Tag 38 – Dauerregen (09.07.2024)
Von Wall nach Hartley
Der Regen prasselt unablässig aufs Zelt. Draußen ist es kalt und nass, aber bei uns im inneren ist es warm und trocken. Zum Glück haben wir alle wichtigen Sachen im Außenzelt stehen und somit beginnt der Tag erstmal im Inneren. Wir frühstücken in Ruhe, schreiben Blog und planen die weitere Route. Heute Abend möchten wir etwas nördlich von Newcastle sein. Da die Region an der Küste sehr städtisch ist, überlegen wir auf einen Campingplatz zu gehen. Bei diesem nassen und kalten Wetter wird eine Dusche zudem gut tun. Als wir gerade am Einpacken sind und das Zelt offen steht, kommt eine Frau vorbei. Sie wünscht uns einen guten Morgen und fragt, ob wir eine Frau im Alter von 82 Jahren gesehen hätten. Wir müssen leider verneinen. Mit ihr bewegt sich die Polizei durch das nasse Gras. Hoffentlich werden sie die vermisste Frau schnell finden. Mit dem Gedanken, dass es am Abend im Zelt wieder schön warm sein wird und wir auf dem Campingplatz eine heiße Dusche genießen können, ziehen wir unsere Regenkleidung an und verlassen das Zelt. Wir versuchen die dicken Tropfen von der Zeltwand abzuschütteln und das Zelt zügig zu verstauen. Währenddessen kommt ein Mann vorbei und fragt uns erneut, ob wir die ältere Frau gesehen haben. Leider müssen wir erneut verneinen. Bevor er weitergeht sagt er noch: “The second house down the street is our house. If you need something, like warm water or a coffee, feel free to knock.” Wir bedanken uns. Wie nett hier doch alle sind! Als das Zelt verstaut ist, gehen wir noch schnell auf Toilette, putzen unsere Zähne und füllen die Wasserflaschen auf. Dann wird es Zeit und wir begeben uns in den Regen. Zunächst fühlt sich alles noch trocken und warm an, so stört der Regen kaum. Unsere Route beginnt mit einer schönen Abfahrt an der Hauptstraße entlang. Zwischendurch geht es ein bisschen hinauf, doch die Steigungen sind angenehm. Wir verlassen die Hauptstraße und fahren auf einem netten Fahrradweg. Dieser ist durch ein Grünstreifen und einige Bäume von der viel befahrenen Straße abgetrennt. Schnell haben wir Hexham erreicht und fahren weiter nach Corbridge. Hier sehen wir für einen kurzen Moment zum ersten mal die Tyne und werden von den alten Steinhäusern verzaubert. Der Ort sieht genauso aus, wie man sich ein englisches Dorf vorstellt. Anschließend folgen wir mit etwas Abstand der Tyne. In Ovingham müssen wir die Flussseite wechseln und fahren über eine sehr schmale Brücke hinüber. Aufgrund des Schulschluss und zahlreicher Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto abholen, ist die Straße komplett überfüllt. Wir rollen auf die Brücke und stehen erstmal im Stau. Die Brücke ist so schmal, dass der kleine Transporter, der zwischen uns steht, mit allen vier Reifen den Bordstein berührt. Als der Verkehr weitergeht, fährt dieser jedoch routiniert die Brücke hinüber. Unser Weg führt nun direkt an die Tyne. Auf einer schönen asphaltierten Straße, nur für Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen gleiten wir zunächst auf der südlichen Seite und nach einer weiteren Brücke auf der nördlichen Seite dahin.
Unser Weg führt nun direkt an die Tyne. Auf einer schönen asphaltierten Straße, nur für Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen gleiten wir zunächst auf der südlichen Seite und nach einer weiteren Brücke auf der nördlichen Seite dahin. Trotz des weiterhin starken Regen treffen wir auf andere Pilger und Radreisende, die komplett nass, wie wir, den Weg entlang fahren. “Oh Mist!” ruft Kyra, “meine Schuhe sind nass!” Die eigentlich regendichten Schuhe haben nach circa 30 km ihren Dienst versagt und auch Michi bleibt nicht ungeschont: “Meine Hose ist im Schritt komplett nass. Ihh fühlt sich das eklig an”. Woran bei ihm das eindringende Wasser liegt, können wir nicht feststellen. Entweder hält die Regenjacke oder die -hose nicht mehr dicht. Durch die nassen Anziehsachen und nasse Haut wird uns kalt, also bleibt uns nichts anderes über, als etwas schneller in die Pedale zu treten, um wieder warm zu werden. Doch bereits nach wenigen Kilometern kommen wir in der ersten Vorstadt von Newcastle upon Tyne an und sehen ein Supermarkt neben unserem Weg. “Sollen wir kurz für Sandwich heute Abend einkaufen?” fragt Michi und Kyra bejaht. Der lidl ist etwas anders als die bisherigen aufgebaut und so dauert der Einkauf etwas länger als gewöhnlich. Kyra kauft zwei kleine Pizzen, Brezeln und Muffins aus der Backecke für ein schnelles Mittagessen sowie Butter, Frischkäse, Käse, Soße, Gemüse, Salat und Toast für Sandwich heute Abend. Dazu gibt es noch ein paar Kekse und Obst. Somit liegt der Einkauf schnell bei 25 Pfund. Als wir unsere Pizzen und Brezeln mit Frischkäse sowie Butter verdrückt haben, ist uns nun wirklich richtig kalt. Wir müssen an die Aussage von Kai, bei dem wir vor einigen Tagen über die Plattform “Welcome to my Garden” unterkamen, denken. Kai erzählte uns, dass er sich einfach nass regnen lässt, ohne Regensachen. In diesem Moment sind wir über unsere Regenkleidung, auch wenn sie leider nicht ganz dicht hält, ziemlich glücklich, denn sonst wäre es bestimmt noch kälter. Aber jede Person reist nunmal auf ihre Art und Weise. Wir verstauen zitternd unsere Einkäufe und schwingen uns erneut auf Emil und Elias. Unser Weg führt weiterhin entlang des Flusses Tyne. Vor uns erstreckt sich eine schöne Promenade, die uns direkt mitten in die Stadt führt. Aufgrund des Regens bleiben wir jedoch nicht stehen oder schauen uns etwas an. Es ist einfach zu nass und kalt. Immer weiter fahren wir am Fluss in Richtung Meer entlang.
Unser Weg führt durch Wohn- und Industriegebiete. Plötzlich kommt von hinten ein anderer Radfahrer an und fragt: “How far is it to Tynemouth?” “12 km”, antwortet Michi. “Oh very good! That’s not that far anymore. I drove coast to coast and all my stuff is wet. What bad weather. Have fun.” sagt er daraufhin, gibt ohne weitere Worte Gas und ist verschwunden. Wir lächeln uns an und treten auch etwas schneller in die Pedale. Wir fahren durch weitere Wohn- und Industriegebiete, bis wir tatsächlich die offene See vor uns sehen oder zumindest erahnen. Es regnet weiterhin und wir befinden uns scheinbar mitten in einer sehr tief hängenden Wolke. Die Sicht ist nicht besonders gut, doch offensichtlich haben wir es geschafft! Wir sind zurück an der Ostküste von England angelangt. Als wir gerade in Tynemouth einen Hügel empor fahren, kommt der Radfahrer erneut von hinten: “Hello again! We made it, just up there. See you upstairs.” Doch als wir oben ankommen, ist er bereits wieder verschwunden. Wir gucken uns etwas belustigt an und rollen weiter. Der Regen hat mittlerweile ausgesetzt und bis zu unserem ausgesuchten Campingplatz sind es noch gute 10 Kilometer. Es ist bereits 19:30 Uhr. Hoffentlich ist überhaupt noch eine Person da, die uns einen Platz zuweist…
Auf einem sehr guten Radweg, zwischen schönen Häusern und dem Meer fährt es sich super. Immer wieder haben wir, trotz der Wolke oder des Nebels, einen guten Ausblick auf das Meer. Die Wellen treffen zum Teil hart auf die Küste und nur wenige Menschen spazieren mit ihren Hunden diese entlang. Nach dem kleinen Naturschutzgebiet St. Mary’s erreichen wir den Campingplatz und freuen uns auf eine heiße Dusche. Doch als wir vor dem Campingplatz stehen, gucken uns einige Leute nur irritiert an. Die Rezeption ist verlassen und am Eingang steht groß: Sry, no tents. Mist! Stand das nicht im Internet anders? Als wir dies nachschauen wollen, ist die Internetseite nicht erreichbar und wir suchen bei Google Maps nach Alternativen. Die Küste ist jedoch so städtisch, dass wir verunsichert sind, ob wir noch etwas zum Wildcampen finden werden. Uns bleibt nichts anderes übrig, wir wollen den nächsten Strandbereich nach einer Möglichkeit absuchen. Als wir uns gerade drehen wollen, kommt eine Frau von hinten: “Are you looking for a place to pitch your tent?” Wir bejahen. Daraufhin sagt sie: “You can set up your tent in our garden. The garden is not big and neither is the house. We also have a dog. If that’s okay with you?” Sofort macht sich ein breites Lächeln auf unseren Lippen bemerkbar und wir scheinen gar nicht mehr antworten zu müssen.
Natürlich ist das für uns okay und was für ein glücklicher Zufall! Überglücklich folgen wir Judith und Chris zu deren Haus. Unsere nassen Fahrräder dürfen wir in der Garage abstellen und das Zelt ist schnell im schönen Garten aufgebaut. Anschließend genießen wir eine heiße Dusche. “Would you like some white wine or something else?” fragt Judith. Ein paar Minuten später sitzen wir mit einem Glas Weißwein und unseren Gastgebern sowie dem Hund Sydney im Wohnzimmer. Unsere Sachen trocknen währenddessen im Haus verteilt auf Heizungen. Viel besser als jeder Campingplatz. Besser hätte es für uns gar nicht kommen können. Wir sind Judith und Chris für die EInladung unglaublich dankbar. Wir reden noch ungefähr 2 Stunden. Wir erzählen von unseren Erlebnissen, Schlafplätzen und der weiteren Route und die beiden erzählen von ihren Wanderungen. Sie kennen das Problem mit nassen Schuhen und dass unsere im Badezimmer etwas sehr stinken beim Trocknen, das sind sie auch gewohnt. Natürlich kommt auch kurz das Thema Fußball auf, denn das Spiel Spanien gegen Frankreich ist soeben zuende und somit steht das erste Finalisten-Team fest. Wie wird sich England morgen gegen die Niederlande schlagen? Als es schon spät ist, zeigen wir noch unseren Blog und zwei Videos über unsere letzte Tour. Trocken und warm verabschieden wir uns anschließend in unser Zelt. Morgen früh sollen wir einfach ins Haus kommen, sobald wir wach sind. Wir dürfen uns Kaffee, Tee und Müsli machen. “Help yourself”, sagen die beiden mehrmals mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Was für eine herzliche Gastfreundschaft dürfen wir erneut erleben! Wir sind beeindruckt. Im Zelt vernaschen wir noch schnell zwei Toast und fallen todmüde in den Schlafsack. Gute Nacht!