gemeinsam fahren wir noch die letzten 50 m bis zum Kreisverkehr zusammen. Dann nehmen wir die zweite und die beiden die dritte Ausfahrt. Wir winken uns zu, bis wir uns nicht mehr sehen. Dann sind wir wieder zu zweit. Es fühlt sich kurz komisch an, doch nach einem Einkauf bei lidl und einer kurzen Pause am Strand, um einige Anrufe zu erledigen, haben wir uns schon fast wieder an die alt bekannte Situation gewöhnt. Es geht nur wenige Meter am Strand entlang, bevor wir einen Hügel überqueren müssen. Der Untergrund ist lose, doch zum Glück können wir durchgängig schieben. Oben angekommen winken wir zwei anderen Radfahrern, die gerade Pause machen. Dann hält Michi plötzlich an, vor uns stehen einige Kühe mit Jungtieren und ein Bulle. Langsam rollen wir rückwärts zurück, um den Bullen stehts im Blick zu haben. Auch er hat uns im Blick, doch er macht keine Anstalten auf uns zu zugehen. Hinter uns stehen die anderen beiden Radfahrer und gemeinsam warten wir die Situation ab. Langsam gehen die Tiere etwas zurück und wir sehen unsere Gelegenheit links durch das Tor zu entwischen. Schnellen Schrittes gehen wir hinunter und ziehen die Drahtesel mit uns. Hinter uns schließen wir dieses wieder und die Tiere rennen an uns vorbei. Michi sieht noch gerade, wie alle über einen kleinen Zaun springen, von wo sie anscheinend entwischt sind. Die anderen beiden stellen sich als Britten vor. Sie haben ein Haus im nächsten Dorf und sind für das Wochenende dort. Zusammen fahren wir noch ein paar Meter, bevor sie nach rechts abbiegen. Dann geht es rasant den Hügel hinunter. Die Abfahrt ist schön und unser Tagesziel bereits in Sicht. Nach einem Wohngebiet mit zahlreichen Villen fahren wir wieder an der Küste entlang und biegen schließlich an einem Kreisverkehr links ab, um etwas erhöht von der Straße zwischen den zahlreichen Orten einen Schlafplatz zu finden. Wir hatten zum Glück den richtigen Riecher und werden schnell fündig. Trotz zahlreicher Wildschweinspuren bauen wir das Zelt auf und essen während eines Telefonates mit Radreisefreunden Wraps. “Zweiaufrad” wollen demnächst ebenfalls nach Marokko, jedoch für 1,5 Monate. Damit diese sich nicht über Nachtwachen oder ähnliches erschrecken, hatten wir ein Telefonat ausgemacht, um unsere Erfahrungen auszutauschen. Dann wird es Zeit zu schlafen. Gute Nacht! 

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