Tag 32 - Slow and steady up the hill (03.07.2024)

Von East Rounton nach Tan Hill

Es regnet und das Hundegebell dringt erneut von einem Bauernhof in East Rounton zu uns herüber. “Guten Morgen. Dann legen wir mal los”, sagt Kyra sichtlich unmotiviert in den Regen zu treten. Wir packen alles routiniert ein. “Da kommt jemand!”, flüstert Michi ernst. Doch es ist ein falscher Alarm. Ein Traktor und Lkw brausen an der Straße hinter der Hecke vorbei. Niemand bemerkt irgendetwas. Im Regen wird das Zelt gefaltet, im Regen wird es nass eingepackt. Dann rollen wir los und umrunden “unser” Feld noch einmal. Ein echt guter Schlafplatz. Auf Landstraßen geht es durchs Grau. Es nieselt, regnet, wartet auf den nächsten Schauer.

In Low Dinsdale meldet sich unser Magen passend zu einem Regenschauer. Wir flüchten auf eine Parkbank neben dem alten und kleinen Friedhof mit seinen schiefen Grabsteinen.Schnell sind unsere beiden Metallbecher gezückt, und Käse, Butter, Milch sowie Müsli und Brot ausgepackt. Lecker und praktisch, da sich der Schauer somit gut überbrücken lässt. Es bleibt jedoch die Frage: Regenkleidung an oder aus? Komplett oder nur in Teilen? Kyra entscheidet sich für komplett und Michi wählt nur die Regenjacke. Etwas irritiert lesen wir noch den Aushang der örtlichen Nachbarschaftswache, die über Treffen zum Melden von Vorkommnissen, soziales Missverhalten, Vandalismus und bspw. Nachbarschaftsstreitigkeiten informiert. Diese Instanz, die hier nahezu in jedem noch so kleinen Örtchen fester Bestandteil ist, kennen wir so aus unserer Heimat nicht. So geht es weiter vorbei an Feldern und zumeist gesäumt von Hecken durch leicht hügelige grüne  Landschaften. Da eine Brücke gesperrt ist, müssen wir einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Zwei Autos blockieren sich in der engen Straße. Wir schießen entspannt daran vorbei, links den Hügel wieder hoch und… die Straße ist gesperrt. Reparaturen… “Komm, lass es uns probieren! Vielleicht kommen wir ja vorbei”, sagt Kyra. Michi ist etwas skeptisch. Tatsächlich winken uns die netten Bauarbeiter durch, aber wir müssen schieben. Juhu! Wir sparen uns somit den nächsten Umweg. Schafe sind nun allgegenwärtig und grasen hinter beschaulichen Steinmauern. Wir erreichen doch relativ platt Barnard Castle mit dem prächtigen  “Bowers Museum”. Dieses ist bekannt für die größte Sammlung spanischer Kunst in England, aber… wir entscheiden uns für Eis und Pause. Im kleinen Lädchen “Chocolate Fayre” unterhalten wir uns ausgiebig mit der gesamten Belegschaft sie sind begeistert von unserer Tour, berichten von ihren eigenen Erlebnissen und geben uns zahlreiche Tipps für Orte in den kommenden Wochen. Danke! Wir sind begeistert vom cremigen Eis und dem vollmundigen Kaffee. Bevor wir gehen, schlagen wir noch bei den ebenso köstlichen Pralinen zu und lassen uns bei den Sorten beraten. Wir müssen uns richtig zusammenreißen, nicht die halbe Theke mitzunehmen. Doch wer kann schon bei Pistazie oder Karamell-Krokant widerstehen? Lecker! Noch schnell wird etwas für morgen zum Frühstücken und Mittagessen organisiert. Ein kurzes Gespräch mit einem Mann, der gerade mit dem Bus aus der Nähe von Newcastle angereist ist später, sitzen wir auf den Eseln und lassen uns den Wind um die Ohren wehen.

 Ein nettes Ehepaar bietet uns bei den Stufen vor der Brücke Hilfe an. Sehr nett, aber die Esel springen schon fast von alleine hoch, um den grandiosen Blick auf die Burgruine und den Fluss zu erblicken. Auf der anderen geht es behutsam die Stufen hinunter und wir finden uns in einem Steilhang wieder. Eine der hier in England doch recht zahlreichen Unterschiede zwischen der Angabe zur Steigung in der Navigations-App und der Realität auf dem Straßenschild bzw. vor den eigenen Augen. Die Beine brennen und wir müssen lachend feststellen, dass wir beinahe so schnell sind wie das nette wandernde Ehepaar von eben. Wir verabschieden uns und oben angelangt geht es weiter. Häufig scheint es, als würde die Straße bergab verlaufen, doch in diesem Fall trügen einen die müden Augen. Es fehlt der Horizont und so sucht man zwischen den Linien der Mauern der hügeligen Weiden, den Baumgruppen und der Straße eine Ebene, einen Anker. Hinzu kommt der kräftiger werdende böige Gegenwind, der bisweilen Abfahrten in Ebenen verwandelt. Doch die Sonne blitzt durch die Wolkendecke und wärmt die Seele und das Gemüt. Pferde spielen mit Schafen unter den blauen Flecken im Wind und die Landschaft wandelt sich so langsam in eine Mischung aus Heide und Weide. Eng windet sich die Straße im endlosen Auf und Ab durch die Steinmauern, über Bäche und immer weiter hinauf. Der Asphalt weicht dem Schotter und die Steinmauern einer offenen Heidelandschaft. Einzig die Schafe sind geblieben. Weiter hinauf durch Schafgatter und teils schiebend, da die Esel unter der Last auf dem Geröll durchdrehen. Der beständige Gegenwind raubt das letzte bisschen  Kraft, das zwischen den knirschenden Steinchen unter dem Gummi verbleibt. Doch erneut reißt der Himmel auf und eine Blase aus Licht hüllt uns ein, während die Wolken vor uns abregnen und in Fetzen an uns vorbei jagen.

Je höher wir kommen desto häufiger erwischt uns der peitschende Sprühregen dieser. Dann erreichen wir die asphaltierte Straße zum höchsten Inn Englands, das “Tan Hill Inn”. Ein letzter Anstieg über ein paar hundert Meter, Camper überholen uns mit hochdrehendem Motor und geschafft. Erschöpft, glücklich und von der atemberaubenden Szenerie ergriffen, rollen wir hinab zur Berghütte. Wir sprechen mit einem begeisterten Motorradfahrer, der früher ebenso mit dem Rad auf Reisen gefahren ist. Heute machen seine Knie das leider nicht mehr mit und so fährt er mit seinen über 70 und dem Motorrad durch die Welt. “Marokko is beautiful.”, erzählt er mit einem Leuchten in den Augen. Er hat vorhin erst festgestellt, dass er bereits vor 50 Jahren mit dem Fahrrad hier oben war. “Time is moving so fast!”, bemerkt er etwas erschrocken und doch sehr zufrieden. Wir reden noch eine Weile, wünschen uns für unsere Touren alles Glück der Welt und verabschieden uns. Neben der Berghütte steht ein Zelt im Wind und ein Gedanke macht sich breit. Beim Eintreten strömt uns eine wohlige Wärme entgegen. Der Geruch des Feuers im offenen Kamin vermischt sich mit dem von Speisen. Gelächter dringt an unsere Ohren. Der peitschende Wind und feuchte Regen scheinen unendlich fern hinter den paar Zentimetern der Fensterscheiben. Wir können nicht widerstehen, setzen uns und genießen. Die Kellnerin schenkt die Gläser mit einem breiten Grinsen so voll, dass man abtrinken muss, bevor man sie auch nur ein Stück bewegt. Vor dem Essen kommen wir noch mit einem niederländisch-norwegischen Pärchen ins Gespräch. Sie sind ebenso mit dem Fahrrad unterwegs. Wir verstehen uns gut. Dann kommt unser Essen und unterbricht das Gespräch abrupt. Es schmeckt köstlich. Ja, so gut, dass wir noch einen Nachtisch nehmen, crumble of the day und Profiteroles mit Toffee-Sauce. Als wir uns umdrehen, ist das Pärchen leider bereits unbemerkt gegangen. Wir fragen an der Theke, ob es in Ordnung ist das Zelt neben der Hütte… “No Problem, we even have a toilet and shower outside.” Besser hätte es nicht laufen können.

Ein Fahrer eines Campers spricht uns noch an und falls wir irgendetwas brauchen, sollen wir einfach an seinem grünen Van klopfen. So nett!!! Vielleicht kommen wir morgen früh auf das Angebot zurück. Heute sind wir einfach nur noch müde und erschöpft. Wir bauen das Zelt im Sonnenschein auf. Der Wind ist abgeflacht und doch rückt eine Regenfront unaufhaltsam auf uns zu. Schnell noch in die Dusche. Luxus! Im einsetzenden Regen hechten wir zurück zum Zelt. Kriechen gut geschützt in die Schlafsäcke und schlafen ein.