Tag 33 - Höhenmeter (04.07.2024)
Von Tan Hill nach Windermere
Immer wieder prasselt der Regen für einige Minuten auf unser Zelt. Zwischendurch hören wir nichts außer Wind und Schafe. Eins der Schafe scheint unser Zelt besonders interessant zu finden, stolpert über die Abspannung und knabbert zärtlich an den Schnüren. Wir verscheuchen es und es wandert ziemlich unbeeindruckt zu dem anderen Zelt. Dort regt sich nichts. Schon gestern Abend hatten wir die Vermutung, dass das Zelt vielleicht leer ist und hier einfach nur so steht? Komisch. Wir machen nochmal die Augen zu und werden einige Zeit später von Sonnenstrahlen, die unser Zelt aufheißen, geweckt. Bevor es los geht, machen wir noch Blogbeiträge fertig und packen alles zusammen. Michi geht aus dem Zelt und Kyra gibt ihm alles nach und nach an. Natürlich fängt es genau in diesem Moment erneut an zu schütten. Also schnell zurück ins Zelt und erstmal frühstücken. Wir genießen Müsli mit Milch und ein bisschen Brot. Als wir fertig gegessen haben, ist es erneut trocken und wir schaffen es in der Regenpause alles fertig zu bepacken. Wir schieben Emil und Elias zur Straße und treffen erneut auf das niederländisch-norwegische Paar. Sie bewundern unser schweres Gepäck und haben selbst einen Anhänger dabei, dafür kaum Taschen. Lächelnd sagen sie, dass sie aufgrund des Alters nur ins Hotel gehen und ihre zwei Wochen in England genießen. Ihr Auto haben sie in den Niederlanden stehen lassen und sind mit der Fähre nach Newcastle. Von dort ging es über den Hadrianswall zum Lake District und zurück über unsere jetzige Route. Während wir erzählen, fängt es heftig an zu schütten. Die beiden ziehen ihr komplettes Regenoutfit an und nutzen den Rückenwind, um in der wunderschönen Hügellandschaft zu verschwinden. Wir nutzen noch kurz das fließende Wasser vom noch geschlossenen Restaurant zum Zähne putzen, abspülen und Wäsche waschen, bevor wir uns ebenfalls in unser Regenoutfit stürzen. Unser Regenoutfit besteht für den Anfang aus einer Regenhose, Überschuhen, Regenjacke, Überhandschuhe und Überhelm. Komplett eingepackt fühlt sich alles kuschelig warm an, doch unsere Navigation verspricht, dass die nächsten Kilometer bergab gehen und wir mit dem starken Gegenwind sonst frieren. Als wir jedoch losfahren, merken wir schnell, dass es keineswegs nur bergab geht. Immer wieder fahren wir auf Anhöhen hinauf, nur um anschließend wieder in die Tiefe zu fahren. Dabei weht uns der Wind so stark um die Nase, dass wir kaum Geschwindigkeit aufnehmen. Wir werden regelrecht vom Wind mitten auf die Fahrbahn gepustet und der stärker werdende Regen peitscht uns ins Gesicht. Er spürt sich an, wie kleine eiskalte Nadelstiche, die sich in die Haut bohren. Wahrlich nicht angenehm, doch irgendwie bezaubert die Landschaft so sehr, dass wir die Situation trotzdem irgendwie genießen, auch wenn wir zwischenzeitlich aufgrund des Regens und Wind kaum etwas sehen können. An einer Anhöhe wartet ein entgegenkommendes Auto auf uns, um uns genug Platz zu lassen. Als wir vorbeifahren, klatschen und winken die beiden im Auto uns sichtlich begeistert. Das gibt Motivation. Nur selten werden wir von weiteren Autos langsam überholt und schließlich haben wir es geschafft. Es geht nur noch bergab, dem Tal entgegen.
Nach einem kleinen Dörfchen geht es weiter auf einem kleinen Weg. Die Brücke vor uns ist nur so breit, dass Emil und Elias so gerade hinüber passen. Da die Brücke stark wankt, gehen wir nacheinander. Der darauffolgende Weg ist mehr ein Wanderweg und zerrt an unseren Krärften, doch schon bald fahren wir auf einer Landstraße dem nächsten Anstieg entgegen. Doch bevor wir uns heranwagen, machen wir kurz Pause um unsere Nudeln von vorgestern zu essen. Als Michi den Kocher rausholt, um die Nudeln zu erwärmen, stellen wir fest, dass Benzin ausgelaufen ist. Der Kocher scheint noch immer nicht wirklich zu wollen, also ruft Kyra beim deutschen Kundenservice von Primus an. Der nette Mann am Telefon kann uns auf Anhieb auch nicht weiterhelfen, er denkt jedoch, dass der Schlauch kaputt ist und verspricht uns, dass wir einen neuen bekommen. Wir müssen nur eine Adresse haben, z.B. ein Geschäft, welches Primus vertreibt, an welches dieser kostenfrei geschickt werden kann und beim englischen Service anrufen. Das hört sich doch gut an. Auf magische Weise funkioniert der Kocher plötzlich, nachdem wir auflegen. Wer weiß, wie lange das so bleibt… WIr essen die Nudeln auf und fahren weiter.
Der angekündigte Anstieg klappt gut. Fast schon routiniert fahren wir hinauf und kommen halbwegs schnell oben an. Auch hier ist die Landschaft erneut wunderschön und der Ausblick fantastisch. Schafe schauen uns überrascht an laufen weg, sobald wir uns nähern. Erneut stürzen wir uns in die Tiefe und genießen die steile, kurze Abfahrt. Als wir unter der Autobahn und den Bahnschienen hindurchfahren, überlegen wir, wie lange wohl die Autos von unserer Schlafstelle bis hierher gebraucht haben. Wir sind bereits über den halben Tag unterwegs und schätzen die Fahrzeit der Autos auf gerade einmal 20 min. Verrückt. Wir folgen einem kleinen Bach, grüßen einen Hirten mit Hund, der gerade zu seinen Schafen kommt und tritt erneut fest in die Pedale. Auch dieser Anstieg gelingt uns gut. Anschließend unterqueren wir erneut Autobahn und Bahnschienen, nur um auf der anderen Seite wieder berauf zu fahren. Für die nächsten Kilometer geht es auf einer Straße am Berg gelegen auf und ab und auf und ab… Die bisher gute Stimmung kippt leicht und Kyra regt sich darüber auf, dass die beiden Autostraßen sowie die Bahnschienen in einer angenehmen Steigung dahin gehen und unsere Straße einfach nur kräftezehrend ist, denn die laute Straße von der anderen Seite, hören wir durch den Wind, als würden wir direkt daneben fahren. Unsere Kräfte scheinen tatsächlich verschwunden, denn als wir erneut in Richtung Autobahn fahren und diese diesmal überqueren, fehlt uns die Kraft in den Beinen und wir müssen Emil und Elias hinaufschieben. Die Luft ist raus. Wir wollen eigentlich nur noch das Zelt aufbauen und schlafen, aber wir beißen die Zähne zusammen und fahren weiter, denn es geht zum Glück bergab nach Kendal. I
In Staveley hält Michi: “Wollen wir noch kurz etwas einkaufen?” und Kyra springt sogleich in den kleinen Supermarkt. Sie holt Äpfel, Weintrauben, Nudeln, Joghurt, Cinder und Eis für die Nerven sowie Möhren, Brot und Brotaufstrich. In der Zwischenzeit führt Michi mit einem Mann draußen ein Gespräch. Er ist von unserer Reise beeindruckt und freut sich sehr, dass wir gleich die kleine Fähre über den See Windemere nehmen. Michi entgleist jeder Gesichtsausdruck. Fähre? Hatten wir nicht geschaut, dass dort eine Brücke ist? Wir wollen nicht das gleiche Erlebnis wie nach Rotterdam, insbesondere, weil es hier keinen anderen Weg für uns gibt. “Wir sind in Zeitdruck, wir müssen eine Fähre bekommen. Ich weiß nicht genau, wann die Fähre fährt. Im Internet steht 9.50, was genau bedeutet das?” sagt Michi verzweifelt, als Kyra aus dem Supermarkt kommt. Noch bevor sie etwas antworten kann, kommt eine weitere interessierte Frau und fragt, wo es hingeht. Wir erzählen ihr im Schnelldurchlauf, was wir bisher gefahren sind und wir vorhaben, bevor wir fahren, was nun genau 9.50 bedeutet. Sie antwortet lächelnd: “That means the ferry leaves at 10 minutes befor 10 p.m. You have enough time! You’ll be there quickly, it’s not far away. You can definitely do it.” Perfekt! Für die nächsten 10 km bleiben uns also rund 90 min. Wir schlecken unser Eis, quatschen noch eine Weile und schwingen uns auf die Drahtesel. Mit schermerzenden Muskeln fahren wir die letzten Kilometer so schnell es geht nach Windermere, immer an der Straße entlang, wodruch die Steigungen fast angenehm sind und nicht zu steil. In Windermere angekommen haben wir einen fantastischen Ausblick auf den See und rauschen mit hoher Geschwindigkeit hinunter. Nun müssen wir nur noch die Fähre finden. Am Ufer des Flusses entlang finden wir die Fähre und dürfen nach wenigen Sekunden hinaufrollen. Die Überfahrt kostet 4,50 Pfund und wir sind die einzigen Gäste. Wir freuen uns, umarmen uns und genießen die Überfahrt bei blauem Himmel. Traumhaft! Wieder einmal werden wir für die harte Arbeit belohnt. Trotzdem fragen wir uns beide in diesem Moment: Bleiben die Tage und Steigungen so anstrengend? Für ein paar Tage ist das okay, aber für 2 Jahre? Schafft unser Körper das? Schafft unsere Motivation das? Während wir in Gedanken schwelgen, kommen wir auf der anderen Seite des Sees an und beginnen sogleich mit der Schlafplatzsuche. Vor Erschöpfung und unterschiedlicher Herangehensweise (Kyra möchte lieber offensichtlich bei den Wohnmobilen stehen, Michi verdeckt im Wald) bekommen wir uns kurz in die Haare. Als wir jedoch einen schönen Platz im Wald, am Wasser und doch halbwegs einsehbar gefunden haben, ist alles wieder gut. Als das Zelt steht, ist es bereits dunkel und wir essen nur noch etwas Brot mit Käse und Weintrauben, bevor wir die Augen zu machen und sofort einschlafen.