Tag 248 - Die Insel ruft

Fahrrad-Weltreise: Mittelmeer über Palma nach Cala Blava

04.02.2025

Lesedauer ca. 7 min

Es ist ca. 5 Uhr, als Michi das erste Mal aufwacht. Er blinzelt und zieht die Mütze höher. Die Deckenleuchten blenden ihn. Er kneift die Augen zusammen, zieht die Schuhe an und schleicht auf die Toilette. Als er zurückkommt, erwacht auch Kyra vom rythmischen Klopfen, gefolgt von einem Zischen, dass entsteht, wenn Wasserdampf durch gemahlenen Kaffee gepresst wird. „Guten Morgen. Mhm Kaffee“, sagt sie schläfrig und wir beide schnuppern ein wenig. Dann räumen wir schnell unsere Schlafstätte auf und schon sieht es so aus, als wäre dort nichts gewesen. Wenig später hallen unverständliche Durchsagen über das Deck. Zunächst auf spanisch dann auf englisch. Beides ist so verrauscht, dass wir nur einzelne Worte erahnen. Zum Glück geht es nicht nur uns so. Wir blicken uns an und entscheiden, dass wir vermutlich bald anlegen werden. Früher als gedacht. Klasse und so ist es. Doch als wir zu unserem Fahrradcontainer gehen ist dieser noch verschlossen. Wir fragen nach… warten… Motoren starten… Michi fragt erneut nach… Ein Mitarbeiter entschuldigt sich, ein anderer geht los und holt einen Schlüssel und sperrt schließlich den Container auf. Wir tragen unsere Taschen und Fahrräder erneut, wie am Vorabend, durch die Autos hindurch. Unter uns hören wir bereits Fahrzeuge an Land rattern. Auf einmal herrscht auf unserem Deck Unruhe. Alle Fahrzeuge müssen wenden. Teils beginnen die Fahrer eigenständig zu drehen, teils achten sie auf das Personal. Manche treffen die Rampe auf das untere Deck nicht. Schlussendlich blockieren sich alle gegenseitig und wir retten uns mit den Drahteseln in eine Lücke bei den Containern. Langsam löst sich der Stau Stück für Stück auf. Das haben wir auf unserer Fahrrad-Weltreise auch noch nicht erlebt. Wenig später rollen wir als die Letzten von Bord auf die spanische Insel. Wir verabschieden uns vom Personal und Mallorca begrüßt uns kühl, mit sanft im Wasser wiegenden Segelyachten sowie noch in Dunkelheit gehüllt.

Wir planen auf einer Parkbank unser weiteres Vorgehen und fahren im Morgengrauen zum Plaça Major und in ein nahe gelegenes Café. Der Kuchen ist mit etwa 4 € pro Stück für uns zwar nicht gerade billig, aber er sieht einfach zu gut aus. Insgesamt zahlen wir mit dem Kaffee 14 €, für Palma im Zentrum absolut vertretbar. Wir reichen 20 € über den Tresen und erhalten 16 € zurück. Da sogleich der nächste Kunde bedient wird, setzen wir uns erst verdutzt. Dann geht Michi in einer Lücke zurück und reicht der Kellnerin die 10 €. Sie freut und bedankt sich sogleich. Wir sind ebenso glücklich und müssen unsere Aussage über den Kuchen revidieren. Er ist sein Geld wert, dazu der Kaffee und die Aussicht auf das langsam erwachende Treiben auf Palmas Straßen.

Wir schreiben  verschiedene Personen in Barcelona an, um eventuell einen kostenfreien oder -günstigen Schlafplatz für morgen zu ergattern. Dann planen wir unseren weiteren Tagesablauf und schwingen uns auf unsere Drahtesel, „Emil“ und „Elias“. Zunächst geht es zum Markt und zum Llotja de Palma, wir erhaschen einen Blick auf die Kunstinstallationen im Inneren und werfen uns in den Verkehr.

Auf dem Platz gegenüber des Königspalastes La Almudaina und der Kathedrale Basilica de Santa Maria de Mallorca stehen zahllose fliegende Händler und versuchen den ersten Touristen, vorwiegend Deutsche, allerhand zu verkaufen. Wir haben als Radreisende dank unserer schwer beladenen Fahrräder, wie Soft, eine Art „Tarnumhang“ und sind für diese beinahe unsichtbar. So genießen wir den Blick auf den Palast, die Kathedrale und die Fische im großen Becken davor.

Im strahlenden Sonnenschein werfen wir noch einen Blick zurück auf das Castell de Bellver. Dann radeln wir die schier endlose Promenade entlang. Möwen ziehen gemeinsam mit Segelschiffen übers spiegelglatte Meer. Die Szenerie beeindruckt uns und insbesondere die  glatten Kanten herausgeschlagener Blöcke im rotbraunen Felsen beeindrucken uns. Die Radwege sind schmal, aber gut in Schuss. Wir erreichen den Flughafen und beobachten die im Minutentakt einfliegenden Flugzeuge. Ein Herr spricht uns an. Stefan ist früher selbst kleine Maschinen geflogen und erklärt, dass die Bedingungen heute traumhaft seien. Wir sprechen ein wenig. Er erholt sich von einem Sturz in Deutschland und hat entschieden, dass er dies auch hier im angenehmen Wetter machen kann. Dann wechselt das Thema langsam hin zur Politik und der anstehenden Wahl in Deutschland. Er ist sehr unzufrieden mit der Politik, sowohl der aktuellen, als auch der, der vergangenen Jahre. Wir sprechen über die erkannten Herausforderungen und wie man diese überwinden könne. Stefan will, dass die Politiker mal wieder aufwachen und mehr Realpolitik betreiben, um Deutschland wieder zu dem aufstrebenden Land zu machen, in dem er aufgewachsen ist und das er in die Brüche gehen sieht. Sein Mittel, er möchte aus Protest eine Partei wählen, die aus seiner Sicht zwar in fast allen Themen keine sinnvollen oder gar umsetzbaren Lösungen präsentiert. Kurz, er möchte der Politik einen Denkzettel verpassen und baut zugleich darauf, dass die von ihm gewählte Partei in der politischen Verantwortung ebenso mit der Realität konfrontiert wird und sich somit selbst entzaubert. „Bei der nächsten Wahl, wähle ich dann vielleicht auch wieder anders“, sagt er mit einem ernsten Blick. Wir tauschen Argumente aus und erkennen, dass er eigentlich gänzlich andere Überzeugungen hat. Er weiß über den menschengemachten Klimawandel Bescheid, er stellt auch die Vorteile einer Mitgliedschaft in der EU für Deutschland und die EU selbst heraus. Zudem plädiert er für ein Migrationsmodell nach dem Vorbild Kanadas oder Australiens. Außer Frage ist für ihn jedoch, dass Zuwanderung nötig ist. Wir würden gerne alle Themen noch durchsprechen, doch wir haben außer dem Kuchen heute Morgen nichts gegessen. Stefan möchte auch zu seiner Lieblingseisdiele nach Palma wandern. Wir erkennen, dass noch Redebedarf besteht. Außerdem ist es interessant mit jemandem sachlich zu sprechen, der eine völlig andere Partei als wir wählen möchte. Häufig arten derartige Gespräche schnell aus. Dann entsteht keine Diskussion, kein Austausch von Argumenten und kein Hinterfragen der jeweils anderen Position. Es werden einzig Standpunkte klargemacht und jede Abweichung von dieser als falsch, dumm oder zumindest verklärt dargestellt. Da hier beidseitig Verständnis gezeigt wird, sind wir an einem weiteren Austausch interessiert. Wir tauschen Nummern aus. Vielleicht sehen wir uns heute Abend wieder und so ziehen wir unsere Wege. Der Radweg schlängelt sich nun direkt unterhalb der Promenade am Strand entlang und wir gelangen auf die, in der Hauptsaison überfüllte, Partymeile. Der Ballermann… Kneipen, Bars und Diskotheken reihen sich aneinander. Wir sind froh, nicht im Trubel feierwütiger und alkoholisierter Touristen hier entlang radeln zu müssen. So können wir den Strand genießen und den älteren Pärchen und Grüppchen zusehen, wie sie in der Sonne an der Promenade schlendern oder in einer der Lokalitäten frühschoppen. Kurz könnte man meinen, dass man in Deutschland, zumeist Bayern, sei. Es gibt Bratwurst, Currywurst und Bier im Maßkrug oder „vom Fass“. Auch ein „traditionelles“ Weißwurstfrühstück wird beworben. Allerdings etwas außerhalb und mit Lamas. Wir fahren ebenso zu einem deutschen Discounter, Lidl. Nachdem wir alles zusammen haben, essen wir Eis und fahren zum Strand. Dort kochen wir Eiernudeln mit Erdnussbutter und Kokosmilch sowie Gemüse. Satt und entspannt begeben wir uns auf Schlafplatzsuche

Wir haben uns ein kleines Fleckchen an der Küste herausgesucht. Wir springen noch kurz in einen kleinen Supermarkt, um spontan einen Wein zu kaufen. Dann geht es einen Hügel hinauf und wir gelangen durch einen kleinen Wald in eine Siedlung. Der Weg ist mit Steinen versperrt, sodass wir gemeinsam ein Fahrrad nach dem anderen über diese heben müssen. Es geht einen sehr groben Schotterweg entlang und dann sehen wir die Bucht und Palma auf der anderen Seite. Wir sind allein. Doch als die Sonne gen Horizont sinkt und die wenigen Wolken rosa färbt, kommen Spaziergänger, Fischer und Pärchen. Wir genießen unseren Wein und Chips und lassen den Blick über das endlose Blau schweifen. Dann verschwinden die anderen Menschen und wir sind erneut allein. Geschwind ist das Zelt aufgebaut und wir telefonieren noch mit Stefan. Er war Eisessen in der Sauna und möchte noch eine Kleinigkeit trinken gehen. Für ein persönliches Treffen wird es jedoch zu spät, da wir morgen in aller Frühe die Fähre nach Barcelona erwischen müssen. So sprechen wir noch etwas über Politik, aber auch andere Themen. Am Ende lässt er durchblicken, dass auch seine Tochter nicht gerade erfreut über seine noch nicht endgültige Wahlentscheidung ist. Andere Freunde hingegen würden ihn nicht mehr für voll nehmen, wenn er nun umschwenken würde. „Zum Glück leben wir in einer Demokratie, in der wir nicht nur die Wahl, sondern auch eine geheime Wahl haben“, geben wir zu bedenken. „Da habt ihr Recht und ich werde es mir noch einmal überlegen. Fast habt ihr mich ja soweit“, sagt er irgendwie erleichtert. „Am Ende ist es deine freie Entscheidung. Wichtig ist nur, dass man auch nach der Wahl aufrichtig zu seiner Entscheidung stehen kann“, gibt Michi zu bedenken. Wir verabschieden uns und wollen in Kontakt bleiben. Kurz darauf putzen wir Zähne und schlafen ein. Gute Nacht.