Tag 177 - Drahtesel schieben (25.11.2024)
Von Portomarín nach Ribadiso
Das Schnarchen hallt laut durch den ganzen Raum und Kyra bekommt kein Auge zu. Es ist 5 Uhr morgens und eigentlich noch Zeit. Nach einem Toilettengang stellt Kyra fest, dass auch Rick aus Kanada anscheinend nicht schlafen kann. Sein Handy leuchtet in seinen Händen. Irgendwann fallen Kyra dann doch wieder die Augen zu und als gegen 7 Uhr der Schlafsaal erwacht, ist sie besonders müde. Es nützt nichts, wir müssen aufstehen. Also packen wir den Schlafsack zusammen und frühstücken in der Küche. Als wir fertig sind kommt Rick hinzu und erzählt uns, dass es draußen regnet. Was für ein Start in den Tag. Erst Schnarchen und nun Regen. Doch es hilft alles nichts, wir holen die Drahtesel und bepacken diese. In der Zwischenzeit sind alle gegangen und auch Rick macht sich nun auf den Weg. Wir verabschieden uns und rollen einige Minuten später ebenfalls los. Die Route beginnt steil, doch mit viel Kraft im stehen, schaffen wir es aus Portomarín heraus. Zunächst geht es für 10 km einen Hügel hinauf. Auf dem Weg überholen wir einige andere Pilger. So viele haben wir an noch einem Morgen gesehen. Alle Pilger sind zum Nachweis aufgefordert sich auf den letzten 100 km zwei Stempel am Tag zu sammeln. Radpilger müssen auf den letzten 200 km zwei Stempel pro Tag sammeln. Das ist auch jetzt in der Nebensaison gut machbar. Wir haben die eine Seite unseres Pilgerausweis fast voll. Es sind für heute und morgen noch 5 Plätze frei. Auf dem Weg weiter nach Fisterre nach Santiago, möchten wir die andere Seite nutzen. Als wir oben auf dem Hügel ankommen, kommt die Sonne langsam zwischen den Wolken hervor. Wir strecken die Arme in die Luft und drehen uns im Richtung Sonne. Wie gut das tut! Auch wenn es bereits Ende November ist, hat die Sonne in Spanien noch ordentlich Kraft. Vor uns sehen wir eine Herberge mit Café. Wir halten, trinken einen Kaffee und holen uns den ersten Stempel des Tages ab. Dann geht es auch schon weiter.
Wir genießen die Abfahrt und haben ein breites Lächeln auf dem Gesicht, da wir wissen, dass es unsere letzte längere Auffahrt vor Santiago war. Es folgen noch einige kleine auf und ab. In Palas de Rei gehen wir einkaufen und fahren mit gefüllten Taschen weiter. Ein schöner Platz zum Pausemachen finden wir zunächst nicht. Die wenigen Sonnenstrahlen, die heute durch die vereinzelten Regenwolken brechen, möchten wir gerne nutzen und nicht im Schatten sitzen. Nach einigen weiteren Metern auf dem Camino frances finden wir dann schließlich eine Bank. Unweit von uns ist ein Café, welches gerade schließt. Der dazu gehörige kleine Hund scheint jedoch großes Interesse an unserem Gerüchen zu haben. Langsam und etwas unsicher kommt er immer näher. Dann stoppt er kurz und kommt erneut näher. Etwas misstrauisch guckt er uns an und sucht den Boden mach Krümmeln ab. Schließlich fasst er vertrauen und schnuppert alles ab. Der Inhaber kommt vorbei und der kleine Hund lehnt sich, als würde er zu uns gehören, an Michis Beine und versteckt sich leicht unter ihm. Doch sein Herrchen ist schnell und holt ihn zu sich. “Hatte der Angst vor ihm? Hoffentlich ist er nett” überlegt Kyra laut. Dann machen wir uns wieder auf den Weg. Nach der Stadt Melide fängt es an zu regnen und wir stellen uns kurz unter. Dabei läuft ein Pilger an uns vorbei. Dem wir vergeblich einen Keks anbieten. Es schüttet plötzlich für einige Minuten wie aus Kübeln, doch der Regenguss ist schnell vorbei. Wir fahren weiter und holen den Pilger von soeben schnell ein. Doch wor werden erneut gestoppt. Vor uns ist einer kleiner Bach jnd es führt nur eine kleine Brücke aus großen schmalen Steinen hinüber. An Fahren ist gar nicht zu denken. Wir lassen zunächst den Pilger passieren, welcher uns wieder eingeholt hat. Dann schiebt zuerst Michi rüber und anschließend schieben wor zusammen Emil. Zum Glück! Die Steine sind so rutschig, dass Kyra mit einem Fuß abrutschen und sich nicht mehr alleine halten kann. Sie klammert sich an Emil, der zum Glück durch Michi stabilisiert wird. Nur wenige Zentimeter vor der Wasseroberfläche stoppt ihr Fuß und kann sicher zurück auf den Stein gesetzt werden. “Danke!”, sagt sie mit pochendem Herzen. “Ich dachte, du fällst rein”, sagt Michi ebenso etwas außer Atem. Wir blicekn in das Wasser neben uns undd es ist tiefer als gedacht. Wäre hier jemand von uns reingefallen, hätte das bestimmt eine lange Zwangspause bedeutet. Zum Glück ist alles gut gegangen. Den direkt anschließenden Hügel schieben wir vor Aufregung noch hoch und setzen uns anschließend wieder auf die Drahtesel. Schnell haben wir den Pilger erneut erreicht. Wir lachen uns zu und beginnen ein Gespräch. Raphael spricht deutsch, da er aus der Schweiz kommt, aber in Deutschland aufgewachsen ist. Er geht nicht zum ersten Mal den Jakobsweg. Beim ersten Mal hat es am Ende so geregnet, dass er die ganze Nacht nach Santiago durchgelaufen ist. Anschließend war er im Hotel direkt neben der Kathedrale, welches ziemlich teuer ist, wie wir später erfahren. Wir tauschen uns aus und bei der Gelegenheit machen wir etwas, was wir schon länger einmal vorhalten, wir schieben und das für einige Kilometer. Raphael hatte die letzten Jahre und auch jetzt zu Beginn Probleme mit den unteren Schienbeinen. Diese haben ihm beim Wandern geschmerzt. Zufrieden erzählt er uns, dass er nun endlich schmerzfrei gehen kann, da ihm erzählt wurde, dass er seine Zehen beim Wandern hochgezogen hat, weshalb auch seine Schuhe vorne kaputt gingen. Nun hat er geübt die Zehen nicht hochzuziehen und ist endlich schmerzfrei. Wir freuen uns mit ihm. Plötzlich ragt ein steiler Hügel vor uns empor und Raphael hilft uns beim Schieben. Zwischendurch regnet es immer wieder und ganz kurz Graupelt es sogar. Doch kalt ist es nicht wirklich. Wir haben zwar nicht mehr die 21 °C von gestern, aber geschätzte 15 °C bestimmt. Spontan entscheiden wir noch einmal eine Herberge zu nutzen und schieben mit Raphael gemeinsam zu dieser. Das Ribadiso Xunta de Galicia Pilgrims Hostel sieht nett aus und scheint insbesondere im Sommer gut besucht zu sein, denn es ist riesig. Raphael Verabschiedet sich von uns. Seine Beine wollen ihn noch ein bisschen weiter tragen. Wir checken ein und lernen direkt eine weitere deutschsprachige Person kennen. Bea kommt aus Hamburg bzw. Bonn und ist vor einigen Stunden angekommen. Wir unterhalten uns sofort gut. Sie möchte schnell ihren Salat essen und Anschluss mit den anderen in die Bar nebenan gehen. Wir versichern ihr später nachzukommen, doch zunächst möchten wir unser Bett fertig machen und Spaghetti in der Küche kochen. Die Küche der Herberge ist groß und sauber. Wir sind ganz allein und genießen das fließende Wasser aus dem Hahn. Wie einfach Kochen und Abspülen damit ist. Wir lassen uns Zeit und gehen anschließend in die Bar. Dort ist außer den anderen Pilgern nichts los. An einem Tisch sitzt eine große französische Gruppe, an dem anderen sitzt Bea mit weiteren Pilgern. Alle stellen sich vor: Jim aus den USA mit seiner Verlobten aus Kolumbien, Miguel aus Frankreich, Enrico und seine Freundin aus Italien und Patrick aus Kanada. Viele von ihnen haben etwas gegessen und trinken nun ein Wein oder Bier. Wir bestellen uns ebenfalls etwas zum Trinken und werden von Bea noch auf einen kurzen eingeladen. Das Getränk soll es nur hier in der Region geben. Es schmeckt ganz gut und wir teilen es uns. Einige der anderen scheinen derweil schon etwas angeheitert zu sein. Lange bleiben die ersten, die gehen nicht mehr und schnell leert sich die Bar. Da fragt Bea plötzlich einen der anderen: “Are you old or drunken?”. Kurz müssen wir alle lachen, doch die betrunkene Person scheint eindeutig zu viel getrunken zu haben. Bea hilft ihr rüber in den Schlaafsaal zu kommen. Wir begleiten die beiden zur Sicherheit dabei, da das Wanken von rechts nach links bedrohlich gefährlich aussieht. Irgendwie schaffen es die beiden die Stufen runter und in den Schlafsaal zu kommen. Wir alle legen uns ins Bett und versuchen zu schlafen, doch auch Minuten später sind unsere Augen geöffnet, denn wir können nicht schlafen. Der Betrunkene schnarcht laut und schon bald stimmt ein anderer mit ein. Als dieser jedoch wieder verstummt, wird ein weiterer Schnarcher besonders laut. Es ist ein wahrliches Schnarchorchester. Bea neben uns versucht ihren Bettnachbarn noch zum Schweigen zu bringen, doch alle Bemühungen bleiben erfolglos. Zu dem Schnarcht kommen plötzlich von unserer rechten Seite neue Geräusche hinzu. Ein französisches Paar küsst sich und hat sich besonders gern. Wir können es kaum fassen. Sowas will man nun wirklich nicht hören. Auch wenn man nicht gläubig ist, sollte man sich doch auf einer Pilgerreise an die Kultur und Bräuche der Pilger und in diesem Fall katholische Kirche leicht anpassen? Die beiden verstummen wieder und verlassen den Schlafsaal. Von draußen hören wir ein paar der französischen Gruppe, wie sie noch zusammen feiern. Plötzlich plätschert es unweit neben uns auf der linken Seite. Der Bwtrunkene ist erwacht und in seinem betrunkenen Zustand nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen. Alle Bemühungen von Bea und einem weiteren Pilger ihm zu helfen, bleiben ausgeschlagen. Er legt sich wieder ins Bett und schläft in seinen nassen Anziehsachen weiter. Wir vier sind besorgt, aber können nichts machen. An schlafen ist zumindest nicht zu denken. Und wäre es noch nicht genug, kommt das französische Liebespaar zurück und quatscht ohne groß Rücksicht zu nehmen miteinander im Schlafsaal. Dabei kichern sie immer wieder. Wir denken uns nur, wer schnarcht kann nichts dafür, aber dann zu reden und alle weiteren noch mehr zu stören, ist erneut respektlos und unnötig. Wir liegen wach. Lauschen dem Schnarchen und Stimmen der Franzosen. Was würden wir in diesem Moment dafür tun in unserem Zelt im nirgendwo zu liegen und in Ruhe zu schlafen, doch nachdem es aus der einen Ecke erneut plätschert, wollen wir Bea nicht alleine lassen. Etwas später plätschert es ein drittes Mal und Bea scheint es ebenfalls gehört zu haben. Wir bequatschen uns kurz mit ihr und schlagen ihr vor, das Bett zu wechseln. Als das passiert ist, wird es zwar nicht wirklich leiser, doch wir können irgendwann erschöpft einschlafen. Gute Nacht.