Tag 165 - Schotterpiste (13.11.2024)

Von Guendulain nach Ermita de San Miguel Arcángel

Kurz nach Mitternacht erwachen wir durch Stimmen. Zwei Männer gehen mit Taschenlampen ausgestattet unweit von uns auf dem Camino de Santiago spazieren. Circa 30 min später erwachen wir durch diese erneut, sie scheinen nun auf dem Rückweg zu sein, uns jedoch nicht wahrgenommen zu haben. Die Nacht draußen ist sternenklar und eiskalt. Es sind nur 3°C und wie wir wissen, soll es oben in den Pyrenäen schneien. Zum Glück sind wir bereits hier. Außer, dass wir ein paar Mal erwachen, ist die Nacht ruhig und durch den voller werdenden Mond sowie die Stadt Pamplona in der Nähe erstaunlich hell. Die nächste Umgebung können wir ohne Taschenlampe gut erkennen. Ein vorletztes Mal erwachen wir gegen 5:30 Uhr, als ein Jogger direkt an unserem Zelt vorbei läuft. “Respekt”, sagt Michi nur und ist selbst noch nicht voll Tatendrang. Erst als wir 2 Stunden später aufwachen und somit um 30 min verschlafen haben, fangen wir an alles abzubauen. Wir sind erstaunt, wie spät und früh die Menschen in Spanien unterwegs sind. Allein beim Abbau sehen wir ungefähr 6 Personen. Alle von ihnen sind sportlich unterwegs und joggen oder wandern. Eine*n Pilger*in haben wir jedoch noch nicht gesehen. Als wir schließlich vor dem Start noch ein schnelles Müsli naschen sind unsere Hände und Zehen eiskalt. So kalt, dass wir beide etwas Sport treiben, um uns warm zu machen. Anschließend ziehen wir Handschuhe an und es kann losgehen. Die erste Steigung kommt schnell. Oben angekommen müssen wir anhalten. Trotz 4 °C ist es vor Anstrengung in der Jacke zu warm und auch die Handschuhe müssen aus. Kyras Finger schmerzen so doll, dass sie versucht die Handschuhe schnell runter zu reißen. Durch den Schweiß auf der viel zu kalten Haut wird die Kälte unerträglich. “So starke Schmerzen vor Kälte hatte ich noch nie”, sagt sie mit Tränen in den Augen. Michi ist bereits so warm gefahren, dass er seinen warmen Bauch zum Hände wärmen opfert. Dadurch sind die Schmerzen schnell Vergangenheit und der Ausblick auf die Pyrenäen hinter uns lässt die Stimmung positiv werden.

Ein nächster steiler Anstieg folgt und wir belohnen uns nach gerade einmal 2 km mir einem heißen Kaffee bei einer nur im Sommer geöffneten Pilgerherberge. Im Winter ist diese weiter als Café bzw Kiosk geöffnet. Zudem können wir uns einen Stempel abholen. Wir genießen den Kaffee im warmen Raum und wollen gerade das kostenlose WiFi nutzen, mit dem draußen auf einer Tafel geworben wurde, da entdeckt Kyra ein Schild, welches Michi wie folgt mit dem Handy übersetzt: “Wir haben kein WiFi, redet miteinander”. Wir müssen lachen und genießen die letzten Schlucke. Mit einem “Adios” verabschieden wir uns und verlassen die kleine Stadt Zariquiegui. Der Weg dahinter wird erneut steil und durch den losen Untergrund unbefahrbar. Wir müssen schieben und stellen lachend fest, jetzt pilgern wir den Camino frances doch zu Fuß. Es ist die längste Strecke auf unserer bisherigen Tour, die wir schieben. Die Steine auf dem Boden sind so Lose, dass wir mit den Füßen mehrmals wegrutschen. Es ist fast gefährlich und wir müssen konzentriert aufpassen. Als wir gerade wieder halt unter den Reifen finden und eine Strecke fahren können, überholt uns ein Mountainbiker und ein anderes kommt uns entgegen. Dann machen wir kurz Pause um den Ausblick zurück zu Pamplona und den Pyrenäen genießen zu können. Es ist einfach wunderschön und wir haben Glück mit dem Wetter. Während wir ein paar Fotos machen, sehen wir die ersten Pilger den Berg erklimmen. Wir lassen einige passieren und schwingen uns anschließend erneut auf die Drahtesel. Bereits nach kurzem müssen wir schieben, doch das Ende ist in Sicht und wir haben es geschafft.

Wir stehen oben an Mirador Alto del Perdón, dem Pilgerdenkmal. Menschengroße Figuren ragen in die Höhe und haben das Aussehen von Pilgern zu Fuß und auf Eseln. Wie passend, dass wir mit unseren Drahteseln hier sind. Der Ausblick hinter diesen ist einmalig. Erneut schauen wir über das Tal nach Pamplona und doe Pyrenäen, doch diesmal sehen wir die tatsächlich nun schneebedeckten Bergspitzen in der Ferne. Unglaublich! Und auch der Blick in die andere Richtung zum anderen Tal ist ein Traum. Wir genießen trotz eisigen Wind den Ausblick und fragen eine Frau, die den Jakobsweg Wander, ob sie ein Foto von uns machen kann. Anschließend machen wir ein Bild von ihr. Sie ist heute in Pamplona gestartet. Es ist ihr erster Tag und sie möchte den gesamten Weg bis nach Santiago gehen. Während wir kurz reden kommen weitere Personen hinzu. Chris und Na versuchen eine Drohne steigen zu lassen, doch das kleine Gerät hält dem Wind nicht stand. Wir sprechen sie an und lassen Fridolin ebenfalls starten. Na kommt aus Südkorea und empfiehlt uns sein Land sehr. Wir berichten ihm bereits Bilder und Videos von den Fahrradwegen in Südkorea gesehen zu haben und tatsächlich überlegen dort hin zu fahren. Er ist begeistert und nach kurzer Zeit kommt eine dritte Person, die sich als Philipp vorstellt, hinzu. Kurz darauf verschwinden die drei und wir suchen nach dem Weg. Der offizielle Jakobsweg bzw. Camino frances ist von losen Steinen bedeckt und steil. Es sieht etwas gefährlich aus und fahren ist unmöglich. Die Straße hingegen ist weder Jakobsweg noch Eurovelo, also entscheiden wir uns spontan über die lösen Steine zu schieben und den anderen Pilgern zu folgen. Die ersten Kilometer sind hart und wir wundern uns sehr, als wir entdecken, dass der offizielle Pilgerradweg tatsächlich hier lang geht. Wer kann das nur fahren? Wir mit dem Gepäck auf jeden Fall nicht. Langsam werden die losen Steine weniger und es bildet sich ein guter Schotterweg. Wir steigen auf die Drahtesel und lassen uns zum nächsten Ort Uterga rollen.

Dort füllen wir unsere Wasserflaschen an einem Brunnen auf und überholen nach der Stadt alle am Denkmal getroffenen Pilger nacheinander. Wir wünschen uns “Buen Camino” und alles Gute für die Zukunft. Der Weg ist währenddessen plötzlich für ein kleines Stück halbwegs flach und wunderschön. Er führt unter Olivenbäumen vorbei Bis wir den nächsten Ort Muruzábal durchqueren. Rasant fahren wir anschließend hinab, durchqueren Obanos und erreichen die Stadt Puente la Reina. Leider erhalten wir in beiden keinen Stempel, da wir anscheinend einfach nicht den richtigen Ort dafür finden. In den Kirchen ist niemand und das Rathaus sowie die Pilgerherbergen haben geschlossen. Doch die Iglesia de Santiago ist von innen wesentlich schöner, als es von außen scheint. Der Innenraum ist mit Gold übersät und wirkt majestätisch, pompös auf seine Besucher. Die darauf folgende Innenstadt ist ebenfalls beeindruckend. Die alten Häuser haben wunderschöme Verziehrungen an den Dachbalken und überall riecht es lecker durch die umliegenden Lokale. Uns lächelt ein Bäcker an, in den Kyra kurz reinhüpft und mit 3 Teilchen wieder herauskommt. Wir klemmen die zwei Tüten jedoch erstmal gut weg, Denn wir wollen nach einem schönen Ort zum Essen suchen. Wir verlassen die Stadt über eine hübsche kleine Brücke und erreichen erneut einen Schotterweg. Erneut wird dieser so steil, lose und kaputt, dass wir schieben. Zwischenzeitlich ist ein Drittel des Weges weggespült. Gekonnt schieben wir die Drahtesel auf der einen Seite und laufen selbst aif der anderen. Michi, der meist schneller oben ist, stellt Elias ab und hilft Kyra beim Schieben Von hinten. Es ist unglaublich Kräftezehrend und oben angekommen können wir unseren Augen kaum glauben. Ein Auto hat mitten auf dem Weg geparkt. Es ist genauso breit, wie die Straße. Michi ist wütend, doch es hilft nichts, irgendwie müssen wir vorbei. Zum Glück ist auf der rechten Seite ein kleiner Graben, damit Das Wasser bei Regen ablaufen kann. Mit viel Kraft schieben wir die Fahrräder hinein, vorbei und wieder heraus. “Es war nicht so schlimm wie gedacht, aber wie kann er nur?” fragt Michi weiterhin sichtbar genervt. 

Darauf habe wir keine Antwort und werden es wahrscheinlich nie erfahren. Wir rollen hinunter und gelangen in die Stadt Mañeru, wo wir nun unsere verdiente Pause einlegen. Wir setzen uns auf die Erstbeste Bank und essen das gestern gekaufte Baguette mit Wurst, Marmelade und Ölivenöl, welches umgefallen und fast ausgelaufen Ist. Auf den Steinen vor unserer Bank haben wir nun eine große Olivenölpfütze. Ein älterer Herr kommt um die Ecke und setzt sich auch die noch freie Bank. Ohne sich anderweitig zu beschäftigen sitzt er da und schaut in die Gegend. Als wir unser Baguette aufgegessen haben und zum Nachtisch übergehen, bietet Kyra ihm Mandeln und getrocknete Feigen an, doch er lehnt dankend ab. Als er aufsteht und geht wünscht er uns “buen Camino”. Wir bedanken uns und insbesondere Michi wird etwas sentimental. “Wie vergänglich alles ist. So kurz ist unser Leben auf der Erde, das wird mir irgendwie erst aktuell richtig bewusst. Als junger Mensch hatte man gefühlt noch so viel Zeit und wenn ein Tag einfach so verstrichen ist, war es für ein nicht schlimm”, stellt er fest. Ein passender Gedanke, um einzupacken und weiterzufahren. Zuvor wischen wir die ÖolivenölPfütze noch mit etwas Klopapier weg. Wir schwingen uns auf die Drahtesel und fahren weiter. Der Weg führt uns wunderschön erneut an Olivenbäumen vorbei, die etwas erhöht auf einer Steinmauer stehen. Spanien, wie im Bilderbuch. Und dann erscheint vor uns etwas erhöht traumhaft die Stadt Cirauqui. Von der Sonne angeschienen wirkt sie fast majestätisch. Wir strampeln uns hoch, hindurch und wieder runter. Auf der anderen Seite der Stadt sehen wir ein Stück erhaltene römische Fernstraße. Unser Weg führt uns jedoch weiter über die Autobahn. Erneut bei Olivenbäumen sehen wir ein Schild mit der Aufschrift: “Hilf uns diesen Ort mit zu gestalten”. Ein Olivenbaum ist mit allerhand Sachen von Pilgern geschmückt. Wir sehen Muscheln, Buffs und weitere Tücher. Auch stehen überall Stühle und es wurden einige Sachen aus Holz bunt angemalt. Eine Katze kommt aus ihrem Versteck hervor und bettelt uns nach Futter an. Der Ort ist interessant und so verlassen leicht unheimlich zugleich. Dann verpassen wir kurz eine Abzweigung und erkennen erst nach dem zurückfahren, wie Fahrradunfreundlich diese ist. Michi schafft es so gerade zu fahren, Kyra schiebt. Eine Weile geht es in der Nähe der Autobahn entlang. In Lorca sehen wir zwei Pilger relativ fertig neben Automaten mit Getränken und Süßkram sitzen. Wir rufen Ihnen “Buen Camino” zu und radeln weiter. Unser heutiges Ziel ist nicht mehr weit. In Ayegui gibt es eine günstige Herberge mit Essen, diese möchten wir nach dem anstrengenden Tag gerne nutzen. Doch kurz nach Villatuerta, wo uns ein Spanier Auf spanisch versucht den Weg zu erklären, finden wir eine alte kleine Kirche zwischen Olivenbäumen. Davor sind ein paar Tische und Bänke aufgestellt. Durch die Bäume könnte man super etwas versteckt das Zelt aufbauen. Zudem verspricht die Nacht sternenklar zu sein und mit 6°C wesentlich wärmer als die letzte. Nach kurzem Umschauen und einem Blick in die Kirche ist schnell klar, dass wir hier bleiben. Beim Aufbau des Zeltes huscht eine Maus an uns vorbei, weshalb wir lieber kein Essen mit ins Zelt nehmen. Wir sind sowieso kaum hungrig und essen jeder nur ein Apfel sowie Kyra noch eine Banane, um ein bisschen Magnesium im Körper aufzufüllen. Wir verkriechen uns pünktlich zur Dunkelheit ins Zelt, schreiben noch etwas Blog und schlafen ein. Gute Nacht.