Tag 42 - Auf und ab (13.07.2024)

Von Innerleithen nach Edinburgh

Es nieselt… Wir drehen uns nochmal um, und nochmal, und nur noch einmal. Dann öffnet Michi das Zelt in das kalte Nass des schottischen Sommers. “Beautiful morning, isn’t it?”, fragt der Sohn des älteren Herren. Er ist geschätzt Mitte 50 und grinst über beide Ohren. Michi bejaht es mit einem ebenso breiten Grinsen und einer schweifenden Bewegung über die mit Regenwolken verhangenen Berge oder sind es noch Hügel? Man spricht über das Wetter, die schöne Landschaft, Midges, Edinburgh… Edinbara.. Eddinborro, Edinburgh… Alles richtig und alles falsch. Athen des Nordens, wie Theodor Fontane es nannte. Dieses Wochenende ist ein großes Fest in der Stadt und er ist diesem entflohen. “Not that many real Scots are there. You’ve been to Kelso? There they are. Beautiful, scott’s view… You’ve been there?” Im schönen Kelso waren wir, aber den schönen Ausblick haben wir nicht erblickt. Auch heute sieht es nach wenig Ausblick und dennoch einigen Höhenmetern aus. “You need to stop at the top. You can see Edinburgh, the coast and… it’s just gorgeous!”, ergänzt er mit einem Strahlen und Stolz in den Augen. Wir werden sehen. Dann testet Michi den Bach, seine eigentliche Mission, für die außerzeltische Expedition. Kalt… sehr kalt, aber nötig und machbar. Nicht kälter als der Regen. Wir schnappen unsere Handtücher etwas biologisch abbaubare Seife und eine Menge Mut. Michi macht den Anfang, doch Kyra wagt sich als erstes in die Mitte des Bachs. Wie eine Eiskönigin steht sie triumphierend in dem kalten Bach und wäscht sich. “Wie machst du das?”, fragt Michi ungläubig. “Meine Füße brennen!”, ergänzt er. Die beiden Schotten schauen zunächst ungläubig und dann gönnen sie uns die nötige Privatsphäre zum Waschen, indem sie sich der leeren Batterie des Campers zuwenden. Kyra ist fertig und Michi wagt sich von den wackeligen Steinen im Wasser in dieses. Schnell sind die Haare, das Gesicht… der ganze Körper gewaschen und raus. Bibbernd, aber hellwach stehen wir vor dem Zelt und trocknen uns ab. Das pure Leben strömt durch unsere Adern und alle Sinne sind geschärft. Noch einmal zurück ins Zelt. Frühstücken, restliche Morgenhygiene und zack ist es 15:30 Uhr. Das Zelt ist abgebaut und der Regen verschont uns, sodass wir noch je zwei Brötchen für den bevorstehenden Anstieg verspeisen. Der Rauch eines Feuers am Berg zieht über den Hang. Schwalben jagen Insekten. “Hoffentlich Midges!”, denken wir uns. Dann falten wir das Tarp zusammen. Die Esel werden abschließend gesattelt und es geht los.

13 km aufwärts. Hinein in die Wolken und Richtung Edinburgh. “Genau so habe ich mir das vorgestellt.”,ruft Kyra und Michi bejaht. Ein bisschen wurde es ja auch so erwartet. Mehr Sonne wäre schön, aber irgendwie hat das Wetter auch seinen Charme. Dichte Wolken hängen über Schafweiden und Heidelandschaften, über Steinmauern und Bächen, Schafe blöken und Austernfischer rufen? Ja richtig, der Küstenvogel mit seinem markanten langen, roten Schnabel begleitet uns immer wieder. So auch hier in den Hügeln Schottlands. Mit angenehmen 4-6 % geht es, im immergleichen Tritt, hinauf. Alte Häuser stehen hier und da an der Straße. Der Regen nimmt zu. Ein Rennradler winkt uns zu. Dann wird es flacher und der erste Hügel ist geschafft. Ein paar Windräder drehen sich in den Wolken. Rasant geht es für uns wieder hinab. Der Fahrtwind ist eiskalt. An einer Brücke entscheidet sich Kyra für die Regenhose. Michi bleibt in kurzer Hose, die ohnehin bereits nass ist. Der nächste Hügel wird im sanften Anstieg durch ein natürliches Tal erklommen. Nun säumt ausschließlich Heide den Weg. In voller Blüte muss dies atemberaubend sein. Jäh erreichen wir den höchsten Punkt und dann erblicken… Wolken. Alles in der Ferne ist in flauschiges grau-weiß gehüllt. Wir überlegen, wo wir die Nacht verbringen wollen. Wir entscheiden uns für einen Campingplatz in der Nähe von Edinburgh. Hotels sind zu teuer, schöne Gärten sind nicht in Sicht und Wildcampen in der Stadt… lieber nicht. Voller Vorfreude stürzen wir uns hinab. Die saftig grünen Weiden rauschen an uns vorbei, sodass die grasenden Schafe nur verdutzt aufblicken, als wir bereits vorbei sind. Durchgefroren, aber glücklich biegen wir in eine Nebenstraße ein und finden uns im gewohnten Auf und Ab zwischen kleinen Hügeln wieder. Doch die Steigungen sind allesamt machbar. Durch verschlafene Dörfer und über volle Bundesstraßen hinweg geht es immer weiter unserem Ziel entgegen. Dann stoppt uns einmal mehr eine mobile Ampel. Mal wieder braucht es etwas, bis uns diese als Verkehrsteilnehmer wahrnimmt. Dann noch etwas, bis sie umschaltet. Weiter geht’s!

Schon stehen wir am Ortsschild von Edinburgh und kurz darauf durchnässt und müde nach nicht einmal 50 km an der Rezeption des Campingplatzes. Die Personen aus den deutschen Campern, die uns kurz vor der Einfahrt noch überholt haben, stehen ebenso noch in dieser. Eigentlich hat sie bereits geschlossen, aber aufgrund des Andrangs vermuten wir, dass sich das Personal noch etwas erbarmt. “How can I help you?”,fragt der junge Mann freundlich. “We need a place to pitch our tent for one… maybe two nights.”,sagt Michi. “Yeah, well I can make it cheaper for you. Still expensive in my opinion but…”, erwidert der junge Mann etwas zögerlich. Wir haben 48 Pfund bei der Buchung im Internet für zwei Nächte gesehen. Hier wäre die Nacht nun regulär bei 35 Pfund… Wegen der Saison… Aber da wir mit “push-bikes” unterwegs sind, bucht uns auf den 1-Personen-Zeltplatz – für 46 Pfund und zwei Nächte, sagt er. Das Kartenlesegerät verlangt die Karte ohne Betrag. Was bleibt uns über. Piep! “Anything else?”, fragt er und wünscht uns einen schönen Abend. Die Fahrräder können wir heute leider nicht wegsperren, aber morgen früh. Es gibt jedoch Fahrradständer und daran sollen wir sie festmachen.

Auf unserem Weg zum Stellplatz fallen Michi immer wieder Schilder auf. Bei genauerem Betrachten wird auf diesen vor einer Bande Fahrrad- und Motorraddiebe gewarnt, die in der Gegend aktiv sei. Man solle auf alle Fälle sein Gefährt anschließen und ein Lenkradschloss beim Motorrad oder das Rahmenschloss des Fahrrads genügen nicht. Da freut man sich doch über das etwa 3 kg Zusatzgewicht an Schlössern unterschiedlicher Bauart, das wir fleißig mit uns führen. Da die Radständer zu weit entfernt sind, erwählen wir eine massive Picknickgarnitur als unseren festen Gegenstand. Die Esel werden mit den verschiedenen Schlössern angeschlossen und zu guter Letzt das Zelt zusätzlich an Emil befestigt. Wach werden wir somit bestimmt, sobald sich jemand an den Eseln zu schaffen macht. Wir kommen mit einem Interessierten der deutschen Campervans noch gut ins Gespräch, bis seine Freunde ihn anrufen. Er wollte eigentlich nur eine Reibe holen und ist dann bei uns hängengeblieben. Wir verabschieden uns und vertagen das Gespräch auf morgen. Wir essen noch etwas in der Camper-Küche auf dem Campingplatz und quatschen mit einem niederländischen Ehepaar. Wir verstehen uns prächtig und die Zeit vergeht wie im Flug. Auf einmal ist es 23 Uhr. Wir wünschen eine gute Nacht. Gehen noch heiß duschen und fallen todmüde ins Bett.