Tag 22 - Urlaubsgefühle (23.06.2024)

Von Everton nach Denver

“Sorry!” sagt die Stimme laut. Kyra antwortet im Halbschlaf ebenfalls mit “Sorry” und fragt einige Minuten später etwas verwirrt: “Habe ich das gerade nur geträumt oder war da jemand?” Michi ist sich auch nicht so sicher, also schließen wir erneut die Augen und versuchen zu schlafen. Doch das gestaltet sich gar nicht so einfach… Eine Zeit lang raschelt eine Maus neben unseren Köpfen außerhalb des Zeltes und wir bekommen Sorge, dass diese sich versucht ins Innenzelt vorzubeißen. Somit ruft Kyra immer wieder: “Nein Maus, verschwinde!” und raschelt am Zelt. Nach einer Ewigkeit hat sie Erfolg und die Maus scheint verschwunden. “Nun muss ich auf Toilette”, meint Kyra. Sie kramt nach dem Klopapier und ist kurze Zeit verschwunden. Als sie wiederkommt, geht schon bald die Sonne auf und erst jetzt schlafen wir beide erholsam ein. Gegen 7:00 Uhr stellen wir fest, dass die Nacht viel zu kurz war. Doch bevor die ersten Spaziergänger*innen kommen, sollten wir mit unserem Zelt verschwunden sein. Also stehen wir auf und führen unsere Morgenroutine zum Zeltabbau durch. Kurz bevor wir das Zelt fertig abgebaut haben, kommt ein Jogger an uns vorbei, doch er nickt nur und sagt freundlich “morning!”. Bereits seit Tagen stellen wir in Gesprächen zum Glück fest, dass viele Engländer*innen mit dem Wildcampen kein Problem haben. Das macht unser Vorhaben natürlich viel einfacher und freut uns. Kurze Zeit später rollen wir über den mit Brennnesseln und Dornen dicht bewachsenen Wanderweg zurück zur Straße. Wir beide haben einige Kratzer und Stiche, als wir die Straße erreichen, doch nun geht es mit viel bergab los.

Zunächst rollt es sich ausgezeichnet. In einem hohen Gang fahren wir die Straße entlang. An einer Einfahrt werden die Drahtesel kurz geölt und schon geht es weiter, Cambridge entgegen. Immer wieder kommen uns einzelne Rennräder oder ganze Gruppen grüßend entgegen. Vereinzelt führt die Straße mit leichten Steigungen bergauf, die meiste Zeit fahren wir jedoch im flachen oder leicht bergab. Somit ist Cambridge schnell erreicht. Die schönen Radwege in die Stadt überzeugen uns. Hier ist richtig Leben! Einige Kinder ziehen ihre Kajaks aus dem Wasser und andere Menschen genießen ihren Morgen im Café oder Park. Mitten drin stehen eine handvoll Kühe und grasen zufrieden. Was für ein Ambiente! Vorbei am King’s College schieben wir uns durch die Massen an Touristen dem Marktplatz entgegen. Heute ist auch Markt und Kyra erblockt begeistert die vielen Stände. Die Esel finden einen Platz zwischen anderen Rädern und wir auf einer Bank.

“Ich gehen nochmal los und organisiere uns was. Hast du auf irgendwas Lust?”, fragt Kyra gespannt. “Alles! Überrasch mich!”, antwortet Michi. Während Kyra unterwegs ist schreibt er ein bisschen Blog und genießt den Trubel ein wenig abseits davon. Kyra geht zunächst in einen Laden, um Getränke zu kaufen. Verdutzt steht sie, wie eine Niederländerin mit den Sachen an der SB-Kasse. Der Laden hat ab 10 Uhr offen, die Kassen aber erst ab 11 Uhr. So müssen beide noch 10 Minuten warten, bis die Kassen freigeschaltet werden, als jmd auch die normale Kasse besetzt. Schon etwas merkwürdig, aber gut. Es ist ja auch Sonntag, anderswo kann man da gar nicht einkaufen. Dann geht es auf zum Markt. Es werden Erdbeeren, verschiedenes Gebäck, Focaccia und zwei Eistee besorgt. Michi wartet gespannt. Wir stellen alles bis auf das Focaccia zwischen uns und schlemmen. Die Kirchglocken läuten unentwegt, die Menschen wuseln über den Markt und plötzlich gibt ein Ensemble aus vier Männern ein spontanes Konzert. In dieser Atmosphäre lässt es sich super arbeiten. Wir schreiben Blog und planen die weitere Route. Als es fertig ist, erntet das Ensemble Applaus,verneint sich und verschwindet hinter alten schweren Holztüren. Schon erfüllen die Rhythmen eines Trommlers die Luft. Man muss einfach mitwirken. Ein kleines Mädchen ist fasziniert und erhält prompt eine kleine Privatstunde im Trommeln. Es ist herrlich anzusehen, wie er dem Mädchen versucht, seine Begeisterung weiterzugeben und nach ein paar Minuten hat sie schon ein paar Grundrhythmen drauf. Das Leuchten in Ihren Augen scheint ihm mehr wert, als jede Pfundnote im Hut. Dann gehen seine schnellen Rhythmen weiter und auch wir müssen langsam los. Schnell noch Pippi und weiter geht es zum Fluss Cam.

Vorbei an den Bootshäusern und dem Jesus Green schlängeln wir uns unter neugierigen Blicken den Fluss entlang. Passieren zahlreiche verliebte Pärchen und sogar einen Jahrmarkt. Weiter draußen treffen wir auf Studierende, die gemeinsam grillen, singen und es sich gut gehen lassen. Dann wechseln wir die Flussseite und lassen Cambridge hinter uns. Da wir weder die Vorlesungen der Unis besucht haben noch, was viel entscheidender ist das Eis in Cambridge genossen haben, ist leider kein fairer Vergleich möglich. Beide Orte haben eindeutig ein eigenes Flair. Der Marktplatz, das lebendige und aktiv sichtbare Leben der Studierenden und ihre Begeisterung sowie die Kühe mitten in der Stadt führen dazu, dass wir Cambridge subjektiv einen Ticken spannender wahrgenommen haben. Schon sind wir in der Natur und inmitten eines Naturschutzgebietes, Burwell Fenn und Wicken Fenn. Auf Schotter preschen wir vorbei an sumpfigen Wiesen und durch duftende  Blumen links und rechts des Weges. Der Fahrtwind kühlt in der schwülen Hitze und…

die Brücke ist hochgeklappt. Zum Glück steht unweit eine Fußgängerbrücke mit Führung für Fahrräder. Wir probieren es. Bepackt nicht zu machen und auch ohne nennenswerte Taschen ist es sehr steil, sodass man die letzten Zentimeter zur Waagerechten besser das Rad ganz trägt, um nicht kaputte Zahnkränze oder Schaltwerke zu riskieren. Es ist drückend heiß und binnen Sekunden kleben wir am ganzen Körper. Der Schweiß rinnt uns über das Gesicht und fällt in dicken Tropfen auf unsere Taschen, als wir diese auspacken. Über buckelige, aber von Wildblumen gesäumte, Straßen verlassen wir das Gebiet. Rollen mal wieder durchs überwucherte Dickicht und gelangen an das sanft fließende Wasser der Elly Ouse. Hinter dem schmalen Pfad und dem Fluss erhebt sich majestätisch die Kathedrale von Ely. Beeindruckend und einfach schön anzusehen. Über etliche Bahnübergänge geht es weiter gen Norden. Dem Fluss Great River Ouse folgend kämpfen wir uns durch die unerbittliche Sonne. Die Hintern schmerzen langsam und die Tageskilometer sind eigentlich erreicht. Das Wasser geht zur Neige. Wir halten an einem netten Haus im Niemandsland. Klingeln. Hören Stimmen, sehen Leute, aber niemand öffnet. Verdutzt stehen wir vor dem Haus und sehen uns ratlos an. Wir warten kurz… radeln weiter. Ein paar Kilometer weiter versuchen wir es erneut. Zwei nette Menschen öffnen, geben uns Wasser und on top ein leckeres Eis. “Next week it’s going to be hotter!”, sagt der Mann. Ohhh je, wir sollten mehr Wasser dabei haben. Wir reden kurz und holen uns eine. Tipp zum Wildcampen ab. Dann rollen wir weiter. Es will sich einfach kein Spot finden… komische Gegend,  zu einsehbar, da sind schon Leute, Müll, keine Zufahrt, um nur ein paar Punkte zu nennen. 

An einer Schleuse angekommen möchte Kyra gerade nochmal ein Schild lesen, als ein älterer Herr mit Hund den Weg hoch spaziert. “Well that’s a lot you carry.”, stellt er mit Blick auf die Esel fest. Als wir seine Frage nach dem heutigen Schlafplatz nicht konkret beantworten können, sagt er: “I know where you can camp tonight.” Und gibt uns einen Zahlencode samt einer Wegbeschreibung zu einem Ort hinter den Bäumen auf der anderen Schleusenseite. Da mache er sein Heu und niemand würde uns sehen. Wir bedanken uns und folgen den Anweisungen. Ein Tor mit Zahlencode finden wir nicht, aber gleichwohl eine Wiese mit meterhohem Gras. “Hat er die gemeint?”, fragen wir uns beide. Egal, sehen wird uns hier auf alle Fälle niemand. Schwups und schon steht das Zelt. Ein Radfahrer nimmt uns nicht wahr, obwohl er etwas oberhalb in unsere Richtung blickt. Perfekt! Wir “duschen” mit dem Rest unserer Wasserflasche. Elias fällt noch um und zerlegt die Kamerahalterung. Sehr ärgerlich, aber kein Weltuntergang. Dann essen wir, putzen Zähne und fallen ganz leise auf die Isomatten.