Tag 167 - Unvergessliches Erlebnis (15.11.2024)

Von Logroño nach Grañón

Gegen 5:30 Uhr werden die ersten Bewegungen im Schlafsaal mehr. Die ersten wälzen sich von einer auf die andere Seite und andere gehen auf Toilette. Schließlich können wir die ersten Reißverschlüsse von Schlafsäcken hören und wie diese eingepackt werden. Gegen kurz nach 6:00 Uhr ist schließlich großes Treiben, doch alle versuchen noch leise zu sein. Wir sind zu unserem Erstaunen fast mit die ersten, die aus dem Schlafsaal gehen. Wir stellen unsere Sachen im Flur unter und gehen zum Frühstück nach oben. Dort liegt Toast und Marmelade bereit sowie Kaffee und Milch. Wir schenken uns beiden Kaffee ein und da dieser kalt ist, machen wir etwas heißes Wasser obendrauf. Leise essen wir unser Toastbrot, bis Paul ebenfalls den Raum betritt. Er setzt sich ganz in die Nähe von uns und wir tauschen uns übers Reisen aus. Paul wird heute ebenfalls die Herberge verlassen, er hatte in letzter Zeit als “Hospialero” (Ehrenamtlicher in einer Herberge am Jakobsweg) gearbeitet. Er möchte den Camino Ingles gehen, also von Norden in Richtungen Santiago. Dort trifft er dann eine Freundin, die aktuell von Süden, also den portugiesische Jakobsweg, läuft. Anschließend geht es für ihn zurück in die USA. Spannend! Wir quatschen so lange, dass in der Zwischenzeit andere Pilger zum Frühstücken kommen und gehen. Schließlich sind wir die letzten und verlassen erst um kurz nach 8 Uhr die Herberge. Wir stehen in tiefen Nebel gehüllt auf den Straßen von Longrono. Die relativ große Stadt ist jedoch schnell verlassen. Mehrmals winken wir, wünschen alles Gute und rufen buen Camino den anderen Pilgern von letzter Nacht zu, die wir mit dem Fahrrad überholen. Dabei überkommt uns das Gefühl selbst laufen zu müssen. Während wir die ersten Meter auf Schotter im Nebel hinauf fahren, reden wir darüber und nehmen uns vor, den Jakobsweg irgendwann zu Fuß zu laufen. Dann ist erstmal stopp. Kyra klagte gerade nich darüber, wie schwer es ihr heute fällt, da bemerken wir den Platten am Hinterrad. Wir packen Emil ab und beginnen das Loch zu suchen. Während wir flicken überholen uns alle Pilger zu Fuß und wir begegnen uns strahlend erneut. Da fühlt sich der Platte gar nichr so schlimm an. Einige bleiben sogar stehen, sind interessiert oder fragen, ob sie helfen können. Insbesondere ein Paar aus Asien ist ganz fasziniert, dass man Fahrradreifen flicken kann. Nach einiger Zeit kann es dann für uns weitergehen und nun holen erneut wir alle wieder ein. Zum Teil müssen wir schmunzeln und winken uns. Bei dem Niederländer, der letzte Nacht unter Michi im Etagenbett geschlafen hat, fahren wir langsam mit. Er wird von zwei weiteren Frauen begleitet, die unglaublich nett sind. Dann wünschen wir ein letztes Mal “buen Camino” und verschwinden im Nebel. Wir fahren eine Weile durch Felder, bis unsere Mägen nach einem zweiten Frühstück verlangen.

Wir finden eine überdachte Bank und setzen uns. In dem Moment bekommt Michi eine Nachricht von Arsene, der uns einholen wollte, um den Tag nochmal mit uns zu fahren. Seine Kette spielt irgendwie verrückt und er kann nicht mehr fahren. Wir versprechen ihm zu warten, bis er die letzten Meter zu uns geschoben hat. Schneller als gedacht, steht er grinsend vor uns. Das Problem ist schnell gefunden, sein Schaltzug ist gerissen. Damit er jedoch nichts falsch macht, ruft er einen Freund aus der Heimat an, der ihm übers Telefon erklärt, was er zu tun hat. Leider hat er jedoch kein Ersatz, weshalb er zum nöchsten Fahrradgeschäft zurück muss. Dieses liegt ausgerechnet 20 km in Logroño entfernt. Zur Motivation heitern wir ihn auf und isst er 2 Schokoriegel, dann macht Er sich auf den Rückweg und wir fahren weiter. Es geht für den Camino frances relativ flach daher und schnell haben wir Viktor, einen der Pilger von gestern, eingeholt. Die anderen sind weiterhin hinter uns geblieben. Viktor ist sehr früh gestartet und schnell unterwegs, somit hat er sein Ziel nun um 13 Uhr bereits erreicht. Wir schieben eine Weile neben ihm her, während er in Nájera seine gebuchte Herberge sucht. Dazu fragt er einige Leute auf spanisch, er selbst kommt aus Ulm. Wir gehen zur dritt zur Herberge, wo Viktor diese Nacht bleibt und wir einen Stempel abholen. In der Unterkunft ist allerhand los. Erst checken zwei Personen aus Südkorea ein, dann kommen wir drei und dann scheinen alte Freunde des Inhabers zu kommen, denn er stürmt zur Tür und umarmt diese fest und lang. Alle sind herzlich. Wir gehen jedoch raus, da es etwas voll wird. Viktor macht von uns Fotos für seine Freunde, die ebenfalls gerne Rad fahren, dann verabschieden wir uns. Unser Plan ist weitere 15 km zum Kloster San Millán de la Cogolla zu fahren. Vielleicht finden wir dort etwas zum Schlafen? Wir radeln los den Hügel hinauf. Die Landschaft ist zunächst toll, dann nach dem Hügel wird sie eintönig und der Nbel wieder dichter. Es geht einige Male leicht hoch und wieder runter, bis wir die kleine Stadt mit Kloster erreichen. San Millán ist ein Klosteresemble aus den zwei Klöstern mit dem Zusatz “de Yuso” (unten) und “de Suso” (oben). Das Kloster San Millán de Yuso liegt oberhalb des im Tal liegenden San Millán des Yuso und ist aufgrund des Nebels für uns aktuell leider nicht sichtbar. Beide Klöster wurden 1997 zum Weltkulturerbe ernannt. Der Ort sieht nett aus, doch das Kloster ist touristisch, weshalb wir nicht viel Zeit hier verbringen und wieder zurück fahren. Der Nebel wird immer dichter und als wir eine lange Straße hinauf fahren, sehen wir nur noch weiß. Wir halten kurz für eine Toilettenpause und überlegen das Zelt aufzubauen, doch wie es der Zufall will, halten die wenigen Autos genau hier. Wir gucken auf die Liste mit Herbergen und entscheiden spontan zu versuchen bis nach Grañón zu kommen. Wir haben noch circa 1 h Helligkeit und bis dahin sind es 16 km. Im Flachen machbar, aber mit den Hügeln und häufig achlechten Untergrund?

Zum Glück geht es nun jedoch rasant bergab und wir erreichen die Stadt Santo Domingo de la Calzada schnell. Somit sind wir auch endlich zurück auf dem offiziellen Camino frances, da der Abstecher zum Kloster nur ein Zusatz war. Wir rollen durch die Stadt und hinaus. Die Straße ist gesperrt, doch wir vwrsuchen trotzdem unser Glück. Es passt alles und Eine Minute später befinden wir uns aif dem Schotgerweg des Jakobswegs. Die letzten Kilometer fühlen sich bekanntlich am längsten an. Wir vertreiben uns die Zeit mit Singen und üben das Pilgerlied von gestern. Dann geht es noch zweimal kurz bergauf während die Sonne bereits untergegangen ist und es langsam dunkel wird. Mit dem letzten Licht kommen wir in Grañón an und finden die Kirche schnell. Der Pfarrer schließt soeben die Kirche und als wir ihn ansprechen zeigt er uns den Weg zur Herberge. Diese ist im Glockenturm der Kirche. Bereits unten werden wir herzlich von drei Hospitaleros empfangen. Wir sollen die Fahrräder einfach stehen lassen und in den zweiten Stock des Turms gehen, sie kümdigen uns schon einmal an. Wir sind in diesem Moment einfach nur erleichtert, dass wir um kurz nach 18 Uhr nicht zu spät sind und freuen uns unglaublich über den netten Empfang. Wir stellen unsere Schuhe zu den anderen Wanderschuhen am Eingang und erklimmen in FlipFlops die zwei Stockwerke auf der alten Steintreppe. Schlafen im Glockenturm, was für ein Erlebnis! Auch oben werden wir nett empfangen. Carlos und Roberto, ebenfalls Hospitaleros, empfangen uns erneut nett. Wir bekommen alle Informationen zum Aufenthalt und zunächst ein Glas Wasser eingeschenkt. Wir sollen uns hier ganz wie zu Hause fühlen und die Zeit genießen. Zudem ist diese Nacht eine besondere Nacht, denn die Hospialeros wechseln sich ab. Es sind immer drei Ehrenamtliche da, nur diese Nacht sind sie zu sechst aufgrund des Wechsels. Mit den 8 Pilgern sind wir dadurch 14 Personen. Ein kleiner netter Kreis an Menschen. Wir stellen uns vor, gehen nochmal runter zu den Fahrrädern und springen schnell unter die Dusche. Um kurz vor 19 Uhr sind wir fertig und werden so nett, aber auch bedingungslos zur Messe eingeladen, dass wir mitgehen. Dort Sind auch alle anderen sowie einige Menschen aus dem Ort versammelt. Die Kapelle, welche sich durch einen Extraeingang getrennt, in der Kirche befindet, ist voll. Als der Pfarrer eintritt, fangen alle an zu singen. Da die gesmte Messe auf spanisch ist, verstehen wir nicht viel. Die Rituale und Abläufe sind jedoch genauso, wie in einer deutschsprachigen katholische Gemeinde und obwohl wir beide evangelisch sind kommen wir aus sehr katholischen Gegenden und können dadurch halbwegs folgen. Nachdem die Kommunion gefeiert wurde, sollen alle Pilger nach vorne treten und wir werden gesegnet, dann ist die Messe vorbei. Mit hungrigen Mägen laufen wir alle den Glockenturm hinauf. Auf den Tischen steht bereits Salat und uns werden jedem eine Schüssel Linseneintopf auf dem Platz gestellt. Neben Kyra sitzt Bo, er kommt aus Dänemark und war früh genug da, um beim Kochen zu helfen. Er durfte den Eintopf, der eigentlich als Suppe gedacht war, verrät er uns, rühren. Wir unterhalten uns nett mit ihm. Gegenüber sitzt Taylor. Er kommt aus den USA und hat schon viele Reisen durch die ganze Welt gemacht. Er erzählt uns, welche Länder wir unbedingt besuchen sollten. Zudem sitzt uns der Pastor gegenüber, welcher auf spanisch mit den Hospitaleros spricht. Er erklärt nochmal, dass wir zwar nicht die gleiche Sprache sprechen, der Camino uns jedoch verbindet und wir dadurch einander verstehen. Bevor wir anfangen zu Essen wird auf drei Sprachen (spanisch, englisch und französisch) erklärt, dass die Pilgerunterkunft von Pilgern selbst errichtet wurde, nachdem das Dach eingestürzt war. Die Unterkunft lebt rein auf Spendenbasis und ehrenamtlicher Tätigkeiten. Spendenbasis heißt dabei nicht umsonst, sondern nur, dass ein anderer zahlt. Das was wir bekommen, kommt durch die Spenden anderer und das was die Personen bekommen, die folgen, folgt aus den Spenden, die wir wiederrum hinterlassen. Was für eine schöne Erklärung. Dann werden wir gebeten alle einen Bekannten Rhythmus zu schlagen und der rapt mit den Hospitaleros den Essens-Segen-Rap. Während wir alle anfangen zu essen herrscht eine ausgelassene Atmosphäre. Es fühlt sich so an, als wäre man angekomme. Alle sind nett, rücksichtsvoll und bemüht. Zum Nachtisch gibt es Joghurt. Als wir alle aufgegessen haben, wird das Besteck und Geschirr an das Ende des Tisches geschoben und drei große Wannen mit Wasser auf den Tisch gestellt. In der ersten ist Spülmittel. Wir, die am anderen Ende des Tisches sitzen, bekommen Handtücher in die Hand gedrückt. Anschließend wird Musik aufgedreht und alle zusammen spülen das Geschirr, singen und tanzen dabei. Ser Tisch sieht wie eine kleine Waschstraße für Geschirr aus. Es ist einfach herrlich. Nach dem Abspülen gehen wir, wie bereits in Longrono alle zusammen in doe Kirche zum Nachtgebet. In der Kirche ist kein Licht an, nur der Altar ist beleuchtet und Kerzen stehen zwischen den Sitzen. Wieder bekommen wir das Abendgebet in unserer Muttersprache und werden die einzelnen Abschnitte in die unterschiedlichen Sprachen aufgeteilt. Wir, als einzige deutschsprachige, dürfen zwei Absätze eines Gebetes vorlesen. Am Ende wird eine Kerze, als Pilgerkerze, von Person zu Person gereicht. Dabei sollen wir, ebenfalls in unserer Muttersprache, für etwas danken. Michi dankt dafür hier zu sein und wünscht jeder anwesenden Person den eigenen Weg zu finden. Kyra dankt für die Erfahrung des Caminos, die sie stärkt und davor bewahrt die manchmal schwere Reise abzubrechen. So dankt jede Person für etwas sehr Privates. Anschließend beten wir im unseren Muttersprachen laut das Vater unser und uns wird erklärt, dass wir hier keinen Stempel bekommen für unseren Pilgerpass, sondern einen Stempel aufs Herz. Daraufhin bekommen wir feste Umarmungen und wünschen uns gegenseitig “Buen Camino”. Wir genießen den Moment und sind gestärkt, als wir in den Glockenturm zurück steigen. Dort angekommen gehen wir nur noch auf Toilette, putzen Zähne und gehen schlafen. Gute Nacht!