Tag 168 - Utreia et Suseia (16.11.2024)

Von Grañón nach Cruz de Atapuerca

Wir erwachen im Kirchturm am Morgen als die Glocken der Kirche schlagen. Das Feuer im Kamin geht an und die Hospitaleros bereiten das Frühstück vor. Erste Pilger gehen bereits auf Toilette und legen sich anschließend nochmal für ein paar Minuten hin. Um kurz vor 7 Uhr wird leise Musik abgespielt und jemand macht das Licht an. Es ist Zeit fürs Frühstück. Wir setzen uns neben Marie aus Frankreich. Bo und Taylor von gestern sitzen und gegenüber. Der Tisch ist reich gedeckt mit getosteten Baguette, Marmelade, Schokoaufstrich, kleinen Muffins, Obst und Kaffee. Wir schenken uns Kaffee ein und beginnen mit Marie ein nettes Gespräch. Sie ist in Frankreich den Camino gestartet und das ebenfalls mit dem Zelt. Bis Saint Jean Pied de Port war sie zu zweit unterwegs, nun fragt sie immer bei Personen ob sie im Garten schlafen darf oder beim Bauern, da sie sich so sicherer fühlt. Die letzten zwei Nächte war sie jedoch, wie wir, in Herbergen. Sie hat es sehr genossen, vermisst nun jedoch ihr Zelt. Wir alle haben guten Appetit und essen alle Brote auf. Dann wird es Zeit aufzubrechen. Rucksäcke werden gepackt, Zähne geputzt und Schuhe angezogen. Wir verabschieden uns mit Umarmungen. Der Wechsel der Hospitaleros steht an, was insbesondere Telly aus Kanada, sehr trifft. Für sie ist die Herberge ein Herzensort und sie muss weinen, als sie sich verabschiedet. Auf der einen Seite will sie gerne bleiben, auf der anderen Seite freut sie sich sehr ihre 3 Enkelkinder wiederzusehen. Carlos begleitet sie noch zur Bushaltestelle, als wir erneut als letzte Pilger unseren Weg für heute beginnen. Innerhalb von Minuten haben wir die anderen alle eingeholt, da es bergab geht. Bei Bo halten wir kurz an und fahren neben ihm her. Er erzählt uns, dass er erst auch überlegt hatte mit dem Fahrrad zu fahren, doch er hatte Angst, dass er dann abbrechen müsse, da er dadurch zu viel alleine wäre. Nun ist er stolz auf sich, dass es so gut zu Fuß klappt. Wir reden noch eine Weile über verschiedene Dinge, bis wir uns trennen und vorfahren. Manchmal ist es komisch so nette Begegnungen zu haben und ohne Kontaktaustausch weiterzufahren. Aber dies gehört ein Stück zum Camino dazu und macht die Erfahrung so besonders. Als wir Taylor erreichen bleiben wir nochmal kurz stehen und fragen ihn, ob er uns das Foto von gestern schicken kann, da wor beim Abspülen kein Handy dabei hatten. Er macht es und wir verabschieden uns. Es ist erneut sehr neblig und nur in der Ferne am Horizont scheint der Himmel aufzuziehen. Wir fahren jedoch in die falsche Richtung. Der Nebel lässt nicht nach. Es geht immer wieder leicht rauf und runter, bis wir in Belorado ankommen und Michi nach einer Pause verlangt. Er hat beim Frühstück nicht so viel gegessen und ist nun bereits richtig hungrig. Wir setzen uns am Anfang der Stadt auf eine Bank und essen Müsli. Anschließend naschen wir noch Baguette mit Wurst. Am Brunnen füllen wir unsere Trinkflaschen auf und schon geht es weiter. Doch wir kommen nicht weit, denn in Espinosa del Camino fahren wir an der Herberge La Taberna de Espinosa vorbei. Die Herberge hat bereits zum Mittagessen und für Kaffee geöffnet. Der Geruch nach frischem Kaffee und Kuchen zieht uns so an, dass wir uns spontan noch für eine zweite Pause entscheiden. Zudem ist der Gedanke für uns irgendwie nett, dass die Pilger als der letzten Nacht bis hierher heute laufen wollen. Wir hatten mitbekommen, dass die Herberge für einige das nächste Ziel darstellt. Schon als wir eintreten werden wir nett begrüßt und Kyra bestellt einen Espresso sowie einen Milchkaffee. Michi betritt kurze Zeit später die Herberge und ist sogleich vom Kuchen begeistert. Er bestellt 2 Stücke. Der Inhaber muss lachen und meint: “For the coffee no sugar, but the cake!” Dann gibt er uns zu verstehen, dass wir uns setzen sollen und er uns gleich den Kuchen bringt. Wir setzen uns und fühlen uns irgendwie sehr wohl. Der Kaffee schmeckt gut und als der Kuchen kommt sind wir begeistert. Dieser schmeckt fantastisch! Und da es eine weitere Sorte Kuchen gibt, bekommen wir jeder ein weiteres Stück aufs Haus. Wie nett! Als wir fertig sind, sind wir mehr als voll und glücklich. Wir gehen zurück an den Tresen und wollen bezahlen, da spricht uns eine Frau an. Lilli kommt aus Frankreich und hat vor kurzem ein Haus fast nebenan gekauft, welches sie nun zu einer Herberge auf Spendenbasis ausbaut. Sie ist begeistert von unserer Tour und weiterem Vorhaben, da sie selbst bereits sehr viel gereist ist. Alleine als Frau ging es für sie zu Fuß von Jerusalem in Richtung Norden. Zudem ist sie viele Kilometer durch die Türkei und Griechenland gereist. Den Jakobsweg ist sie natürlich auch schon gelaufen. Wahnsinn! Als wir gerade bezahlen möchten, ist Lilli schneller und zahlt für uns. Sie meint, es wäre ihr eine Ehre und ist glücklich. Wir stahlen sie an. Dann bekommen wir noch einen Stempel in unseren Pilgerausweis. Die Inhaberin ist genauso lieb wie ihr Mann und malt uns neben den Stempelabdruck einen Smiley, Herzen und Wolken für das heutige Wetter. Lilli übersetzt ihr, einer Frau und einem Mann, der immer wieder auf dem Camino unterwegs ist und sich nun hier ein Haus gekauft hat, was wir machen. Alle sind unglaublich nett, herzlich und begeistert. Wir gehen raus und reden dort weiter, denn wir haben Lilli gefragt, ob sie Emil und Elias mit der spanischen Flagge bekleben möchte. Trotzdem sie gebürtig aus Frankreich kommt, macht sie das natürlich gerne. Dabei gibt sie sich größte Mühe, dass die Abstände der Flaggen passen. Anschließend redet Michi mit dem Mann namens Miquel weiter und Kyra folgt Lilli in die Baustelle des Hauses. Im Eingangsbereich kommt ein Wohnzimmer hin und dahinter eine Küche. Unten soll zudem ein Raum für die Wäsche und Schuhe der Pilger entstehen und oben befinden sich später die Betten. Sie lacht und sagt, dass sie als ebenfalls Pilgerin und viel Wanderin genau weiß, was man am Abend benötigt. Sie hat recht. Trockene Kleidung, ein warmes Bett und eine warme Dusche sind gold wert. Doch leider bekommt sie für die Renovierung des Hauses kaum Personal. Die Baustelle läuft nur schleppend und ihr Plan über den Winter auf zu machen, ist schon lange überworfen. Hoffentlich klappt es im Frühjahr. Als wir vier wieder draußen vereint sind, erzählen wir von unserem Plan, den Jakobsweg irgendwann zu Fuß zu laufen. Lilli heißt uns bereits jetzt in ihrer dann hoffentlich fertigen Herberge herzlich willkommen. Mittlerweile sind fast zwei Stunden vergangen und wir werden gefragt, ob wir nicht hier bleiben möchten, doch… Wir haben das innere Gefühl noch weiter zu wollen. Auch als Lilli erzählt, dass in 4 km ein steiler Berg kommt, lässt uns das Gefühl nicht los. Wir verabschieden uns von den herzlichen Menschen, schwingen uns auf die Drahtesel und fahren los.

Nach vier Kilometern folgt die Stadt Villafranca Montes de Oca und tatsächlich geht es steil bergauf. Zunächst asphaltiert, dann Schotter und schließlich loser Stein. Wir müssen schieben, doch zum GLück nicht lang. Nach einigen Metern können wir mit viel Kraft weiterfahren. Dann geht es plötzlich steil bergab, über eine kleine Brücke und erneut steil nach oben. So steil auf losem Stein, dass wir erneut schieben. Dabei weisen Schilder am Wegesrand auf Wildschweine hin. Kyra sieht hinter sich etwas schwarzes und erschreckt kurz, doch dann wird auf den zweiten Blick klar, dass es sich um einen Hund handelt. Dieser hat zum Glück ein Halsband an und scheint somit kein Straßenhund zu sein. Der Hund beachtet uns auch kaum und kurze Zeit später ist klar, dass Jäger unterwegs sind. Die Jäger geben uns zu verstehen, dass wir es geschafft haben und ganz oben angekommen sind. Von nun an geht es bergab. Wir jubeln und fahren weiter. Zum Glück geht der Weg nur langsam hinunter, wodurch wir die Abfahrt genießen können. Nach wenigen Kilometern sehen wir Pilger den Berg hinab laufen. Wir wünschen im vorbeifahren “Buen Camino”. Dann taucht vor uns im Tal die Stadt Ages auf. Der Ausblick ist fantastisch und wir genießen auf einer Bank den Rest des Baguettes und der Salami. Dann düsen wir weiter hinunter, überholen eine italienische Pilgergruppe und fahren an Atapuerca vorbei, wo einige Pilger heute Nacht anscheinend bleiben.

Unerwartet geht es erneut bergauf und auch diese Auffahrt hat es in sich. Der Untergrund ist nicht nur lose, sondern besteht zum Großteil aus blankem Stein. Es ist für uns mehrmals kaum möglich zu fahren und so müssen wir einen Großteil schieben. Der steinige Weg führt an einem Militärgelände vorbei und nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir endlich oben angelangt. Auch wenn der Nebel dicht ist, fühlt sich der Ort toll an. Vereinzelt stehen Eicheln und wir entscheiden uns spontan in deren Windschatten das Zelt auf zu schlagen. Heute Nacht soll der Himmel aufziehen und das Wetter wunderschön werden. Schnell ist das Zelt errichtet und liegen wir im inneren. Wir kochen Nudeln mit Tomatensoße und als wir gerade mit dem Essen fertig sind, hören wir etwas neben dem Zelt knistern. Als Kyra hinaus blick, sieht sie noch so gerade eine Maus davon hüpfen. Schnell verstauen wir alle Lebensmittel und den Kocher sicher. Trotzdem haben wir etwas Angst, dass sich eine Maus ins Zelt hinein beißt, doch die Sorge ist grundlos. Nach einem weiteren kurzem Rascheln, ist es still und wir hören nur noch in der Ferne Hunde bellen. Kommt das bellen die ganze Zeit aus der gleichen Richtung? War es nicht vorhin noch rechts? Gibt es in Spanien eigentlich Straßenhunde? Wir haben ja erst gestern einen gesehen… Die Fragen können wir nur noch zum Teil beantworten und mit einem etwas unwohlen Gefühl schlafen wir schließlich ein. Doch es bleibt ruhig um uns. Gute Nacht.