Fahrradweltreisetag 185 - Land unter (03.06.2024)
Von Agra de Ventura nach Reariz
“Wow!” sagt Michi als er das Zelt verlässt. Nebel hängt im Tal unter uns. Wir sehen den Hügel gegenüber und rechts von uns, doch dazwischen ist alles weiß. Es sieht traumhaft aus. Michi kommt zurück ins Zelt und packt sich wieder in den Schlafsack ein. Es ist kalt draußen und nass. Unser Außenzelt tropft vor Feuchtigkeit und auch das Innenzelt ist leicht klamm. Bei solch einem Wetter mit Nebel und Aussicht auf Regen, wollen wir am liebsten liegen bleiben. Und das machen wir auch erstmal, bis wir uns dann doch aufraffen können. Wir entscheiden uns dafür erstmal ohne Frühstück los zu fahren und dieses zu verschieben. Erstmal müssen wir warm werden, doch die ersten Killmeter gehen bergab. Wir schießen in die Tiefe, hinein in den Nebel und zittern dabei am ganzen Körper. Es ist kalt, sogar sehr halt und insbesondere die Finger frieren. Mehrmals kneten wir diese während der Abfahrt oder halten sie an den warmen Hals. Zwischendurch winken wir netten Autofahrer*innen und wünschen Pilgern einen “Buen Camino”. Diese kommen uns nun entgegen und sind nicht mehr in die gleiche Richtung unterwegs. Heute wird zudem unser letzter Tag auf dem Camino frances bzw. Camino Fisterra sein und somit die letzte Möglichkeit bekannte Menschen wiederzusehen.
Während wir darüber nachdenken geht es immer weiter hinunter und dann erreichen wir nach circa 10 km bergab Negreira. Michi halt bei der ersten Gelegenheit, stellt Elias ab und steckt sich die Hände zwischen die Beine. Kyra tut es ihm gleich. Ein älterer Spaziergänger sieht uns mitleidig und belustigt dabei zu. Er winkt und zeigt uns ein Café,ä während Kyra mitlerweile auf und ab springt. “Lass das mal, die Leute gucken schon alle”, gibt Michi zu bedenken. “Das ist mir egal, mir ist sofort kalt!” antwortet Kyra. Spontan entscheiden wir uns das vom Mann gezeigten Café zu nutzen. Wir bestellen zwei Milchkaffee und setzen uns so, dass wir die Drahtesel vom Warmen beobachten können. Kurz darauf werden uns die zwei Kaffee gebracht, zudem bekommen wir noch zwei kleine Küchlein gebracht. Wir freuen uns jedes Mal, dass es in Spanien typisch ist eine Kleinigkeit aufs Haus zu bekommen. Wir genießen den Kaffee und wärmen uns die Hände daran. Langsam trauen wir auf und wollen als wir ausgetrunken haben das Café noch nicht verlassen. “Sollen wir noch ein Kaffee trinken? Oder ein Kakao wäre doch toll!”, sagt Michi. Kyra nickt begeistert und wir bestellen uns zwei Cola Cao. Erneut bekommen wir einen Minikuchen dazu. Wir bedanken uns freundlich und genießen unser Getränk. Dabei beobachten wir draußen die Bauarbeiten bei der Baumpflege und schauen uns die kommenden Höhenmeter an. Dann wird es Zeit zu gehen. Im der Zwischenzeit hat es leicht geregnet, doch nun wieder aufgehört. Wir fahren jedoch keine 10 m, da beginnt der Regen erneut. Schnell ziehen wir uns Regenjacke und-Hose an. Es ist das erste Mal, dass Kyra mit Pulli und zwei Jacken fährt. Doch lieber Schwitzen als frieren, denken wir uns heute. Wahrscheinlich wünscht man sich immer das Gegenteil von dem, was man bekommt. Nun geht es zunächst bergauf, doch die Steigungen sind in Ordnung und werden immer wieder durch kurze flache Etappen unterbrochen. Einige kleine Orte liegen am Rande der Straße, doch wesentlich mehr Wald umgibt uns. In einem Ort dehen wir ein kleines Bäumchen im Garten stehen. “Das sind Kakis!”, frohlockt Kyra. “Na klar…”, sagt Michi ungläubig. Wir drehen und tatsächlich sind es Kakis. Für uns im Dezember ein Highlight, hier normal. Es geht wieder hinein in den Wald. Insbesondere Eukalyptusbäume ragen in die Höhe und lassen die Umgebung irgendwie tropisch aussehen mit dem Nebel dazwischen. Dann haben wir es geschafft und es geht nach der Überquerung der Autobahn, die in Richtung Santiago führt, wieder bergab. Weitere 10 km dürfen wir genießen. Doch nach wenigen bleiben wir bereits stehen, da Michi ein überdachtes Bus-Häuschen sieht. Kyra denkt schon, wir wären falsch und müssten alles wieder hoch, doch die Frühstückspause gegen 12:30 Uhr kommt wie gerufen. Wir packen unsere Tassen aus und essen Müsli sowie Cornflakes. Es sieht weiterhin aus, wie im Regenwald, doch wir haben nur den Regen und 9 °C. Eindeutig keine tropischen Bedingungen. Dafür allerdings auch keine wirklich gefährlichen Tiere. So machen wir uns gestärkt auf.
Der Wind pfeift um die Ohren und Michi winkt mit einem “Buenos días” auf den Lippen einem alten Bauern. Dieser erwidert freudig auf einen Schaufel gestützt den Gruß. Schon sind wir vorbei. Wir folgen einem rauschenden Bächlein gen Süden. In Padrón treffen wir auf den Camino Portugués. Das Städtchen sieht nett aus. Plötzlich hängt ein Orangenbaum seine Früchte auf die Straße. Ein paar liegen am Straßenrand. Kyra entdeckt eine unbeschadete zwischen den fauligen und zermatschten, hebt sie auf und packt sie ein. Durch enge Gassen gelangen wir zur Ponte de Santiago über den Fluss Sar, dem wir entlang einer Promenade mit Parkbänken und Bäumen folgen. Auf dem Weg hinaus treffen wir gleich zwei Pilger. “Buen Camino!” rufen wir uns zu. Irgendwie hat es etwas. Es schafft ein Gefühl von Gemeinschaft unter Fremden. “Schau da!”, ruft Michi Kyra zu. Es ist ein wirklich prächtiger Orangenbaum, der ihn in solche Verzückung bringt. Satte, reife Früchte hängen an ihm. Daneben finden sich ein Mandarinen und ein Zitronenbaum. Ebenso reich bestückt. Wie schön es doch ist, derart kräftig frische Farben im tristen Herbstgrau zu erblicken. Ein paar Meter weiter treffen wir auf die nächsten Pilger. Wir überqueren den Fluss Ulla und folgen der Bundesstraße und dem Camino abwechselnd. Nach einer flachen passage durcj die Städtchen geht es nun erneut einen Hügel hinauf. Die Autos brausen vorbei und wir sind froh, dass wir einen kleinen Seitenstreifen haben. Dann geht es zurück auf den gescheiterten Camino und unter Weinreben hindurch. Im Spätsommer gewiss ein Traum. Immer wieder sehen wir auch große Steinkreuze am Wegesrand. Manche alt, einfach und verwittert, andere erstaunlich detailreich und sehr gut erhalten. Ein paar mal müssen wir durch Wasser queren. Zum Glück geht alles gut. Michi hat noch seinen Spaß mit neugierigen Kühen, die sich interessiert auf ihn und Elias zubewegen. Doch immer wenn er ebenso einen Schritt auf sie zugeht, rennen sie erschrocken davon. Kyra unterhält sich indessen mit einem anderen Pilger. Dann geht es weiter durch kleine Örtchen und an Flüsschen entlang. So langsam müssen wir einen Schlafplatz finden. “Zu einsehbar”, “Zu nass”, “zu… ne, der geht gar nicht”, sagen wir abwechselnd. Michs Schwester ruft noch an und so telefoniert er ein wenig. Bis wir die letzte Chance vor dem Ende des Waldes erblicken. An einem Bächlein, zwischen Bäumen, der Boden ist erdig, leicht matschig, aber kein Sumpf. Es gab sicherlich bereits bessere Plätze, aber er ist OK. Schnell ist das nasse Zelt aufgebaut. Da es beständig weiter regnet, zieht Michi einen kleinen Wasserablauf-Graben. Mountainbiker fahren vorne am Weg vorbei. Nur einer von den etwa 20 Personen blickt kurz zu uns rüber oder vielleicht auch nur zum Hintermann. Perfekt! Wir huschen ins Zelt, kochen Spaghetti exakt so, wie wir sie am Tag zuvor gekocht haben, mit Olivenöl, passierten Tomaten, Kräutern der Provence, Salz und Pfeffer sowie etwas scharfer Paprika. Es schmeckt erneut köstlich. Wir putzen Zähne, lauschen dem plätschernden Bächlein und einer jagenden Eule, deren Rufe durch den Wald hallen. Einzig die Autobahn und das rattern der Güterzüge durchbricht die Idylle. Wir schreiben Blog und schlafen ein. Gute Nacht!