Tag 19 - Auf royalen Pfaden (20.06.2024)
Von London nach Bourne End
Gähnend strecken wir uns in unserem wohlig warmen Bett ein letztes Mal. Schon beginnt die Morgenroutine, welche um eine kleine Wäsche-Waschaktion ergänzt wird. Zudem führt unsere Website mal wieder ein Eigenleben. Gestern war alles super, wir haben gut was geschafft und spät abends streikte sie auf einmal. “Das spielt sich wieder ein”, dachten wir… Heute ist klar. Nein! Das tut es nicht. Die Stimmung ist irgendwie etwas angespannt. Michi geht auf Fehlersuche und Kyra fängt an zu packen. Um 10 Uhr muss die Wohnung leer sein. Mit gemeinsamen Kräften schaffen wir es, nur die Website verweigert weiterhin jeglichen Zugang. “Egal”, Tür zu, Esel bepacken und los. Uns graust bereits vor verschlungenen Radwegen, doch… Es läuft fantastisch. Wir sausen über kleine Nebenstraßen, durch Wohngebiete und im fließenden Verkehr der Weltmetropole dahin. Zwei Radreisende überholen uns. “Where are you from?”, fragen sie interessiert. “Northern Germany, a small town called Emden in Lower Saxony.”, antworten wir. Auf die Frage, woher sie stammen, bekommen wir schallendes Gelächter. “Just right about the corner. We’re from London and late to catch our train.”, rufen sie gegen den Verkehrslärm. Wir verabschieden uns und sie rasen vorneweg. An der nächsten Ampel sehen wir uns schon wieder. Dann noch einmal und sie sind im Gewusel des Bahnhofs verschwunden. Noch einmal rollen wir vorbei am London Eye, dem Big Ben mit Westminster Palace und Abbey.
Flix geht es zum Buckingham Palace. Die von Union Jack gesäumte, prächtige Straße wirkt beeindruckend. Langsam rollen wir weiter und erblicken zunächst die großen Tore zum Kreisverkehr um das aufragende Victoria Memorial und dann den Palast. Wir umrunden im strahlenden Sonnenschein diese und lassen den Palast links hinter uns. Sogleich sehen wir den Hyde Park zur Rechten. Passieren das prachtvolle Albert Memorial und sind erstaunt, wie weit wir schon gekommen sind. Nun geht es zurück in den Straßenverkehr. Zumeist haben wir jedoch eine eigene “Cycle Lane”, die wir uns bisweilen mit Bussen teilen. Immer wieder blockieren Baustellen und parkende Autos und Lieferwagen den Weg. Auch Taxen nutzen hin und wieder die “Bus Lane”, um ihre Gäste schnellstmöglich zum Ziel zu bringen. Möööööööp! Ein Bus scheucht ein Taxi zurück in den normalen Verkehr. Wir folgen ihm. Immer wieder entstehen Hup-Konzerte, da jemand über die Straße läuft oder nicht schnell genug losfährt, bzw. eine Ampel oder Einfahrt blockiert. Wir tasten uns weiter vorsichtig vor und analysieren die anderen Verkehrsteilnehmer. Versuchen, uns mit unseren Eseln anzupassen. Doch die Manöver mancher Roller und Fahrräder sind uns dann doch zu wild. Wir machen Platz und sehen ihnen gleichsam fassungslos und fasziniert nach, wie sie zwischen Autos, Bussen und LKW hindurchgleiten ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Wir bewegen uns gewohnt langsam, aber stetig fort. Hinaus aus der nicht enden wollenden Stadt. Die Viertel sind städtisch gepflegt und multi-kulturell. Ganz anders als bei unserer Fahrt nach London. So rollen wir den unzähligen Flugzeugen von London Heathrow entgegen, die in enger Taktung landen und starten. Ein nicht enden wollender Strom glitzernder Aluminium-Fleckchen, die langsam zu Boden gleiten. Dann steuern wir unser nächstes Ziel an.
Windsor Castle. Durch eine unscheinbare Umgebung überqueren wir eine kleine Brücke und finden uns in den umgebenden Parkanlagen wieder. Ein paar Straßen weiter strampeln wir einen kleinen Hügel hinauf zum Schloss. Umgeben von zahllosen Touristen stehen wir vor dem britischen Restaurant “The Ivy” neben einem Souvenirstand. Kyra sucht sich noch eine Toilette und besichtigt noch etwas den berühmten Bahnhof. Als Michi nach einem Aufkleber beim Souvenirladen fragt, verneint der Händler dies. Jedoch zückt er zwei Flaggen und Pins und schenkt uns diese. Er steht an dieser Stelle mit kleinen Unterbrechungen, seit er ein elfjähriger Junge ist. “Just take it! You need money of course, for living, but it’s not everything. I like to give stuff away.”, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Er wirkt so zufrieden. Spricht verschiedene Sprachen und erzählt von einer Schulklasse aus Frankreich. 30 Kinder, ein paar kauften etwas und er schenkte allen eine Flagge. Auch einer Frau schenkte er einen Hut, da sie kein Geld dabei hatte. Ein Jahr später kam eine Familie vorbei und gab ihm 10 Pfund für den Hut der Frau. Wir befestigen unsere Flaggen und Pins. Danken nochmals uns, verabschieden uns. Dann schieben wir uns durch die Massen zum Schloss. Entscheiden uns dagegen dieses zu besichtigen und rollen den Hügel hinab. Unten treffen wir Kasper, einen deutschen Radreisenden, der bereits viel von der Welt auf dem Rad gesehen hat. “Heute mache ich nur noch kurze Reisen von bis zu sechs Wochen. Dann muss ich wieder nach Hause, mich durchchecken lassen. Das Alter…”, erklärt er. Wir tauschen uns etwas aus und er bricht auf der Suche nach einem Café auf. Auch unsere Mägen grummeln so langsam und so rollen wir wieder hinaus aufs Land. Ein letzter grandioser Blick auf das Ensemble aus Türmchen, Zinnen und Zacken.
“Da ist eine Bank”, stellt Michi erleichtert fest. Wir schmeißen unseren kleinen Drachen an. Schnell sind Brotscheiben geröstet und mit Tomate und Mozzarella belegt. Als Nachtisch gibt es Pfannkuchen. Wir genießen die Sonne, das Essen und die Stille. Dann setzen wir uns noch einmal mit dem Support-Center an die Website. Bekommen einige Tipps und glücklicherweise scheint nicht alles verloren zu sein. Wir bedanken uns, packen zusammen und rollen in Richtung unseres heutigen Schlafgärtchens. Ein Englandfan ist sauer und schlägt Pylonen um. “Oh nein, haben sie verloren?” fragt Michi. “Nein, es blieb beim 1:1 Unentschieden gegen Dänemark”, antwortet Kyra. Die restlichen Fans tragen das Remis mit Fassung. Schließlich ist auch noch alles möglich. Die meisten genießen einfach den sonnigen Abend und erfreuen sich an der Natur.
Da ist die Auffahrt, wir parken und klingeln. Barbara begrüßt uns herzlich. Im Garten angelangt, stellt sie uns Sam, ihren Ehemann vor. Ein belgisches Pärchen mit einem Tandem war letzte Nacht hier. “You might know them.”, sagt Barbara. Es ist spannend, wie ähnlich manche Wege verlaufen. Wir kennen die beiden tatsächlich von Tag 16. “Want some water?”, ergänzt Barbara. “…or a beer?”, fügt Sam hinzu. Wir bekommen beides und bedanken uns. Herrlich, diese Gastfreundschaft. Dann isst die Familie und wir bauen unser Zelt auf. Kurz darauf sitzen wir gemeinsam mit Barbara, Sam und Tom am Tisch. Tom, ihr Sohn, hat gerade sein Studium abgeschlossen. Auch der Hund Jim-Bob gesellt sich dazu und wird liebevoll gekrault, als wir von unserem Vorhaben berichten. Barbara und Sam sind ebenfalls weit herumgekommen. Vor etwa 30 Jahren waren sie als Backpacker in der Türkei, Syrien, Pakistan, China… unterwegs. Gespannt lauschen wir der Geschichte. Wir reden noch etwas über Eigenheiten in Ländern und dies und das. Dann gehen wir duschen, machen uns bettfertig und fallen nach einem eindrucksvollen Tag auf die Isomatte. Mit einem leisen “Gute Nacht”, kuscheln wir uns in die Schlafsäcke.