Tag 184 - Ein halbes Jahr radeln
Von Fisterra nach Agra de Ventura
“Wie spät ist es?”, fragt Kyra verschlafen. “Fast acht”, antwortet Michi. Kurz darauf klappt er den Laptop auf und beginnt den Blogeintrag zu Ende zu schreiben. “Was willst du heute morgen noch alles machen?”, fragt Kyra noch immer müde. “Ich weiß nicht… Blog… das Newsletter-Problem… in die Badewanne… den Footer und Header”, kommt prompt seine etwas genervte Antwort. “Wir müssen priorisieren und ich will nicht erst um 12 Uhr hier raus”, erwidert Kyra. Wir einigen uns darauf, dass Blog und Sachen packen an erster Stelle stehen, danach folgt baden/duschen je nach Zeit und dahinter alles, was noch Zeit hat. Im Zweifel wird der Newsletter von der Seite genommen, da das Versenden, wie auch das Anmeldeformular aus heiterem Himmel nicht mehr funktionieren… Also wird fleißig Blog geschrieben, aufgeräumt, parallel die Badewanne eingelassen und so gut es geht entspannt gebadet. Schnell noch die Website. Es ist 10 Uhr und wir klappen den Laptop halbwegs zufrieden zu. Das Anmeldeformular geht und wir sollten wieder E-Mails versenden können. Schnell werden die Drahtesel aus der Garage geholt und die Schlüssel abgegeben. Es ist etwa 10:30 Uhr und wir rollen los. Zunächst geht es noch zum Supermarkt, dann gibt’s Kuchen-Frühstück mit einem traumhaften Ausblick über die sonnenbeschienene Bucht. Denn heute ist für uns ein besonderer Tag. Einerseits verlassen wir Fisterra und brechen auf Richtung Portugal. Andererseits sind wir am 02.06.2024 von Emden gestartet und heute ist der 02.12.2024. Oh und gestern war der 1. Advent. Somit haben wir genügend Gründe für ein Kuchenfrühstück. Schnell machen wir noch von einer Pilgergruppe, die gerade ankommt, ein Gruppenfoto und dann holen wir unseren Kuchen heraus. Es ist nicht irgendein Kuchen, es ist die Tarta de Santiago. Jener Mandelkuchen mit dem Jakobskreuz, der für die Region typisch ist. Es gibt auch eine Tarta de Finisterre, aber wir haben es bei dem Kuchen aus dem Laden in Santiago de Compostela belassen. Das ist auch gut so, denn er ist sehr lecker, aber durch die Mandeln und den Zucker sehr gehaltvoll. Genau das Richtige für einen Radtag. Wir trocknen noch ein wenig unsere Sachen und lassen den Blick über die idyllische Bucht schweifen. Dann ist der Kuchen alle und wir müssen so langsam los. Also schwingen wir uns in den Sattel und radeln die Bundesstraße entlang.
Die vor zwei Tagen noch graue und tosenden Küste liegt nun friedlich, wie gemalt zu unseren Füßen. Wir erblicken sogar den Leuchtturm des Kaps, als wir uns ein letztes Mal umschauen. Dann geht es wieder Hügel auf und ab, doch diesmal auf festem Untergrund. Schnell ist Cee erreicht. Die Stadt wirkt im Sonnenschein tatsächlich etwas freundlicher, aber dennoch bleibt sie etwas in die Jahre gekommen. Im Park hinter der Promenade finden wir Wasserspender. Voller Vorfreude tauschen wir unser zwei Tage altes Wasser gegen das kühle, frische aus Cee. Vorm Losfahren nimmt Michi einen Schluck oder eher einen Mund voll, da er es umgehend ausspuckt. “Bahhh! Igitt! Das ist ja widerlich!”, würgt er hervor. Kyra probiert ungläubig aus ihrer eigenen Flasche. Es schmeckt modrig, abgestanden und absolut nicht genießbar. Also kippen wir alle Flaschen wieder aus. “Ausgerechnet vor dem Berg”, schimpft Kyra. Doch wir sind selbst schuld. Wir haben gierig alles getauscht, ohne zuvor die Qualität zu testen. Eines ist sicher: Das passiert uns so schnell nicht mehr! Immerhin sind wir für die kommenden Anstiege nun leichter. Wir kämpfen uns aus dem Ort hinaus in die Hügel. Ein Hund sprintet kläffend aus einer Seitenstraße auf Michi und Elias zu und versucht sie zu stellen. Nach einer kurzen Hatz schnappt er gegen den Metallbecher und lässt prompt von beiden ab. Kyra und Emil ignoriert er völlig und läuft schwanzwedelnd die Straße zurück. “Komisch, aber Hauptsache er ist weg!”, denken wir uns beide. Dann geht es eine gefühlte Ewigkeit die Straße entlang und weiter hinauf. Über bekannte Pfade gelangen wir hoch über den Fluss. Vor zwei Tagen jagten Wolkenfetzen an uns vorbei und heute scheint die Sonne, der Wind wiegt sanft im Rücken und wir sehen uns bestätigt. Der Fluss und die Landschaft sah bereits bei schlechtem Wetter gut aus, doch jetzt… einfach nur WOW! In Olveiroa kehren wir erneut in dem netten Lokal ein. Die Bardame erinnert sich grüßend an uns und wir bestellen erneut einen Espresso und Café con leche. Irgendeine Feier muss hier an diesem Montag stattgefunden haben. Es ist gerade mal 14 Uhr und die gesamte Theke steht voller Wein-, Schnaps- und Biergläser. Das Lokal ist auch noch gut gefüllt und Handwerker machen Mittag, Familien sitzen zusammen und ein paar alte Herren lachen bei einer Tasse Kaffee. Wir dürfen unsere Wasserflaschen ausspülen und neu befüllen. Klasse!
Wir zahlen und treffen beim Verlassen auf einen Pilger. Hans ist am Nordkap zu Fuß gestartet, vor 18 Monaten. Morgen ist sein großer Tag am Kap von Finisterre. Wir sind wahrlich beeindruckt. Er ist alles gelaufen, von Norwegen bis in die Türkei durch den Balkan und nun hierher nach Spanien. Zur Anerkennung geben wir ihm zwei Ostfriesentee Teebeutel. Er kann es noch nicht ganz fassen, angekommen zu sein. Wir reden kurz und hätten uns noch Stunden austauschen können, aber… “Ich glaube, ich brauche jetzt erst einmal dringend eine Dusche”, sagt Hans glücklich und wir verabschieden uns. Doch sogleich kommen die nächsten Pilger und eine kennen wir sogar noch aus Santiago. Wir unterhalten uns kurz und wünschen ihr alles Gute. Dann rollen wir los. Es ist spannend, in die andere Richtung zu fahren und all die Pilger voller Vorfreude zu sehen und anzufeuern. Allerdings mischt sich auch etwas Wehmut darunter. Bald werden wir nur noch wenige und dann keine Pilger mehr sehen. Dafür vielleicht wieder mehr Radreisende? Wir werden sehen. Eine Kuh schaut uns wie bei der Hinfahrt aus einem Fenster vom Trog her zu. Es sieht einfach irgendwie drollig aus. Wir passieren unseren alten Schlafplatz und entscheiden uns, den Hügel noch bis zum Ende hochzufahren. Wir finden erhöht über der Straße eine Wiese . Schnell ist das Zelt aufgebaut und nach anfänglichen Schwierigkeiten ist auch der Drache wieder gezähmt. Endlich gibt es Spaghetti mit Tomatensoße und Thunfisch. Satt und zufrieden erinnern wir uns an die Erlebnisse der letzten Wochen, schreiben Blog und putzen Zähne. Nach einem letzten Mal Pippi machen unter einem grandiosen Sternenhimmel huschen wir zurück ins wärmere Zelt. Gute Nacht!