Tag 25 - Flaches Land (26.06.2024)

Von King's Lynn in die Nähe von Woodhall Spa

“Ich könnt hier noch ewig bleiben”, begrüßt Michi lächelnd den Tag in unserem gemütlichen Bett im Hotelzimmer. “Stimmt”, lächelt Kyra. “Aber wir haben anderes spannendes vor”, sagt sie weiter. „Stimmt“, bestätigt Michi wiederum lächelnd. Bevor wir unsere letzten Sachen zusammenpacken, nutzen wir erstmal das Gemeinschaftsbad. Gemeinschaftsbäder kennen wir sonst nur aus Hostels oder von der DJH, aber in Hotels hatten wir bisher immer unser eigenes Bad. In England scheint ein Gemeinschaftsbad jedoch häufiger der Fall zu sein. Das Bad hier ist groß und sauber. Es gibt sogar eine Badewanne. Um die anderen Gäste jedoch nicht von der Toilette abzuhalten, obwohl es eine zweite im Erdgeschoss gibt, gehen wir lieber duschen. “Oh nein, der Wecker geht in 10 min!” stellt Kyra erstaunt fest. “Macht nichts. Ich beeile mich und stelle ihn aus” meint Michi. Also putzt Michi beim Duschen in der großen Dusche die Zähne und ist pünktlich nach 9 min fertig. Perfekt! Als er bereits auf dem Zimmer ist und die Elektronik sortiert, genießt Kyra noch die warme Dusche und wohltuende Hygiene. Doch auch sie lässt sich nicht ewig Zeit und kommt schnell ins Zimmer zurück. Die Wäsche vom Vortag ist bei der Wärme im Zimmer schnell getrocknet und kann eingepackt werden. Nasse Anziehsachen sind immer eine Qual für uns. Wenn es tagelang regnet und nichts trocken wird, kann einem die Freude am Fahrradfahren und insbesondere Zelten schnell vergehen. Gut, dass wir aktuell circa 26-28°C haben und das im sonst so verregneten England! Ein Sommer, wie wir uns ihn besser nicht hätten wünschen können, zumindest bisher. Nach Einpacken und Abspülen tragen wir unsere Taschen nach und nach in den Flur. Am Ende folgen Emil und Elias, welche uns auf das Zimmer begleiten durften. Ein letzter Blick, ob wir auch nichts vergessen haben, erleichtert uns und somit können die Drahtesel runtergetragen und gesattelt werden. Im kleinen Laden nebenan kaufen wir noch frische Milch, einen Milchkaffee und Schokobrötchen fürs Frühstück. 

Anschließend verlassen wir King’s Lynn auf mittlerweile bekannten Wegen. Zunächst geht es ein kleines Stück an der Great Ouse zurück, bevor wir über Landstraßen durch kleine Örtchen fahren. Immer wieder spüren wir die rücksichtsvolle Art der Engländer, welche geduldig hinter uns herfahren, bis eine einsehbare lange Gerade kommt, auf welcher sie uns überholen können. Einstimmig gehen wir davon aus, dass wir in anderen Ländern längst nah überholt wären. Nur selten kommt es zu knappen Überholungen, die aus unserem Blick waghalsig aussehen. In einem größeren Kreisverkehr (auch hier ist die Richtung links, nichts rechts) bremst ein Auto plötzlich stark ab und steht halb vor Kyra. Nervöse Blicke und eine aufregende Stimme kommen aus dem Auto, wir fahren schnell weiter. “Ich war doch im Kreisverkehr, wollte nicht raus und habe doch dann Vorfahrt?” fragt Kyra komplett überrascht und mit schnell pochendem Herzen. “Vielleicht dürfen wir auf dieser Straße gar nicht fahren und sie hat nicht mit einem Fahrrad gerechnet?” meint Michi. Wie auch immer, es ist alles gut ausgegangen und wir sind mit einem Schrecken davon gekommen. Alle anderen Autos sind weiterhin rücksichtsvoll und winken zum Teil nett aus dem Auto, um uns Respekt zu zeigen und Mut zu machen. Als wir auf einem separaten Fahrradweg ankommen, sehen wir auf der rechten Seite ein Feld mit hohen dünnen lila Blumen. Es sieht fantastisch aus! Vor dem Feld entdecken wir einen nicht hohen Bunker, auf welchen wir hinaufklettern und die Aussicht genießen. Die Sicht ist so schön, dass wir unser Frühstück vorbereiten. Als wir gerade fertig sind, kommt ein Mann mit einem E-Bike und bleibt aufgrund unseres Gepäcks interessiert stehen. Steve ist 75 Jahre und ist früher einige Radrennen gefahren. Er ist verdutzt, dass wir als nicht Ortskundige hier sind und meint, dass der Fahrradweg sehr unbekannt ist. Er war früher viel bei seinem Bruder in Deutschland, in der Nähe von Mönchengladbach unterwegs. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Nachdem er auf seine Uhr blickt und meint, dass er nun leider weiter muss, bleibt er trotzdem noch mindestens 20 min. Es zeigt, wie nett es ist, sich mit anderen Radbegeisterten zu unterhalten und, dass Alter sowie Herkunft keine Rolle spielt. Als er nach unserem netten Austausch doch aufbricht, essen wir unser Frühstück. Anschließend fahren wir weiter und hätten fast die Tassen mit Löffeln am Boden vergessen. Noch schnell Abspülen und dann geht es tatsächlich weiter. 

Die Fahrt aus der Stadt hinaus geht wunderschön durch den Witham Way Country Park am Rande des Kanals Witham. Wir folgen eine ganze Weile dem Kanal. Immer wieder tauchen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Bänke auf, jedoch sind diese immer mitten in der Sonne. Da trotz Sonnencreme unsere Haut bedrohlich rot gefärbt ist, brauchen wir unbedingt einen Platz im Schatten. Wir fahren gefühlt ewig am Kanal entlang, doch eine Bank im Schatten ist nicht in Sicht.

Und es fährt sich gut! Mit fast 20 km/h rasen wir über die Landstraßen. Selbst als der Wind von der Seite oder leicht von vorne kommt, werden wir nicht gestoppt. Erst als der Wind direkt von vorne kommt, werden wir leicht langsamer und fahren trotzdem noch mit mindestens 17 km/h dahin. Unsere Muskeln scheinen sich durch den Pausetag wirklich gut erholt zu haben. Schnell erreichen und verlassen wir Boston. 

Bei Coningsby, in der Nähe eines Flughafens der Royal Air Force ist die Straßenbegrenzung durch so hohe Steine angelegt, dass man super darauf sitzen kann und im Schatten sind! Der Abstand zur Straße ist ausreichend und so bereiten wir hier unser Abendessen vor. Es gibt das Lieblingsessen aller Radreisenden: Nudeln mit Pesto. Wir verfeinern das Essen mit frischen Tomaten, Salz, Pfeffer und italienischen Kräutern. Es schmeckt köstlich! Als wir fertig sind, sucht Kyra bei Google Maps nach möglichen Schlafplätzen und wird bald fündig: “Gleich kommt eine Brücke, dann geht es auf die andere Kanalseite. Dort ist nur ein Fahrrad- und Wanderweg. Nach vielleicht einem Kilometer ist der Weg durch Bäume vom Kanal zum Deich kurz abgetrennt. Verborgen von Blicken sollten wir hier ein Platz finden”.

Wir versuchen unser Glück und sind nach nur wenigen Kilometern an der gedachten Stelle und sie scheint perfekt! Michi wartet kurz bei den Fahrrädern und Kyra kundschaftet zunächst ohne Emil den gemähten Deich aus. Es ist wie gedacht. An der Stelle ist der Deich vom Weg durch Bäume bedeckt und auch von der anderen Seite des Kanals kann uns keiner sehen. Wir fahren die Drahtesel hinauf und breiten unsere Bodenplane aus. Es werden Bilder übertragen, Blog geschrieben und mit Michis Eltern telefoniert, bis ein Paar mit vier Hunden an uns vorbei läuft. Diese scheinen jedoch nicht weiter interessiert und somit warten wir bei einem herrlichen Sonnenuntergang noch eine Weile bis wir unser Zelt aufbauen. Eine Eule gleitet noch lautlos an uns vorbei. Abendhygiene und Gute Nacht!