Tag 44 – Reisende (15.07.2024)
Von Edinburgh nach Loch Leven
Der Morgen beginnt zeitig und als Kyra ihr Handy in die Hand nimmt, sieht sie überrascht eine Nachricht von Michi: „unwohl, Hitzewallungen… Bauch-/Magenschmerzen“ von 3:51 Uhr. Nun liegt Michi jedoch zum Glück schlafend im Zelt. Als er ein paar Minuten später aufwacht, fragt Kyra: „Geht’s dir gut? Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du länger auf Toilette warst…“ „Ja, mir geht’s besser“, sagt Michi noch etwas schlaftrunken. Was der nächtliche Anflug für eine Reaktion von Michis Körper war, bleibt uns unbekannt. Aber Hauptsache, es ist nun besser. Wir drehen uns noch ein bisschen hin und her und genießen das warme Zelt. Nicht nur bei uns hört man das leise Knistern der Luftmatratzen. Auch im Zelt nebenan, in welchem Franzosen seit 2 Nächten sind, hören wir das Knistern sowie zunächst leises Flüstern bis lauteres Reden. Die beiden scheinen zwischenzeitlich immer wieder zu vergessen, dass ihr Zelt kein geschlossener Raum ist, sondern nur eine dünne Zeltwand. Und auch auf der anderen Seite unseres Zeltes, in welchem ein niederländisches Pärchen schläft, vernehmen wir Luftmatratzengeräusche. Der Zeltplatz erwacht also so langsam. „Hast du den Camper heute Morgen gehört?“ fragt Michi: „der ist bereits um 6 Uhr losgefahren“. Kyra antwortet überrascht: „Ne, habe ich nicht mitbekommen. Ich scheine heute Nacht fest geschlafen zu haben“. Während wir uns leise unterhalten, lassen wir die Luft unserer Matratzen raus. Michi bietet an alles im Zelt einzupacken und Kyra nutzt währenddessen nochmal eine heiße Dusche. Anschließend wechseln wir: Michi geht duschen und Kyra packt weiter ein. Als sie fertig ist, geht sie zu einem Camper hinter dem französischen Zelt, denn die beiden Besitzer*innen sind gerade am Kaffeekochen und haben ein Wittmunder Kennzeichen. Natürlich müssen wir die anderen Ostfriesen ansprechen. Erika und Jochen sind vor einigen Tagen in Deutschland gestartet und hatten eine heftige Überfahrt von den Niederlanden nach Newcastle. Nach starken Regenschauern in Ostfriesland und der schwankenden Fähre, genießen sie nun sichtlich die Sonne. Diese scheint glücklicherweise heute entgegen allen Prognosen erneut. Wir scheinen aktuell eine Glückssträhne zu haben. Michi kommt von seiner Dusche zurück und gesellt sich dazu. „Habt ihr eigentlich einen Block?“ fragt Jochen interessiert. Diesen teilen wir natürlich gerne mit und nachdem wir uns bereits verabschiedet hatten, kommt Jochen nochmal zu unserem Zelt. Er erzählt, dass er sich die Internetseite angeschaut hat und sie nett findet. Zudem fragt er, wie das eigentlich mit dem Unterstützen funktioniert. Wie nett! Und auch Erika kommt nach einer Weile nochmal zu uns, um uns ihre Handynummer mitzuteilen: „Wir haben ja nichts festes gebucht und wollen sehr zentral in Schottland sein. Sollte euch etwas passieren oder ihr etwas benötigen, ruft einfach an! Ihr dürft natürlich auch so anrufen, wenn alles gut ist“ sagt sie lächelnd. Wir freuen uns über die Hilfsbereitschaft sehr und klingeln direkt an, damit unsere Nummer ebenfalls eingespeichert werden kann. Danke nochmal! Als wir mit dem Einpacken fast fertig sind, bemerkt Michi, dass das Wohnmobil, welches unsere Powerbanks lädt, erwacht ist. Schnell holt er diese ab. Kyra hingegen hat begonnen das Frühstück zu bereiten und erzählt mit dem niederländischen Nachbarpärchen. Was für ein erzählreicher Morgen! Unsere Zeltnachbarn aus den Niederlanden hatten bereits den gestiegen Abend mit uns verbracht. Nun fahren die beiden zum Bahnhof in Edinburgh, um den Zug nach Newcastle zu nehmen. Von dort fahren sie mit der Fähre zurück in die Niederlande und sind fast zu Hause. Sie waren ganze sechs Wochen unterwegs und hatten eine tolle Zeit. Zum Abschluss haben sie sich 2 ganze Tage die Stadt angeguckt. Gegen 10 Uhr rollen die beiden los und sagen noch winkend: „Maybe we’ll meet again in the city. We are a little bit early“. Doch wir frühstücken nun erstmal in Ruhe, füllen unsere Wasserflaschen auf, gehen auf Toilette, verabschieden die Wittmunder und das Pärchen, welches dankenswerterweise unsere Powerbanks aufgeladen hat. Fertig! Nun kann der Radtag auch für uns starten und wir fahren gegen 11 Uhr vom Campingplatz hinunter in Richtung Innenstadt von Edinburgh. Die Fahrt in die Innenstadt geht schnell und schon bald erkennen wir erste Stellen, an welchen wir bereits gestern vorbeigelaufen sind.
Damit unser Drache demnächst auch wieder mit Benzin Feuer spucken kann (unser Kocher), hat Michi einen Outdoor-Laden rausgesucht, welcher Primus-Zubehör verkauft. Zielstrebig fahren wir auf diesen zu und Michi verschwindet kurz im Laden. Kyra telefoniert währenddessen mit ihrer Mutter, die heute Geburtstag hat. Herzlichen Glückwunsch nochmal von uns beiden! Leider kommt Michi ohne passendes Ersatzteil aus dem Geschäft heraus und wir entscheiden den Support die Tage erneut anzurufen, um uns das Ersatzteil zu einem Geschäft senden zu lassen. Wir verlassen die Stadt durch wunderschöne Straßen mit eindrucksvollen Häusern. „Wie viel die wohl kosten?“ fragt sich Michi laut. Zwischendurch geht es leicht auf und ab, doch alles angenehm. Als wir die Stadt fast verlassen haben, holen wir zwei Frauen ein, die gerade nach der richtigen Strecke suchen. Sie stellen beeindruckt fest, dass wir schwer bepackt sind und fahren weiter. Schnell verlieren wir die beiden, mit dem wenigen Gewicht, aus den Augen. Einige Minuten später tauchen sie jedoch erneut mit zwei weiteren Freundinnen vor uns auf. Die vier scheinen ebenfalls den Eurovelo 12 zu fahren. Eine kurze Zeit fahren wir hinterher, bis wir die hinteren beiden einholen. Nach einer Ampel geht es leicht hinunter und die vorderen beiden Frauen lassen sich Zeit. Sie scheinen unsicher zu sein, in welche Richtung es weitergeht und auch Michi muss kurz die Richtung nachschauen. Hierfür bremst er ab und Kyra weicht nicht früh genug aus, sondern legt eine Vollbremsung hin, die Emil nicht mitmachen möchte. Auf dem feuchten Schotter bricht das Hinterrad weg und Kyra liegt auf dem Boden. „Oh, Michi! Hilf mir schnell!“ ruft Kyra aufgeregt. Die Dose Cidre im Netz der Fahrradtasche ist gerissen und das alkoholische Getränk fließt über den gesamten Boden. Leider jedoch auch über die frisch gewaschene Wäsche, die hinten auf Emil zum Trocknen hängt. Zwei Ärmel von Kyras Pullis riechen nun „frisch“ nach Bier. Zum Glück geht es Emil und Kyra jedoch soweit gut. Das Knie blutet leicht und die Handballen sind stark angestoßen und werden leicht blau, doch ansonsten ist alles gut und nach einer kurzen Schreckenspause kann es weitergehen. Wäre da nicht der abgebrochene Spiegel, den Michi entdeckt: „Mist! Schonwieder der Spiegel!“ Bereits bei einem Sturz in Norwegen vor 2 Jahren hatte Kyra sich den Spiegel abgebrochen. „Och man… Ich hatte mich jetzt so an ihn gewöhnt“ sagt Kyra nur etwas traurig. Wir versuchen den Spiegel noch irgendwie anzubringen, doch leider funktioniert es nur für die ersten Meter. Kurz bevor wir die Forth Road Bridge zwischen der Forth Bridge und Queensferry Crossing South erreichen überholen wir die vier Frauen, die erneut nach dem richtigen Weg suchen und irgendwie von rechts kommen erneut. Doch einige Meter später bleiben wir stehen, denn uns kommen zwei Radreisende entgegen. Die vier Frauen überholen uns und sind verschwunden. Birgit und Stefen kommen ebenfalls aus Deutschland und sind vor 4 Tagen gestartet. Sie fahren nun in Richtung Süden immer dem Eurovelo 12 (Nordseeküstenradweg) entlang. Von Hull nehmen sie dann die Fähre zurück, diese geht am 31.07. Wir tauschen uns über die jeweils vor uns liegende Strecke aus und weitere Radreisen, die wir bisher so erlebt haben. Erneut ist es spannend sich mit anderen Radreisenden auszutauschen. Die beiden schreiben ebenfalls einen Blog, den wir uns natürlich notieren: wp.whereabouts.eu „Den schauen wir uns heute Abend im Zelt an!“ verspricht Kyra. Wir verabschieden uns, da ein Unwetter naht. „Auf der anderen Brückenseite stand ‚heavy rain‘, mal gucken was da kommt“ sagt Birgit noch. Wir winken uns und fahren jeweils in die gegensätzliche Richtung. Hoffentlich sind die beiden auf ihrer weiteren Fahrt nicht zu nass geworden. Unser Weg führt uns über die Brücke, von welche wir ein paar Segelschiffe beim Üben beobachten. Immer wieder kentert eine kleine Jolle, woraufhin das Übungsboot aushilft und die Jolle wieder aufrichtet. Über Brücken zu fahren ist für uns immer wieder ein Erlebnis. Michi stellt ungefähr auf der Hälfte des Weges fest: „Ich finde es ja doch auch immer etwas unangenehm! Stelle dir vor, du springst jetzt hier runter..“ Näher besprechen wir das Thema zum Glück nicht und kommen sicher auf der anderen Seite an.
Dort machen wir erstmal eine Pause, denn bevor wir vom Campingplatz losgefahren waren, hatte Michi noch den dort stehenden Wasserkocher benutzt, damit wir uns in einer Pause einen Kaffee machen können und Kyra war auf dem Weg raus aus der Stadt noch in einer türkische Bäckerei gesprungen und hat ein paar süße Backwaren besorgt. Nun sitzen wir kurz hinter der Brücke auf dem Boden in einer kleinen Bucht und genießen unser Picknick mit Blick auf das hinter uns herziehende Unwetter. Als wir alles verspeist und den Kaffee getrunken haben, fahren wir weiter unserem Tagesanstieg entgegen. Dieser ist zum Glück von der Steigung erneut angenehm. Nur selten sind steilere Abschnitte dazwischen, die uns leicht ins Schwitzen bringen. Immer wieder werfen wir einen Blick zurück und sehen die dunkeln Wolken bedrohlich nah kommen. In der Ferne lassen Streifen am Himmel verraten, dass es dort heftig regnet. Und schlussendlich holt uns der Regen ein, doch wir haben Glück. Es regnet nicht stark und wir entscheiden die Regenklamotten nicht anzuziehen. Nur die auf Emil und Elias trocknende Wäsche packen wir lieber in einen Sack ein, damit diese nicht erneut komplett nass ist. In leichtem Regen kämpfen wir uns den Anstieg weiter empor und überholen doch tatsächlich erneut die vier Frauen. Diese winken nur noch verlegen und wir machen es ihnen gleich. Die letzten Höhenmeter durch die fantastische Natur ist schnell geschafft und auf der anderen Seite des Hügels haben wir einen fantastischen Ausblick auf Loch Leven, wo wir die heutige Nacht verbringen möchten. Die Abfahrt ist ein großes Vergnügen und der Regen hört passend dazu auf. Nach wenigen Kilometern ist der See erreicht und wir fahren auf einem schönen Schotterweg an diesem entlang. Im Kirkgate Park begegnen wir einem weiteren Radreisenden. Diego kommt aus Chile und ist seit zwei Monaten ab Dublin unterwegs. Auf seinem Weg hierher hatte er viel Regen, doch er sagt mit einem leichten Lächeln im Gesicht, dass er Regen liebt. Jeden Abend macht er ein Video von seinem Tag und veröffentlicht es bei Instagram unter @bravewpain. Sein Plan ist hier im Park zu übernachten und morgen weiter nach Edinburgh zu fahren. Dort nimmt er Übermorgen den Zug nach London, wo er für vier Nächte ein Hostel gebucht hat. Anschließend fährt er mit der Fähre nach Den Haag und möchte nach den Niederlanden, durch Deutschland, Dänemark und Norwegen fahren. Zwischenzeitlich kommt sein Bruder hinzu. Was für eine tolle Tour und ein großartiges Abenteuer! Wir wünschen den beiden alles Gute.
Unser Weg führt uns nur noch ein kleines Stück weiter. An einem kleinen Strand entdecken wir Buchten im hohen Gras. Der Rasen ist kurz gehalten und lädt zum Zeltaufstellen ein. Das setzten wir sofort um. Der Drache wird mit Gas zum Leben erweckt und röstet uns Olivenbrot in Olivenöl an. Dazu gibt es Käse und als Nachtisch Pancakes, die wir vor einigen Tagen im Supermarkt gekauft hatten. Sie schmecken ganz okay, aber kommen an Michis frische Pfannkuchen natürlich nicht heran. Anschließend gehen wir ins Bett, schrieben Blog und schauen uns, wie versprochen, den Blog von Birgit und Stefen an (wp.whereabouts.eu). Gute Nacht!