Tag 35 - Austausch (06.07.2024)

Von Bassenthwaite Lake nach Mawbray

Früh klingelt der Wecker. Es ist 6:00 Uhr und wir haben Sorge, entdeckt zu werden. Auf dem gestrigen Gatter, welches zu unserer kleinen Halbinsel führte, stand ausdrücklich, dass Zelten und Over-Night-Stands verboten sind. Bisher kam jedoch niemand und die Nacht war ruhig. Wir sind müde und benötigen viel Zeit uns aufzuraffen. Langsam packen wir alles ein und satteln unsere Drahtesel Emil und Elias. Als wir fertig sind, schieben wir die beiden vor zum kleinen Kiesstrand. Wir frühstücken mit Blick auf den See in aller Ruhe, bis plötzlich ein Hund hinter Kyra steht. Der Hund ist kontaktfreudig und schleckt uns beide begeistert ab. Unser Essen scheint gut zu riechen. Nach einem kurzen Ruf, ist er jedoch wieder verschwunden. Kurze Zeit drauf, kommt ein weiterer Spaziergänger mit seinem Hund und keine 2 min später kommen zwei Frauen mit Badesachen zu uns an den Strand. “Wir haben alles richtig gemacht!” sagt Michi begeistert. Wären wir länger im Zelt geblieben, hätte man eindeutig sehen können, dass wir nicht nur zum Frühstücken hier sind. Nach Zähneputzen geht es los.

 Wir fahren zunächst einige Kilometer an der Hauptstraße entlang, doch in unsere Richtung ist es ruhig. Alle scheinen das Wochenende für einen Ausflug in den Lake District zu nutzen, also gut, dass wir diesen nun verlassen. Als der Weg für uns auf der Hauptstraße endet, geht es sogleich bergauf. Nach kleinen und steilen An- sowie Abstiegen erreichen wir schnell Cockermouth, wo wir ein noch geschlossenes Fahrradgeschäft finden. Wir halten und die paar Minuten bis es öffnet. Der nette Besitzer kann uns jedoch mit Michis Bremsen nicht weiterhelfen. Schade. Wir fahren weiter zum nächsten lidl und gehen einkaufen. Es gibt Brokkoli, neues Müsli und Milch, Schokolade, Pflaumen und etwas aus der Backecke. Die vegetarische Pizza verdrücken wir sofort und schwingen uns erneut auf die Drahtesel, denn wir möchten die Küste erreichen. Kleinere Anstiege bewältigen wir mit müden Muskeln und entdecken plötzlich eine Schaukel im Nirgendwo. Sogleich schwingt sich Kyra drauf und holt trotz leichter Sorge, ob der Ast hält, viel Schwung. Schaukeln mit fabelhaftem Ausblick, was will man mehr! In der Ferne sehen wir noch die Berge des Lake Districts und auf der anderen Seite glitzert uns das Meer entgegen. Zudem sollte dies für viele folgende Kilometer unser letzter längerer Anstieg gewesen sein. Somit haben wir uns die kurze Pause reichlich verdient.

Nach wenigen Minuten fahren wir weiter der Küste entgegen. Tatsächlich geht es nur noch leicht bergab und wir erreichen die Küste schnell. Zunächst führt uns der Weg jedoch in sicherer Entfernung an der Küste entlang. Ein dicht bewachsener Fahrradweg mit zahlreichen Gattern, die uns an Südengland erinnern, führt uns zunächst erneut weg von der Küste und in einen kleinen Ort. Wir staunen nicht schlecht, als wir ein Schild und später eine Straßensperrung entdecken. Hier wird heute Karneval gefeiert! „Nur für dich“, sagt Michi belustigt, denn Kyra wurde am Niederrhein geboren, wo Karneval eine wichtige Rolle spielt. Als wir an der Straßensperrung vorbeifahren sehen wir noch gerade das Ende des kleinen Zuges und rauschen zum Meer hinunter. Nun führt unser Weg wunderschön am Strand entlang und wir befinden uns bereits auf unserem nächsten Fahrradweg, dem Hadiranswall.Diesem werden wir die nächsten Tage zurück von der Westküste an die Ostküste folgen und sind gespannt, welche historischen Geschichten auf uns warten. Nach Maryport begeben wir uns auf die Suche nach einem Campingplatz, denn es ist Zeit für eine warme Dusche. Schnell finden wir zwei auf der Karte, doch als wir nach wenigen Metern dort ankommen, scheint der eine nicht zu existieren und der zweite nicht für Zelte zu sein. Also fahren wir weiter und erreichen einen dritten Campingplatz. Der Campingplatz gehört zu einem Restaurant, in welchem wir fragen. Die Kellnerin erzählt uns jedoch, dass gestern eine Hochzeit war und sie somit ausgebucht sind. Etwas ratlos, ob sie verstanden hat, dass wir nur ein Zelt aufbauen wollen, verlassen wir das Restaurant und fahren erneut weiter. Nicht einmal einen Kilometer später sehen wir erneut ein Schild, auf welchem expliziet Radfahrer*innen angesprochen werden. Wir bleiben stehen und rufen die Nummer auf dem Schild an.

Die nette Frau am Telefon verweist uns weiter, doch in diesem Moment fährt ein Auto die Einfahrt hinauf und wir nutzen die Gelegenheit, um den Mann anzusprechen. Er klingelt nebenan und die Frau vom Telefon steht vor uns. Freundlich gibt sie uns zu verstehen, dass sie schnell ihren Mann sucht und dieser uns weiterhelfen kann. Nach einigen Minuten kommt sie zurück und ihr Mann folgt sogleich. Er zeigt uns die Fläche, wo bereits 5 Camper stehen und wir unser Zelt windgeschützt zwischen zweien aufbauen dürfen. Das setzen wir sogleich um und kochen zunächst Eiernudeln mit Gemüse und Kokosmilch. Anschließend genießen wir eine heiße Dusche und sind ein bisschen über die wirklich nicht sauberen Sanitärräume verwundert. Zudem riecht es ziemlich unangenehm. Doch, wir hatten unsere wirklich sehr warme Dusche (wahrscheinlich die heißeste, die wir auf einem Campingplatz je hatten) und konnten unsere Wäsche waschen. Das ist perfekt! Als wir beim Zelt zurück sind und die Wäsche aufhängen, zieht der Himmel auf und es ist komplett blau. Durch den kalten Wind frieren wir jedoch sehr und ziehen uns eine Jacke über. Unsere Nachbarin aus dem Camper nebenan hatte uns zum Abendessen heißes Wasser gebracht und nun möchten wir uns mit Ostfriesentee bedanken. Wir klopfen kurz nachdem England im Viertelfinale gewinnt an den übernächsten Camper, wo sie zusammen mit einer Freundin das Spiel geguckt hat. Lächelnd empfangen uns die beiden und laden uns ein Platz zu nehmen. Aus einem kurzen netten Austausch wird ein langes freundliches und inspirierendes Gespräch. Wir lachen viel zusammen und tauschen uns aus.

Chris und Janet wohnen im Lake District und machen gerne am ruhigen und flachen Meer Urlaub. Häufig besuchen sie die Küste und können uns viele Tipps geben: In Allonby gibt es das beste Eis und in Silloth, auf der Kopfsteinpflasterstraße an der Ecke, die besten Fish and Chips. Manche Leute fahren nur deshalb in die Orte, scherzen die beiden. Aber wir reden auch über ganz andere Dinge, wie z.B. den Brexit. Nicht zum ersten Mal hören wir: „Since Brexit we no longer feel European“. Diese Aussage beschäftigt uns und jedes Mal berichten wir unsere Sichtweise über die EU und Europa. Wir differenzieren zwischen dem Kontinent und der Europäischen Union und dachten, dass dies alle tun würden. Zumindest haben wir es so gelernt… Unsere Sichtweise hingegen freut viele Engländer*innen. Wir vergleichen das Müllsystem in England und Deutschland, reden über Politik und Nachhaltigkeit, aber auch über Freundlichkeit. Uns fasziniert deren Freundlichkeit und wie reflektiert sie sind. Wieder stellen wir fest, dass Alter in diesen Momenten keine Rolle spielt, denn Chris und Janet stehen im Alter zwischen unseren Eltern und Großeltern. Wir fühlen uns wohl und genießen den wertvollen Austausch. Nach einigen Stunden fällt uns auf, dass es bereits dunkel geworden ist und spät. Ursprünglich hatten wir einen Campingplatz gesucht, um zu duschen und früh ins Bett zu gehen. Kyra träumte von „ich gehe um 20 Uhr schlafen“, daraus wurde nichts, aber! Das Gespräch war wertvoller, als früh schlafen zu gehen. Und als wir gegen 23 Uhr noch einmal die Toilette aufsuchen, lassen wir uns einige Aussagen durch den Kopf gehen und freuen uns erneut nette Menschen kennengelernt zu haben. Machen wir nicht Radreisen, um genau so etwas zu erleben? Um die Natur zu sehen, um mit Menschen (egal woher) in Kontakt zu treten und einen Austausch zu haben. Um uns weiterzuentwickeln und das Leben zu genießen. Gute Nacht!