Tag 195 - Lisboa (13.12.2024)

kein Radtag

Es tröpfelt und wir recken unsere müden Glieder. Heute haben wir trotz der unruhigen Nacht neben der Autobahn viel vor. Als erstes müssen wir frühstücken und nutzen die Gelegenheit, erneut, um Geräte in der alten Waschküche des Campingplatzes zu laden. Zwei Spanier mit einem Hund gesellen sich hinzu. Wir wechseln ein paar Worte und es beginnt richtig zu regnen. Na toll, so hatten wir es uns nicht gedacht. Wir warten ab, doch es wird nicht besser. Gegen 10 Uhr haben wir die Route geplant und bis auf die Powerbanks alles geladen. Wir packen einen kleinen Rucksack für das Sightseeing und alles wichtige auf die Drahtesel. Dann bringen wir sie nach etwas hin und her an der Rezeption, wie am Vorabend besprochen im Gepäckraum unter. Dann wandern wir los in die Stadt. Es geht durch Hinterhöfe und an verlassenen Häusern vorbei. „Hier will und werde ich nachts nicht zurücklaufen”, macht Michi klar. “Ne, ich auch nicht”, antwortet Kyra bestätigend. Weiter geht es an der Bundesstraße entlang. Es regnet nun ziemlich. An einem Restaurant geht es links in das Dickicht und auf einmal sehen wir die Stadt vor uns. Der Regen wird abgedreht und sogar die Sonne schaut heraus. Wir laufen zum Palácio Nacional da Ajuda und erreichen die ehemalige Residenz der Königsfamilie über den Eingang beim Museu do Tesouro Real. In ersterem kann man in voll ausgestatteten Zimmern der Königsfamilie in deren Welt eintauchen. Letzteres zeigt die königlichen Schätze. Wir sehen uns den Platz im Innenhof an und bestaunen die Kunstwerke vor dem Eingang.

Dann machen wir uns auf zur Pastelaria Casa Pastéis de Belém. Gleich nebenan liegt das Weltkulturerbe Mosteiro dos Jerónimos. Die Mönche dieses Klosters sollen erstmalig die berühmten Pastéis de Nata zubereitet haben. Das Rezept wurde anschließend verkauft und so kann man heute die Leckereien aus Blätterteig und Konditorcreme unter dem Namen Pastel de Belém im Café kaufen. Dazu erstehen wir zwei Bola de Berlim also zwei Berliner Pfannkuchen (Berliner, Krapfen). Vom Regen sind die Parkbänke im nahen Park noch nass, doch wir finden eine halbwegs trockene und genießen unsere Leckereien. Allerdings müssen wir diese etwas gegen Spatzen, eine Taube und insbesondere eine gierige Möwe verteidigen.

Als wir fertig sind, schlendern wir am Kloster entlang zum nächsten Welterbe, dem Turm von Belém. Der Rauch eines Maronenstands räuchert die Menschenmenge vor dem Turm ein. Wir stellen uns etwas abseits, schießen ein paar Fotos und beobachten ein wenig das Treiben, ehe wir an der Plastik eines Wasserflugzeugs vorbei die Promenade in Richtung Stadt ablaufen. Auf einmal überholt uns eine Gruppe Radfahrer auf Bambusrädern. “Da vorne müssen wir links. Folgen Sie mir”, ruft der Tourleiter auf deutsch. Wir müssen schmunzeln, sie alle stammen von einem Kreuzfahrtschiff. Scheinbar liegt die AIDA gerade in der Nähe. Am Yachthafen bestaunen wir Segelyachten und sind nicht minder beeindruckt vom Padrão dos Descobrimentos, dem Denkmal für Seefahrer und Entdecker. Es erinnert an das 33 wichtige Persönlichkeiten im Spätmittelalter Portugals und die damalige “Entdeckung der Welt”. Vor diesem findet sich im Boden eingelassen eine riesige Windrose mit Weltkarte und den entsprechenden Jahreszahlen zu den Entdeckungen. Wir gehen weiter und machen eine kleine Pause am Rande des Jardim Afonso de Albuquerque. Der Platz liegt direkt neben dem Palácio Nacional de Belém und somit der Residenz des Staatspräsidenten Portugals. Wir überlegen unsere nächsten Schritte und entscheiden uns Essen zu gehen.

 Das ausgesuchte portugiesische Lokal ist jedoch noch ein paar Meter entfernt und somit laufen wir weiter in Richtung der Ponte 25 de Abril. Man könnte glatt meinen, man sei in San Francisco. Doch die Golden Gate Bridge ähnelt der Ponte 25 de Abril nur auf den ersten Blick dem Anstrich nach, das eigentliche Vorbild stammt allerdings aus derselben Stadt, die San Francisco Bay Bridge. Unwissend haben wir sogar bereits in Edinburgh ihre Schwesterbrücke, die Forth Road Bridge, bestaunt. Oben schieben sich LKW und PKW über die Brücke und darunter rauschen Züge hindurch. Es ist ein beeindruckendes Bauwerk, das mit rund 3200 m den Tajo hin zum Ort Almada überspannt. Am gegenüberliegenden Ufer erblicken wir erhöht neben der Brücke die berühmte Statue Cristo Rei, die an die berühmte Christusstatue im brasilianischen Rio angelehnt ist. Die Brücke wird größer und größer und auf einmal stehen wir fast unter ihr und vor dem ausgesuchten Lokal. Dieses sieht jedoch so gar nicht einladend, sondern eher wie eine Tourifalle aus. Wir entscheiden uns dagegen. Doch was ist das? Zwei alte Straßenbahnen fahren weihnachtlich geschmückt aus dem Depot. Der Weihnachtsmann winkt aus dem Führerhaus und Kinder steigen freudig lachend ein. Bimmeln setzt sich die Bahn in Bewegung und rollt unter Quietschen und Ächzen in die Stadt. Wir gehen zur Bushaltestelle und stehen nun wirklich direkt unter der Brücke. Zudem landen nun auch noch im Minutentakt Flugzeuge über unsere Köpfe hinweg. Es ist schon eine ganz andere Geräuschkulisse, eine ganz andere Reizdichte, ein ganz anderes Leben in der Stadt verglichen mit den Plätzen in der Natur, den kleinen Landstraßen, den unendlichen Weiten des Meeres… schon kommt unser Bus und wir sind Teil der Masse an Individuen, die gemeinsam im geordneten Chaos ihren eigenen Weg sucht. 

Am Platz vor Parque Eduardo VII steigen wir aus, heben Geld ab und finden außerhalb einen Maronenstand. Der Mann faltet das Papier und fischt geschickt mit einer Zange ein paar der heißen Esskastanien aus seinem Ofen. Mit einem ehrlichen Lächeln legt er noch eine nach und drückt uns die volle Tüte in die Hand. Wir reichen ihm das Geld und bedanken uns. Dann lassen wir uns vom Strom mitziehen, über die Straße zum Parque Eduardo VII, wo zu dieser Jahreszeit eine weitere Attraktion Lissabons wartet, das Wonderland Lisboa. Der Weihnachtsmarkt ähnelt dem, was wir in Vigo gesehen haben, doch das Wonderland beschränkt sich auf den Park, wohingegen in Vigo die gesamte Innenstadt genutzt wurde. Es gibt zwei Reihen an Buden auf den Längsseiten des Parks und dazwischen befinden sich am Eingang ein Riesenrad, in der Mitte weitere Buden und im oberen Bereich eine kleine Eislaufbahn. Wir schlendern auf der einen Seite hinauf und sind überrascht. Ein kleiner  Crêpe mit Zimt und Zucker kostet sage und schreibe 6,00 EUR. Verglichen mit den 1,40 EUR für ein Pastel de Belém aus DER traditionellen Pastelaria direkt neben dem Weltkulturerbe in Lissabon erscheint uns der dünne Pfannkuchen aus dem Wagen schon ziemlich teuer. Die Maronen sind ebenso 0,50 EUR-Cent teurer als unsere vor dem Park und über die Sandwiches sowie den “Glühwein” wollen wir besser nicht reden. Da es noch dämmrig ist und wir wirklich Hunger haben, entscheiden wir, zum nächsten Supermarkt zu gehen und diesen besser dort zu stillen. Wir finden einen ALDI in der Nähe und kaufen nach Herzenslust ein, wir probieren uns quer durch den Backshop, sodass die Kassiererin kurz lachen muss, als sie die Tüte öffnet. Nach einem prüfenden Blick tippt sie geschwind von allem eins und zwei belegte warme Brötchen ein. Dazu gibt es Baguette, Hummus, Sweet Pepper, ein Cidre und ein Bier sowie Chips. Wir gehen zurück und setzen uns unter eine Parkbank, beobachten das Gewusel auf der Eisfläche und die Leute die ins Wonderland strömen oder dieses verlassen. Dabei verspeisen wir genüsslich einen Teil der gekauften Leckereien. Tatsächlich waren die Augen größer als der Magen und somit können wir sogar noch einiges für den nächsten Tag aufbewahren. Flieger gleiten blinkend im Landeanflug an den Hochhäusern vorbei über den Park und verschwinden für uns hinter den Alleebäumen. Das Wonderland blinkt und leuchtet nun in seiner ganzen Pracht. Es ist schön, aber doch sehr kitschig und so richtige Weihnachtsstimmung mag auch trotz der Eisbahn und geschmückten blinkenden Buden bei uns nicht aufkommen. Aber es ist definitiv ein Erlebnis und einzelne Elemente sind auch wirklich schön beleuchtet und arrangiert. Wir laufen die zweite Reihe an Buden hinab. Es sind gefühlt dieselben, doch Kyra entdeckt einen Wagen, der allerlei Fruchtgummis verkauft. “Soll ich? Darf ich?”, fragt sie freudig und zögerlich zugleich. “Klar, warum nicht?”, antwortet Michi. Schon springt Kyra mit glänzenden Augen hinüber und wandert auf und ab, überlegt, nimmt hier eine Cola-Flasche, da eine saure Schlange, überlegt erneut und packt mit der Zange einen Apfelring… so geht es eine Weile. Dann ist sie zufrieden und läuft zur Kasse. Ihr entgleisen alle Gesichtszüge. Sie kommt zurück. “Ich fühl mich so schlecht. Oh Gott… Weißt du was das…?”, fragt sie unvollständig. “Es war bestimmt sau-teuer, aber du hast so gestrahlt und dich gefreut. Genieß es doch einfach”, sagt Michi. “Ne, für so wenig, das kann doch nicht sein?”, sagt sie enttäuscht. Nach einer Weile und zwei sauren Schlangen, stehen wir vor einem Getränke-Stand. Dort gibt es Ginjinha, einen typischen Sauerkirsch-Likör aus Lissabon für 1,50 EUR aus einem Schokoladenbecher. Wir finden, verglichen mit dem Rest ist das tatsächlich ein normaler Preis und nehmen zwei Becher als krönenden Abschluss. Tatsächlich schmeckt der Likör mit dunkler Schokolade nach einer bekannten Süßigkeit für Erwachsene. Vielleicht erinnert diese auch an ihn? Wenngleich Kyra über ihr Preis-/Leistungsverhältnis der kleinen Süßigkeitentüte weiterhin enttäuscht ist, sind wir insgesamt mit dem Tag Lissabon sehr zufrieden. Wir eilen die letzten Meter zum Bus und steigen ein. Dieser trägt uns von der beleuchteten Stadt über die gut gefüllte Autobahn zurück zur Haltestelle unterhalb des Campingplatzes. Da es zwar dunkel aber eigentlich noch nicht wirklich spät ist, gehen wir noch kurz zu Decathlon und sehen nach, ob wir ein paar Ersatzteile finden. Leider nein, aber vielleicht werden wir in Zukunft Teile zu einem dieser Supermärkte bestellen. Wir holen unsere Drahtesel aus dem Gepäckraum und laden unsere Elektronik weiter auf. Nebenbei schreiben wir Blog. Als wir müde werden gehen wir zum Zelt und just in diesem Moment beginnt irgendwo in der Nähe ein Rockkonzert. Doch neben der Autobahn erreichen uns nur wenige Gitarrenklänge und so bleibt es größtenteils bei dem konstanten Rauschen der Fahrzeuge, Gummi auf Asphalt, Luft an Metall und dann und wann unverhofftes Knallen aus der ein oder anderen Auspuffanlage. Doch hinter den Ohrstöpseln wird es ruhiger und mit etwas Phantasie liegen wir tatsächlich am Meer und lauschen dem Rauschen der See. Gute Nacht…