Tag 30 - Englisches Wetter (01.07.2024)

Von Egton nach Brotton

Die Nacht war angenehm ruhig und warm. Zum ersten Mal haben wir beide in langer Hose, mit Pulli und Socken im Schlafsack geschlafen. Bei Temperaturen um die 10 °C zahlt sich diese zweite Schicht aus. Doch wir haben Glück und die Sonne kommt heraus. Während wir noch schlaftrunken im Zelt liegen, trocknet diese das Außenzelt vom Tau. Wunderbar! Einige Minuten später können wir ein trockenes Zelt einpacken und unsere Taschen befüllen. Michi spült das Geschirr vom Vortrag ab und Kyra ruft ihre Oma an, diese hat heute Geburtstag. Mit “Viele Grüße an Opa und einen schönen Tag!” verabschiedet sich Kyra von Oma Margot. Telefonate mit der Familie zeigen uns immer wieder, wie weit wir mit dem Fahrrad gekommen sind und wie viele Kilometer uns aktuell trennen. Nach dem Gespräch rollen wir zur Rezeption und möchten bezahlen. Die Besitzerin kommt heraus und ist sichtlich beeindruckt. Sie erzählt uns, dass sie und viele andere in der Gegend nur E-Bike fahren und das schon anstrengend finden. Die vielen Hügel sind steil und anstrengend. Ihr Mann hingegen fährt gerne ohne E-Bike. Beide finden unsere Tour toll und haben sich bereits die Homepage angeguckt. Zu unserer großen Überraschung wird uns die Übernachtung geschenkt. Wir müssen nichts zahlen. “Thank you so much”, bedanken wir uns mehrmals. Wie unbeschreiblich nett! Erneut sind wir von der Gastfreundschaft und Freundlichkeit beeindruckt, während wir uns auf Emil und Elias schwingen.

Laut Komoot und Google liegen bis Staithes, wo wir eine lange Pause machen möchten, nur moderate Steigungen vor uns. Die meiste Zeit soll es sogar bergab gehen. Doch unser Misstrauen erfüllt sich sogleich. Es geht mehrmals steil bergab und sofort wieder hinauf. So steil hinauf, dass unser Schwung bei weitem nicht reicht. Schilder weisen auf über 30 % hin und wir wissen nun mit Gewissheit, dass unsere Steigungen von gestern auch bei über 30 % lagen. Vollkommen fertig kommen wir nach jeder Steigung oben an. Nach der letzten starken Steigung werden wir von einem Mann auf einem E-Bike überholt, der uns anlächelt und sagt: “I would like to have muscles as strong as you have!”. Michi lächelt nett und sagt daraufhin: “Sometimes we wish we had an e-bike like you have” und wir alle drei lachen. Er empfiehlt uns noch eine Tee-Stube kurz vor Staithes und macht sich auf seinen weiteren Weg. Nur wenige Kilometer später erreichen wir Staithes jedoch bereits und gehen bei Coop einkaufen. Es gibt viel Schokolade, Nudeln und Soße, Müsli, haltbare Milch, Brot und Käse. Somit sind wir für die nächsten Tage gut ausgestattet. Nach einem großen Stück Schokolade fahren wir nach Staithes rein.

Die Abfahrt ist unglaublich steil und die anderen Personen, die an uns vorbeilaufen, lächeln uns mit großen Augen an. Unten angekommen, fahren wir durch einen wunderschönen Ort mit netten Geschäften sowie Lokalen zu beiden Seiten. Uns hat schon wieder der Appetit gepackt und was kann man in einem Fischerdorf besseres als Fisch essen? Somit bleiben wir bei einem Fisch-Restaurant stehen. Doch bevor wir uns setzen und bestellen können, werden wir von einem Paar angesprochen. Die beiden sind zum ersten Mal hier und über unser Gepäck sichtlich irritiert wie begeistert. Uns wird viel Glück gewünscht und als wir uns an einen Tisch draußen setzen wollen, winkt uns ein anderes Paar zu ihnen hinüber: “You can sit under the umbrella and keep an eye on your bikes. We’re done.” Wir bedanken uns und freuen uns über den tollen Sitzplatz, während der Nieselregen langsam einsetzt. Kyra entscheidet sich klassisch für Fish and Chips und Michi für einen Fischkuchen aus Monkfish and Cod (Teufelsfisch und Kabeljau). Dazu gibt es einen Apfelsaft und Cidre. Bevor das Essen kommt, macht Kyra noch ein paar Fotos und quatscht mit dem nächsten Paar. Die Frau spricht gut deutsch und scheint sich über den Wortwechsel in deutscher Sprache zu freuen. So sprechen Kyra und die beiden eine ganze Zeit lang eine Mischung aus deutsch und englisch, damit ihr Mann auch alles versteht. Michi kommt kurz für eine Vorstellungsrunde dazu, doch dann kommt das Essen. Wir genießen, sitzen da und schauen auf das Meer. Uns geht es einfach richtig gut! Da wir heute nicht viele Kilometer vor uns haben und bereits über die Plattform “Welcome to my Garden” wissen wo wir schlafen, haben wir noch einiges an Zeit. Wir entscheiden uns den Platz zu wechseln und in einem Café einen Tisch im warmen zu nutzen. Erneut lassen wir es uns mit Espresso und heißer Schokolade sowie einem Stück Kuchen gut gehen. Wir fragen die freundliche Bedienung, ob wir etwas am Laptop arbeiten dürfen. Sie antwortet lächelnd: “Of course!” und mit dem Wlan vom Hotel nebenan beginnen wir am Blog sowie der Website im Allgemeinen zu arbeiten. Währenddessen genießen wir unseren Zuckerkonsum. Draußen hört immer wieder der leichte Regen auf, nur um einige Minuten später wieder einzusetzen. Mal regnet es stärker und mal schwächer. Es ist ein hin und her. Im inneren des Cafés streikt plötzlich die Eismaschine und die gesamte Mannschaft ist am Tresen versammelt, um das in der Maschine restliche Eis zu essen. Wir beobachten das Spektakel eine Weile und bestellen noch etwas zum Trinken. Irgendwann scheint die Eismaschine wieder zu laufen und das Ende der Öffnungszeiten naht. Obwohl das Café laut Anzeige an der Tür um 16:30 Uhr schließt, kommt um kurz vor halb noch ein Paar hinein. Die beiden bestellen Eis und setzen sich neben uns. Als wir unsere Regenkleidung überziehen, werden wir angelächelt und gefragt, wo unsere Reise hingeht. Wir erzählen von unseren Plänen durch Großbritannien und die beiden sind fasziniert. Sie kommen aus Schottland und freuen sich sehr, dass wir durch ihren Heimatort fahren. Wir reden noch eine ganze Weile über unsere Pläne und die wunderschöne Landschaft, bis das Lokal so langsam in Feierabendstimmung kommt. Die Lichter und Maschinen werden ausgeschaltet und wir bezahlen zufrieden. Nun ist es soweit und wir müssen die starke Steigung nach Staithes rein wieder hoch.

Zunächst geht es jedoch über eine kleine Fußgängerbrücke auf die andere Seite des Ortes, wo wir nochmal kurz mit zwei Hundebesitzern quatschen. Mit kalten Muskeln wagen wir uns auf die Schräge und schaffen es nicht ganz. Elias braucht eine Pause und Emil will geschoben werden. Oben angekommen werden wir mit einem fantastischen Ausblick über die Steilklippen belohnt. Vor Wärme ziehen wir uns die Regenhose aus und werden von weiteren Höhenmetern erwartet. Etwas fluchend über die starke Steigung fahren wir immer weiter bergauf. Nur das letzte Stück ist für Emil erneut zu steil und wird von Kyra geschoben. Michi fährt mit Elias die gesamte Strecke hinauf. Wir beide brauchen jedoch ein paar Pausen und Zwangspausen, um die wenigen vorbeifahrenden Autos an uns vorbei zu lassen. Eine Frau hinterm Steuer feuert uns durch kräftiges Winken begeistert an. Als wir die Spitze erreichen, geht es sofort wieder bergab und Michi bemerkt während eines kurzen Telefonats mit seinen Eltern, dass das Vorderrad beim Bremsen zur Seite zieht. Das muss natürlich geändert werden! Also halten wir kurz an und das Problem ist schnell gefunden. Mit festgezogenen Vorderrad kann der Abstieg in Angriff genommen werden. Dieser ist kurz, aber heftig. Kyra lacht unten angekommen: “Es ging auch ohne Bremse!” Eine kurze Strecke geht es beinahe Flach unserem heutigen Schlafplatz entgegen. Kurz vor Skinningrove lässt der weitere steile Abstieg jedoch schlimmes erahnen. Trotz bremsen rutscht Elias weiter hinunter. Einen so steilen Abstieg hatten wir noch nie, nichtmal in Norwegen. Die Bremsen geben ihr bestes und mit sehr langsamer Geschwindigkeit erreichen wir den Strand. Wow! Geschafft. Die Natur mit dem Strand ist erneut fantastisch, aber die steile Straße hat uns ganz schön geschafft, obwohl es bergab ging. Nun müssen wir erneut die andere Seite hinauf, doch wir haben Glück. Wir schätzen die Steigung auf vielleicht 6-12 %. Mal ist es anstrengender und mal angenehmer. Insbesondere die Kurven sind herausfordernd. “Nur noch 2 km”, sagt Michi mit Ehrgeiz in der Stimme. Wir fahren die letzten Kilometer, die nochmal steil werden nach Brotton hinauf.

Schnell ist die entsprechende Straße gefunden und noch bevor wir das Haus entdecken kommt unser Gastgeber die Straße entlang: “You have to be my guests!” Wir schieben Emil und Elias in den Garten und packen alle Taschen zu Kai in die Küche. Wir bekommen Pizza und überreichen eine Tafel Schokolade der Chocolatemakers sowie Ostfriesentee als Gastgeschenk. Nach dem Essen geht es unter die Dusche und anschließend bekommen wir zwei Filme von seinen Fahrradtouren durch Schottland sowie Spanien gezeigt. Die Filme sind beeindruckend! Mit einer älteren Kamera hat er alles festgehalten und in viel Arbeit geschnitten. Uns gefallen die Filme sehr gut. Sie sind fast künstlerisch gemacht und beeindrucken mit einer tollen Musikauswahl und kurzen Interviews von Personen am Straßenrand. Für ihn ist es besonders wichtig zu erfahren, was für Menschen Glück im Leben darstellt. Was sie sich Wünsche und wie die Träume aussehen. Wir reden intensiv für über eine Stunde darüber, warum wir reisen. Was das Radreisen ausmacht und wie wunderschön, aber auch schwer es sein kann. Was ist die Motivation? Wie kommt man dazu? Und was ist eigentlich der Sinn dahinter bzw. der Sinn des Lebens? Was für ein beeindruckender Abend! Müde und zufrieden fallen wir ins Bett, denn Kai hat bei “Welcome to my Garden” keinen Garten eingetragen, sondern ein kleines Zimmer, welches wir nutzen dürfen. Gute Nacht!